International gerecht
Von Lea Deuber Mit Staub bedeckte, blutüberströmte Menschen, dunkle Rauchschwaden und ein fast komplett in sich zusammengestürztes Gebäude: Ein Jahr nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch sind die Bilder des Unglücks immer noch präsent. Knapp 1200 Menschen kamen damals ums Leben. Dieses vermeidbare Unglück zeigt auch, wie wichtig Arbeitsschutzbestimmungen sind – und wie schwierig […]
Von Lea Deuber
Mit Staub bedeckte, blutüberströmte Menschen, dunkle Rauchschwaden und ein fast komplett in sich zusammengestürztes Gebäude: Ein Jahr nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch sind die Bilder des Unglücks immer noch präsent. Knapp 1200 Menschen kamen damals ums Leben.
Dieses vermeidbare Unglück zeigt auch, wie wichtig Arbeitsschutzbestimmungen sind – und wie schwierig es ist, sie durchzusetzen. Theoretisch soll das Arbeitsrecht Menschen vor der Übermacht ihres Arbeitgebers schützen. „Im Zuge der Globalisierung hat es sich aber immer stärker zu einem Standortvorteil entwickelt“, sagt Michael Fichter, Dozent an der Global Labour University (an der Hochschule für Wirtschaft und Recht) in Berlin. Viele Schwellen- und Entwicklungsländer locken Firmen mit etwas, was diese in ihren eigenen Ländern nicht kriegen: Einen fast rechtsfreien Raum, in dem Menschen zur reinen Arbeitskraft werden. Gerade das ist der Grund, warum es – mehr denn je – ein starkes Arbeitsrecht braucht.
Rechtsfreie Textilproduktion
Auch wenn in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen Arbeitsschutzbestimmungen für ihre Standorte weltweit verabschiedet, Richtlinien für ihre Zulieferer erarbeitet und internationale Abkommen unterzeichnet haben, haben diese Neuerungen kaum etwas genutzt. Besonders betroffen von der Problematik des fehlenden Arbeitnehmerschutzes ist die arbeitsintensive Textilproduktion. Damit das Hemd für den verwöhnten Kunden erschwinglich bleibt, wollen Modeunternehmen vor allem billig produzieren. „Eine aufmüpfige Gewerkschaft, die für einen ordentlichen Lohn und angemessene Arbeitszeiten auf die Barrikaden geht, stört dabei nur“, sagt Fichter. Vertreter des Freihandels gehen zwar davon aus, dass die „unsichtbare Hand“, die ihnen Gewinne beschafft, gleichzeitig auch für einen angemessenen Arbeitnehmerschutz sorgt. Aber die Realität zeigt das Versagen des Marktes. „Weltweit arbeiten immer noch Millionen Menschen ohne faire Bezahlung oder einen ordentlichen Arbeitsschutz – während die Unternehmen große Gewinne einfahren“, so Fichter.
Eine kürzlich im Journal of Development Economics veröffentlichte Studie zeigt, dass der Konkurrenzkampf unter den Ländern wie eine Abwärtsspirale funktioniert. Die Ökonomen Ronald Davies und Krishna Chaitanya Vadlamannati untersuchten, wie sich Nachbarländer verhalten, wenn ein Land seine Arbeitsrechte ändert. Das Ergebnis: Wenn Arbeiter das Recht auf die Gründung von Gewerkschaften oder auf Streiks verlieren, erlassen die umliegenden Staaten mit großer Wahrscheinlichkeit ähnliche Verbote.
Keine Kontrolle
Häufig helfen nicht einmal strengere offizielle Regelungen. Selbst wenn ein Land wie Bangladesch nach einem Unfall schärfere Gesetze verabschiedet, bedeutet das nicht, dass sich die Situation für die Arbeiter verbessert. Die Studie von Davies und Vadlamannati zeigt, dass viele Firmen trotz stärkerer Arbeitsrechte nichts zu befürchten haben. Denn die Einhaltung der Gesetze wird kaum oder gar nicht kontrolliert. Und auch hier gilt: Ist ein Land in der Durchsetzung seiner Gesetze nachlässig, schauen auch die Nachbarländer weg.
Die Studie weist also darauf hin, dass ein international geregeltes Arbeitsrecht notwendig ist. „Durch die Globalisierung ist in den vergangenen 30 Jahren ein Markt entstanden, auf dem Staaten weltweit agieren“, sagt auch Fichter. „Nur eine internationale Harmonisierung des Arbeitsrechts kann den Menschen gerecht werden.“ Ansonsten werden Länder mit stärkerem Arbeiterschutz auf dem internationalen Markt immer benachteiligt sein – und, um wettbewerbsfähig zu bleiben, mit einer Lockerung der Gesetze reagieren.
Arbeiterschutz für sozialen Frieden
Ein weiteres Argument für ein internationales Arbeitsrecht ist die Stärkung des sozialen Friedens. „Die steigende Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge verdeutlicht, dass wir uns schon lange nicht mehr nur um nationalen Frieden, sondern international um den Kampf gegen Armut und Ungleichheit bemühen müssen“, sagt Michael Fichter. In den vergangenen Tagen sind beispielsweise in China mehrere zehntausend Menschen auf die Straße gegangen, um für höhere Gehälter zu protestieren.
Um weltweit die Arbeitsrechte zu stärken, hat der UN-Menschenrechtsrat 2011 entsprechende Richtlinien für die Wirtschaft verabschiedet. Sie sind von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert worden und sollen unter anderem Kinder-, Zwangs- und Pflichtarbeit verhindern und Mindestlohn, Ruhezeiten und Mutterschutz garantieren. Kommt es zu Verletzungen der Richtlinien, soll es die Verantwortung von Unternehmen und Regierungen sein, für Wiedergutmachung zu sorgen.
Unfälle wie der Fabrikeinsturz in Bangladesch haben aber gezeigt, dass diese Richtlinien nicht ausreichen. Zwar verlangen sie, dass alle Unternehmen die international vereinbarten Menschenrechtsnormen mit sicheren und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen umsetzen müssen. „Aber sie beruhen zum größten Teil auf Freiwilligkeit“, erklärt Fichter. Deshalb brauche es nicht nur starke Arbeitsstandards, „sondern auch Mechanismen zur Überwachung und Durchsetzung – und Sanktionen bei Verstößen.“