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Hass auf die verstorbenen Eltern – zwischen Trauer, Angst und Wut

Von Sabrina Wirth / 9. März 2022
picture-alliance | Christian Ohde / CHROMORANGE

Es gibt nicht nur den Hass auf andere, sondern auch Hass auf sich selbst. Aber, frage ich mich, ist es möglich, die eigenen Eltern zu hassen oder steckt hinter dieser starken Emotion tatsächlich etwas anderes?

Hass ist ein starkes Wort, das Gefühl dahinter möglicherweise sogar das extremste, das es gibt. Hass mündete in Tötungsdelikte, Selbstmorde, sogar Weltkriege. Aber er war auch die Initialzündung für großartige Songs und literarische Bestseller. Hass ist damit Ausdruck eines Gefühlszustands, welcher entfacht, unterdrückt, aber mit der Zeit auch kontrolliert und verarbeitet werden kann.

Die Diplom-Psychologin Dr. Doris Wolf sagt: „Hass ist ein Gefühl extremer Abneigung und Ablehnung gegenüber einem anderen Menschen oder einer Institution. Hass entsteht meist aufgrund einer tiefen seelischen Verletzung, wie etwa einer Trennung oder Verlusterfahrung, der man glaubt ausgeliefert zu sein und gegen die man glaubt, sich nicht wehren zu können. Man fühlt sich also total hilflos und ohnmächtig und gleichzeitig tief verletzt oder angegriffen.“

Was steckt hinter dem Hass?

Mal war es Liebe, die mit einem gebrochenen Herzen und geplatzten Zukunftsplänen endete. Mal ein nicht eingehaltenes Versprechen oder ein verletztes Ego. Mal schlichtweg ein Missverständnis aufgrund mangelnder Kommunikation. Aber all diese Gründe haben eines gemeinsam: Schmerz. Schmerz, Leid und Angst.

„Der Hass ist die Liebe, an der man gescheitert ist“, sagt Sören Kierkegaard. Paul Ekman, ein US-amerikanischer Anthropologe und Psychologe, identifizierte sieben Basisemotionen, die seinen Forschungsergebnissen zufolge kulturübergreifend auftreten, nur in ihrer jeweiligen Ausprägung erblich bedingt sind: Freude, Überraschung, Angst, Wut, Ekel, Trauer und Verachtung. Demnach wäre Hass eine Reaktion, der eine dieser sieben Grundemotionen zugrunde liegt. In meinem Fall: Trauer.

Der Grund, warum ich meine Eltern “hasse“

Ich war 29 Jahre alt, als ich zur Vollwaise wurde. Kurz vor meinem 29. Geburtstag starb meine Mutter, nur 83 Tage später folgte mein Vater. Meine Welt stürzte mit einem Anruf innerhalb von Sekundenbruchteilen zusammen und würde nie wieder so sein wie vorher. Sie wird nie wieder vollständig sein. Alles, was bleibt, ist die Trauer, die Leere und – der Hass:  Sie haben mich einfach allein gelassen, auch, wenn sie es sich nicht freiwillig ausgesucht haben, zu gehen. Während sie gegangen sind, traf mich die Erkenntnis wie ein Faustschlag in die Magengrube: Ich bin noch nicht einmal 30 Jahre alt, ohne Lebenspartner, ohne Kinder, ohne ein langfristiges Zuhause.

