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„Hilfst du mir mal?”

Von Klaudia Lagozinski / 3. April 2024
picture alliance / Westend61 | Sergei Anischenko

Um Hilfe zu bitten, ist vielen unangenehm. Doch warum fällt es uns so schwer, nach Unterstützung zu fragen? Und: Kann man das vielleicht üben?

„Kannst du mir mal helfen?“ Diese Frage kommt vielen nur schwer über die Lippen. Wir wollen nicht hilflos wirken, wir sind selbstständig und kompetent, wir wollen keinem zur Last fallen. Insbesondere diejenigen, die in ihrer Vergangenheit wenig positive Unterstützung erfahren haben, haben Schwierigkeiten damit, sich verletzlich zu zeigen. Sie möchten nicht (wieder) enttäuscht werden.

Wir wollen ungern zugeben, dass wir uns manchen Dingen, Situationen und Umständen manchmal nicht gewachsen fühlen. „Ich schaffe das schon“ ist unser Credo; lieber tragen wir eine schwere Kommode alleine durchs Treppenhaus, als den Nachbarn zu fragen, ob er kurz mit anpackt. In einer Passage von Paul Watzlawicks Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ überlegt jemand stundenlang, ob er seinen Nachbarn um einen Hammer bitten kann. Er hat Nägel, um ein Bild aufzuhängen, allein an einem Hammer mangelt es ihm. So überlegt er hin und her, welche Gründe der Nachbar aufbieten könnte, ihm die Bitte abzuschlagen. Die Geschichte endet damit, dass er beim Nachbarn klingelt und als dieser öffnet, ihm entgegenschleudert: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Veränderung ist oft nur eine Frage entfernt

Ob im Studium oder am Arbeitsplatz – es scheint oft, als wäre es besser, die Zähne zusammenzubeißen, obwohl die Verbesserung der Lage nur eine Frage entfernt ist. Aber die Chefin oder der Kollege könnte ja beschäftigt sein. Oder genervt. Oder aus einem Pflichtgefühl heraus handeln, obwohl sie/ er eigentlich keine Lust darauf hat. Dabei ist es nicht die Verantwortung der Hilfesuchenden, Grenzen zu ziehen – „Nein“ zu sagen, ist Aufgabe der anderen, die wir um etwas bitten.

Und wie wäre es denn andersherum? Ich wäre diejenige, die um Hilfe gebeten würde. Wäre es mir nicht vielleicht sogar eine Freude, helfen zu dürfen?  

Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, machte sich diese Bereitschaft zunutze, um einen politischen Gegner in einen Freund zu verwandeln. Er bat darum, sich ein Buch des Mannes ausleihen zu dürfen, gab es ihm nach einer Weile zurück – zusammen mit einem Dankesbrief. Dies schmeichelte Franklins Widersacher und die Feindschaft war verflogen. Dieses psychologische Phänomen hat sogar einen Namen: Benjamin-Franklin-Effekt.

Schon Kleinkinder helfen intuitiv

Das zeigt: Wir mögen Menschen mehr, wenn sie uns um einen Gefallen bitten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts fanden zudem heraus, dass schon bei Kleinkindern der Impuls, anderen zu helfen, vorhanden ist. Menschen sind soziale Wesen – von klein auf. Denn helfen stärkt den Zusammenhalt einer Gruppe und macht sie zur Gemeinschaft.

Doch wenn wir gern hilfsbereit sind, warum fällt es uns selbst dann so schwer, nach Hilfe zu fragen? In einer Studie aus dem Jahr 2012 fanden die US-amerikanischen Psychologinnen Tristen Inagaki und Naomi Eisenberger heraus, dass das Helfen nahestehender Menschen unser Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Das klingt nach Win-Win-Situation, oder?

Üben, nach Hilfe zu fragen

Ja, man kann das tatsächlich einüben. Wer sich in der Disziplin „Um-Unterstützung-Bitten“ verbessern möchte, sollte mit kleinen Schritten beginnen. Einer im Jahr 2023 veröffentlichten internationalen Studie zufolge, gehen neun von zehn Menschen kleinen Gefallen – wie etwas rüberreichen oder das Licht anknipsen – gern nach. Von denen, die ablehnend reagieren, geben 74 Prozent zumindest einen konkreten Grund dafür an. Die Chancen auf Unterstützung sind also hoch!

Wie wäre es also mit dem Vorsatz, bei der nächsten Gelegenheit, einen Freund um Rat zu fragen? Oder die Arbeitskollegin zu bitten, einen Kaffee mitzubringen? Oder den Fremden, uns die Türe aufzuhalten, weil wir gerade beide Hände voll mit Einkäufen haben? Wir kreieren uns einen Katalog mit guten Erfahrungen, die zeigen: Wir verlangen nicht zu viel.

In ihrem Beitrag „The Power of Vulnerability“ beschreibt die texanische Sozialpsychologin Brené Brown 2010 im Rahmen der Vortragsreihe TED Talk Verletzlichkeit (umgekehrt zur Intuition) nicht als Schwäche, sondern als Stärke. Wer sich selbst einschätzen könne, so ihr Ansatz, sei im wahrsten Sinne des Wortes selbstbewusst und kenne seine Stärken und Schwächen. Wenn wir uns verletzlich zeigen und das anderen auch zugestehen, sagt Brown, könne daraus eine „Atmosphäre des Verständnisses füreinander entstehen“, die für das Schaffen zwischenmenschlicher Verbindungen unverzichtbar sei.

2 Antworten auf „„Hilfst du mir mal?”“

  1. Von Tom am 4. April 2024

    Sehr schön geschrieben. Und wer kennt es nicht, beim Fragen zu zögern?

  2. Von Barbara Preusch, Henryk Baranski am 4. April 2024

    Wir haben diesen Artikel über ein tiefgehendes Problem, das nicht nur unseres, sondern auch das vieler Menschen hiesiger Breitengraden sein könnte, sehr genossen. Das war wirklich nicht schwer! Der federleichte Stil der Schreiberin, das Gespräch, das sie uns mit ihren Worten so freundschaftlich und wissend angeboten, hat uns faziniert und amüsiert. DANKE! Henryk und Barbara

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