In Textil gewobene Angst
Mode für Männer ist nicht nur Ausdruck des herrschenden Geschlechterarrangements. Die Monotonie auf dem Markt spiegelt die tiefsitzende Angst vieler männlicher Kunden wider, durch schöne Kleidung zur Frau „degradiert“ zu werden.
Ich heiße J* und lebe seit vielen Jahren genderfluid. Das bedeutet: Ich folge meinen sich häufig wandelnden geschlechtlichen Gefühlen einfach, wo sie mich hinführen. Ich kleide mich nicht bloß mal männlich oder weiblich, sondern unternehme auch sonst einiges, um als Mann, als Frau oder uneindeutig durchzugehen. Ein Begriff, der aus der Transgender-Kultur stammt und im Grunde die Fähigkeit beschreibt, sich dem Druck zu entziehen, der mit den Erwartungshaltungen an ein bestimmtes Geschlecht einhergeht, indem diesen Erwartungen nicht entsprochen wird.
Darum habe ich, was wohl wenig verwundert, einen ziemlich großen Kleiderschrank. Doch während mir das Spektrum der „Frauenklamotten“ eine umfassende Auswahl lässt und sogar ein Spiel mit „männlichen“ und „weiblichen“ Elementen ermöglicht, sieht es bei den männlich gelabelten Klamotten eher monoton aus. Besuche in den Herrenabteilungen von großen Modehäusern wie H&M oder New Yorker frustrieren mich: Möchte ich als die queere Person, die ich bin, einen umfassenden männlichen Eindruck erzeugen, der den Blick auf mich auch als sexuelles Objekt richtet, wird es richtig schwer. Hier ein paar Beispiele, die in ihrem Extrem für das stehen, woran durchschnittliche Männermode auch im Jahr 2020 in der Regel orientiert wird:
Ein Teil der verfügbaren Kleidung entspricht einer dezidierten Business-Männlichkeit, die wirtschaftliche Seriosität, Selbstdisziplin und eine große Kaufkraft signalisieren soll. Der Träger versteckt seine Individualität und seine tatsächliche Körperlichkeit hinter einer Art Uniform, mit der er wie ein genormtes Teil in eine wirtschaftliche Maschinerie einfügbar erscheint. Attraktivität entsteht in diesem Fall durch die Fähigkeit, sich in diese in der Männlichkeitsforschung als „hegemoniale Männlichkeit“ bezeichnete Form regelrecht hineinquetschen zu können.
Viele Shirts aus der Herrenabteilung versuchen auch, mit aggressiver Typographie und entsprechenden Grafiken zu punkten, die unterschwellig für Gewalttätigkeit oder soldatische Männlichkeit stehen könnten. Warum Männermode oft so militant und rabiat erscheint, lässt sich vielleicht an einer weiteren Kategorie ablesen, die weit verbreitet ist. So tragen einige Männer T-Shirts mit fotorealistischen Prints von pornographisch anmutenden Abbildungen von Frauen, die einem extrem eintönigen Verständnis von Weiblichkeit entsprechen. Dennoch scheinen diese Motive die Träger als Käufer anzusprechen, weil sich damit die Botschaft transportieren lässt: Ich kann über diesen Frauenkörper verfügen. Indem die Frau als bloßes Objekt dargestellt ist, adelt sie den Träger als sexuelles Subjekt in einem Zwei-Geschlechter-Modell. Denn er gilt damit als wählend, zupackend und verfügend. Attraktivität wird hier in einem überkommenen Sinne als Fähigkeit demonstriert, Frauen zu besitzen.
Nichts als binäre Geschlechtsidentitäten
Dass es Männermode nicht schafft, aus diesen überkommenen gesellschaftlichen Geschlechter-Codes – Frauen müssen schön aussehen, Männer auch modisch Macht demonstrieren – auszubrechen, liegt allerdings nicht nur an der Borniertheit von Modekonzernen. Als weiblich geltende Persönlichkeitsanteile wie etwa die Lust nach dem Begehrt- und Erobertwerden, nach Schönheit oder Passivität sind in Wahrheit allgemeine menschliche Eigenschaften. In der männlichen Subjektivität dürfen sie jedoch nicht einmal in Form eines Outfits zur Geltung kommen. Darum werden sie ins Unbewusste gedrängt und dort mit Abwehr und Angst gehalten. Dem folgt das Design von Läden und Produkten: Nichts darf daran erinnern, dass mit der Wahl der eigenen Kleider eine andersartige Entscheidung darüber stattfindet, wie man von anderen als Körper wahrgenommen werden will.
Schließlich begreifen Männer ihren Körper vorwiegend als Mittel, das ihnen erlaubt, sich ihrer Agilität, ihrer Handlungskraft in ihrer Lebenswelt zu vergewissern. Unter diesem instrumentellen Verhältnis wird dem eigenen Körper jedoch zumeist Intimität, Zärtlichkeit und Fürsorge verwehrt. Das spiegelt sich nicht zuletzt im binären Geschlechtervergleich in einer stark erhöhten Zahl von Selbsttötungen, Verkehrs- und Drogentoten oder Herzinfarkten auf Seiten der Männer wider. Doch auch der Hohn, dem der US-Schauspieler und Musiker Billy Porter bei der Oscar-Verleihung 2019 aufgrund seiner außergewöhnlichen Kleiderwahl ausgesetzt war, spricht Bände. Porters ausgefallenes, samtenes Smokingkleid wurde als „lächerlich“ gebrandmarkt. Da hilft auch die Tatsache nicht weiter, dass der klassische Schottenrock Männern vorbehalten ist und diese in keinster Weise verweiblicht, noch nicht einmal androgyn wirken lässt.
Darf Männlichkeit für Schönheit stehen?
Aus der Männlichkeitsforschung wissen wir, dass der zentrale Marker von Männlichkeit, die Autonomie, von Männern fortwährend bewiesen werden muss, wollen sie überhaupt als echte Männer gelten; in Wahrheit ist aber kein Mensch völlig unabhängig. Doch wer autonom sein will, darf sich nicht allzu sehr dafür interessieren, was andere über den eigenen Körper und die eigene Kleiderwahl denken. Der Blick auf ein Kleidungsstück im Modeladen ist jedoch immer auch ein Blick auf den Körper, der damit gekleidet werden soll. Er muss darum die Wünsche nach Autonomie bestätigen statt sie infrage zu stellen.
Würde ein Laden wie H&M schöne, niedliche oder gar sexy Männermode anpreisen, würden heute sozialisierte Männer beim Gang in den Klamottenladen mit unangenehmen Gefühlen konfrontiert. Ein modisches Statement in Richtung graziler Selbstdarstellung fühlt sich unter den gegebenen kulturellen Koordinaten wie eine Verweiblichung an. Und als Mann hat man, wenigstens implizit, noch immer über Frauen zu stehen. So sichert die geschlechtlich genormte Kleiderordnung den Verkauf. Und die bestehende Geschlechterhierarchie.
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