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Inklusion: Eine Regelschule für Henri

Von Jacqueline Möller / 9. Juli 2015
Kristen Erhardt, Autorin des Buches „Henri-ein kleiner Junge verändert die Welt“ mit ihrem Sohn Henri. (Foto: Kirsten Erhard, Quelle: Uwe Anspach)

Kindern mit Behinderung den Zugang zu Regelschulen zu ermöglichen, ist seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention vor sechs Jahren auch in Deutschland verpflichtend. Doch die Länder tun sich mit der Anpassung ihrer Schulgesetze schwer. Nun wagt Baden-Württemberg einen wichtigen Schritt hin zu einem inklusiven Schulsystem.

500.000 behinderte Schülerinnen und Schüler besuchten im Schuljahr 2012/2013 in Deutschland eine Regelschule. Henri Ehrhardt, der zwölf Jahre alt ist und Trisomie 21 hat, ist einer davon. Ein Jahr zuvor stieß sein Wunsch, zusammen mit seinen Freunden eine Realschule zu besuchen, noch auf taube Ohren. Schulleitung und Lehrpersonal legten ihm nahe, stattdessen eine Haupt- oder Sonderschule zu besuchen. Henri wäre damit einer von bundesweit 72 Prozent der behinderten Schüler gewesen, die in eine Sonderschule gehen. Aber: Ab kommendem Schuljahr dürfen die Eltern behinderter Kinder in Baden-Württemberg selbst entscheiden, ob ihr Kind an einer Sonderschule oder an einer regulären Schule in Inklusionsklassen unterrichtet wird. Henri Ehrhardt wird auf eine Realschule gehen.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Andreas Stoch, Minister für Kultur, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (Foto: privat)
Andreas Stoch, Minister für Kultur, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (Foto: privat)

„Inklusion ist der Ausdruck der Grundüberzeugung, dass jedem Menschen in unserem Land das gleiche Recht zusteht, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Für eine moderne, offene und tolerante Gesellschaft sollte diese Zielsetzung außer Frage stehen“, sagt der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch. „Deshalb können Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot in Baden-Württemberg künftig den Lernort wählen: Allgemeine Schule oder Sonderschule.“

Das Bundesland folgt mit dieser Entscheidung der Beurteilung des UN-Fachausschusses, der unlängst das separierte Schulsystem der Bundesrepublik kritisierte und dazu aufforderte, dieses abzubauen. Kirsten Ehrhardt, Mutter von Henri und Autorin des Buches „Henri: Ein kleiner Junge verändert die Welt“, begrüßt diesen Schritt. „Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass nicht Eltern, die sich für eine inklusive Beschulung entscheiden, Gründe dafür vorbringen müssen, sondern umgekehrt diejenigen, die ihre Kinder in Sonderschulen geben, eigentlich begründen müssten, warum sie ihren Kindern die soziale Gemeinschaft mit den Kindern ihres Wohnumfeldes vorenthalten“, so Ehrhardt.

Baden-Württemberg im Praxistest

Minister Stoch erklärt den neuen Weg Baden-Württembergs: „In unserem Inklusions-Konzept ist der Elternwunsch Ausgangspunkt aller weiteren Planungen. Hier ist die Frage zu klären, wo und wie das Kind seine Potenziale am besten entfalten kann und wie die Rahmenbedingungen an einer Schule dafür tatsächlich hergestellt werden können.“

Gemeinsames Lernen als Herausforderung

Das Konzept des gemeinsamen Lernens wird in Baden-Württemberg generell begrüßt. Dies ergibt eine Umfrage des Forsa-Instituts vom April 2015, bei der bundesweit etwa 1.000 Lehrer, darunter 150 aus Baden-Württemberg, zu ihrer Einstellung zum Thema Inklusion befragt wurden.

Allerdings: 69 Prozent der befragten Lehrer in Baden-Württemberg bemängeln das bisherige Fortbildungsangebot, welches auf den Unterricht von Inklusionsklassen vorbereiten soll. Außerdem gab mehr als die Hälfte der befragten Lehrer zu bedenken, dass ihre Schule nicht barrierefrei sei.

Herr Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. (Foto: privat)
Herr Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. (Foto: privat)

Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg, kennt die Sorgen der Lehrer. „Die Landesregierung hätte schon viel früher mit der Fortbildung der Lehrer beginnen müssen“, so Brand. Man müsse deutlich mehr Geld in Fortbildungen investieren, um die Lehrer gut auf die Inklusion vorzubereiten. Mit Hinblick auf den Zeitdruck – die Inklusionsregelung soll innerhalb eines Jahres umgesetzt werden – reichten die bisherigen Maßnahmen nicht aus.

Mehr Lehrkräfte benötigt

Das neue Schulgesetz sieht vor, dass Lehrkräfte der allgemeinen Schule und der Sonderschule im Sinne des Zwei-Pädagogen-Prinzips gemeinsam unterrichten. Zusätzlich werde Inklusion ab dem Wintersemester 2015/2016 ein fester Bestandteil der Ausbildung von Lehrkräften sein, heißt es aus dem Kultusministerium. Insgesamt werden bis zum Schuljahr 2022/2023 etwa 1.353 zusätzliche Lehrer benötigt. Zum kommenden Schuljahr stehen bereits 200 zusätzliche Stellen für die Inklusion zur Verfügung.

Je nachdem, wie das inklusive Konzept in Baden-Württemberg funktioniert, können Kinder wie Henri hoffentlich bald auch in anderen Bundesländern eine Regelschule besuchen.

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2 Antworten auf „Inklusion: Eine Regelschule für Henri“

  1. Von T.Lorenz am 11. Juli 2015

    Schöner Artikel, ich habe selber ein behindertes Kind und kenne die angesprochenen Schwierigkeiten beim Wunsch mein Kind auf eine Regelschule zu schicken nur zu gut. Hoffe das sich bald auch andere Bundesländer an BW ein Beispiel nehmen!

  2. Von Anonymous am 21. Juli 2015

    Die Integration von Kindern mit Behinderung in eine Regelschule ist ein ehrenwertes Ziel, wird aber m.E. genauso wie das vielumschworene JÜL (Jahrgangsübergreifende Lernen) spätestens an der Umsetzung scheitern, weil es dafür zu wenig fachlich gebildete Lehrkräfte und finanzielle Mittel gibt.

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