Ich könnte sie heute nicht um Rat fragen, wenn es um die Erziehung meiner eigenen, zukünftigen Kinder ginge. Meine Mama wird mir keine Tipps mehr geben, wenn ich mal wieder hilflos in der Küche stehe. Mein Vater wird mir bei keinem Umzug mehr helfen, bei denen er jedes Mal als fester Anker dabei war. Sie werden niemals meine Kinder von der Schule abholen können, ihnen ein Geburtstagsgeschenk kaufen oder mit ihnen unter dem Weihnachtsbaum sitzen. Meine zukünftigen Kinder werden mütterlicherseits ohne ihre Großeltern aufwachsen. Sie werden nie in den Genuss der leckeren Marmelade ihrer Oma kommen oder von ihr heimlich Schokolade und Taschengeld zugesteckt bekommen. Sie werden niemals im Sommer auf der roten Schaukel im Garten sitzen, auf der ich so glücklich war. Sie werden nie mit ihrem Opa Fußball spielen und zusehen, wie er ihnen beibringt, mit dem Spann des Fußes zu schießen anstatt mit der Fußspitze. Keine gemeinsamen Familienurlaube, kein Grillen auf der Terrasse, kein Rückzugsort bei den Großeltern, weil diese im Allgemeinen viel entspannter sind als die furchtbar strengen, gestressten Eltern. Meine Kinder werden nie das Haus betreten, in dem ich aufgewachsen bin, nie die reifen Erdbeeren im Garten pflücken und die faulen einfach über den Zaun werfen. Sie werden nie die Umarmung ihrer Großeltern spüren und den unendlichen Rückhalt, den diese beiden Menschen einem geben konnten. Und ich auch nicht mehr.

Wegen all dem und noch so vielem mehr hasse ich meine Eltern. Wie konnten sie es zulassen, dass ich viel zu früh auf mich allein gestellt bin? Wie konnten sie es nur zulassen, dass ihre Enkel (womöglich komplett) ohne Großeltern aufwachsen werden? Wieso haben sie es in Kauf genommen, das Wertvollste, was ein Mensch haben kann, herzugeben? Nämlich Zeit! Sie haben mich um so viel Freude, einzigartige Erlebnisse, ein Zuhause, das so viel mehr war, leckeres Essen, ungefragte Weisheiten und unendlich viel Liebe gebracht.

Mit Hass schadet man nur sich selbst

„Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt, droht Untergang“, so Mahatma Gandhi. Inzwischen begreife ich: Wenn wir hassen, dann hat das negative Auswirkungen auf unser emotionales Befinden und unseren Körper. Ich weiß mittlerweile, dass Hass alle anderen Gefühle überlagert. Er kann sogar Angst wegwischen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Hass einfacher zu fühlen und auszuhalten ist als etwa Angst oder Trauer. Hass ist realer, greifbarer und ein Gegenmittel gegen diese Situation, die sich immer noch so unwirklich anfühlt. Hass sitzt dort, wo ursprünglich ein tiefer Schmerz saß. Ich weiß aber auch: Kann der Ursprung dieser Verletzung gefunden und die daraus resultierende Wunde versorgt werden, dann kann der Hass nachlassen.

Ich schwanke zwischen dem Hass auf meine verstorbenen Eltern und dem daraus resultierenden Selbsthass – wie kann ich nur meine toten Eltern hassen?! Wir Menschen sind rationale und zutiefst emotionale Wesen. Das unterscheidet uns von allen anderen Lebensformen auf der Erde. Für mich ist inzwischen klar: Zu hassen tut weniger weh, als zu trauern. Und manchmal ist selbst diese Form von Selbstschutz wichtig.

Auch wenn keine offenen Rechnungen zu begleichen sind oder Ungeklärtes im Raum steht, hinter meinem Hass steckt vor allem das Vermissen. Ich vermisse meine Eltern unendlich und ich trauere jeden Tag um die kurze gemeinsame Zeit, die verloren gegangen Momente, die nur noch in meiner Erinnerung stattfinden. Und ich verspüre Angst. Angst, dass der Schmerz für immer ein Begleiter meines Lebens sein wird.

Warum hassen wir Menschen nur? Ist es die Wut in uns oder das Vermissen, die Enttäuschung? Wir sollten den Ursprung von Hassgefühlen nicht ungeklärt lassen. Denn „Hass verdunkelt das Leben; Liebe erleuchtet es“, wusste schon Martin Luther King.

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