Gepflegt unterwegs
Wer von der Straße spricht, bricht mit Tabus. Besonders das Thema Hygiene ist in diesem Kontext nicht immer einfach zu kommunizieren. Aber auch psychische Selbstpflege sollte nicht zu kurz kommen, wie Matze weiß, einer von Berlins zahlreichen Obdachlosen. Ein Gesprächsprotokoll
Eine wichtige Anlaufstelle für mich, wenn es um Körperpflege geht, ist in Berlin die Diakonie in Mitte. Ansonsten habe ich unter anderem im Wedding die Möglichkeit, meine Wäsche zu waschen. Ich kann das hier bei der Berliner Obdachlosenhilfe erledigen, wo ich hin und wieder arbeite. Auf gar keinen Fall versuchen würde ich, am Wochenende irgendwo eine Dusche zu finden. Denn da ist einfach alles immer überlaufen.
Wenn ich kann, verbringe ich die meiste Zeit hier im Verein der Obdachlosenhilfe, wo ich helfen kann, oder gehe zur Sozialen Wohnhilfe des Bezirksamts. An kulturellen Veranstaltungen von irgendwelchen Hausprojekten teilnehmen ist zur Zeit nicht wirklich möglich – wegen Corona haben die wenigsten Anlaufstellen für Obdachlose wie gewohnt offen – und ins Kino gehen ist zu teuer. Aber ich vermisse momentan nicht all zuviel und fühle mich im Verein wohl. Ich hoffe nur sehr, dass diese Situation bald vorbeigeht und wir hier wieder unser Café aufmachen können. Essensausgabe vor Ort und Nachtcafé sind wegen zu hohem Infektionsrisiko geschlossen. Wegen der Pandemie ist das Angebot gerade sehr eingeschränkt. Momentan dürfen sich hier drin maximal 15 Leute aufhalten, glaube ich, egal ob Helfer oder Besucher. Andernfalls wird es knapp mit den Abstandsregeln und allen weiteren Schutzmaßnahmen.
Mein Kumpel Peter*, mit dem ich regelmäßig unterwegs bin und den meisten Umgang pflege, knüpft zur Zeit selbst einige Kontakte hier, um – gerade wenn es regnet – weniger draußen sein zu müssen in einem Berliner Park, wo er sich sonst aufhält. Sich die Obdachlosigkeit nicht sofort ansehen zu lassen, ist nicht immer leicht. Ein gepflegtes Äußeres zu haben, hat auch etwas mit dem Bewahren und Anerkennen von Würde zu tun.
Duschen auf vier Rädern
Sich auf der Straße zu versorgen und zu pflegen, ist für niemanden einfach. Schon gar nicht für Frauen. Ein Duschmobil für obdachlose Frauen, wie das am Leopoldplatz, gibt es noch nicht lange. Der Sozialdienst katholischer Frauen kümmert sich darum, gibt Hygieneartikel aus und bietet Beratung. Das findet neben Evas Obdach statt, einer Notunterkunft für Frauen, also einen Schlafplatz inklusive Verpflegung.
Direkte Probleme zwischen Frauen und Männern hier habe ich noch keine mitbekommen. Die passieren eher während der Hilfstouren, scheint mir. Da ist auch schonmal von Sexismus die Rede, wie eine Frauengruppe hier schon beklagt hat. Den Frauen bleibt es jedoch mittlerweile meist freigestellt, ob sie in den geschützten Bereich nur für Frauen von den jeweiligen Hilfseinrichtungen gehen wollen, hier wie anderswo. Aber insbesondere wenn es sich um obdachlose Pärchen handelt, sind die Regeln inzwischen viel lockerer geworden. Die lässt man im Zweifel auch zusammen übernachten.
Bei uns hier im Wedding hatten wir mal einen Friseur, der sehr gut ankam. Gerade so ein Dienst ist ja absolute Mangelware für Menschen, die auf der Straße leben – wie so viele andere Dinge auch. Am besten ist es darum, man fragt bei den entsprechenden Adressen wie der Berliner Stadtmission vorher schon konkret wegen solcher Hilfsangebote an, bevor man sich auf den Weg dorthin macht.
Unterstützen durch geteiltes Wissen
Doch die Menschen, die Unterstützung brauchen, um sich um sich selbst zu kümmern und sich zu pflegen, die benötigen auch die Informationen, wo sie entsprechende Hilfe dafür bekommen. Gerade auf der Straße. Ob durch Streetworker, Bezirksämter oder andere Einrichtungen wie Stadtbüchereien und den Kältehilfebus ist dabei egal. Hauptsache, das Wissenswerte erreicht diese Leute irgendwie. Dafür muss gesorgt sein. Aber viele haben nicht einmal eine leise Ahnung, wo sie hingehen können. Allein in Berlin leben etwa 40.000 Menschen ohne Wohnung! In den Wintermonaten ist es am härtesten. In Notübernachtungen finden Bedürftige zumindest einen warmen Schlafplatz und eine Mahlzeit. Derlei Angebote aufrecht zu erhalten, an die Betreuung dieser Menschen zu denken, auch diese Form von Pflege müssen wir als Gesellschaft leisten können.
Ich weiß, wovon ich rede. Abgsehen von einem Aufenthalt in einem Obdachlosenwohnheim, bin ich seit Mitte der 1990er auf der Straße. Zwischendurch war ich aktiv in der Flüchtlingsarbeit und damals nicht obdachlos. Insgesamt sind das ungefährt sieben Jahre gewesen, aber nicht am Stück. Auch selbstverwaltete Kriseneinrichtungen wie das Weglaufhaus in Berlin, die sogenannte Villa Stöckle, zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Es wäre für alle besser, wenn derartige Schutzräume für geschädigte Personen dauerhaft existierten. Und, natürlich, wenn jedem und jeder statt der bloßen Kältehilfe eine Wohnung ermöglicht würde. Der Leerstand hier ja immens. Und Pflege ist letztlich nichts Anderes als Selbstfürsorge.
*Name von der Redaktion geändert