Hat der Journalismus eine Zukunft?
Wir haben am Freitag, den 5. September 2014, mit unseren Gästen Theresia Enzensberger und Lorenz Maroldt die Frage diskutiert: Hat der Journalismus eine Zukunft? Nachfolgend dokumentieren wir den Verlauf der Diskussion für Euch. Es diskutieren miteinander und mit Euch die Herausgeberin des BLOCK-Magazins, Theresia Enzensberger, die zudem auch Krautreporterin ist, sowie Lorenz Maroldt, Chefredakteur der Berliner Printzeitung Der Tagesspiegel. Moderiert […]
Wir haben am Freitag, den 5. September 2014, mit unseren Gästen Theresia Enzensberger und Lorenz Maroldt die Frage diskutiert: Hat der Journalismus eine Zukunft? Nachfolgend dokumentieren wir den Verlauf der Diskussion für Euch.
Es diskutieren miteinander und mit Euch die Herausgeberin des BLOCK-Magazins, Theresia Enzensberger, die zudem auch Krautreporterin ist, sowie Lorenz Maroldt, Chefredakteur der Berliner Printzeitung Der Tagesspiegel. Moderiert wird die Diskussion von 10:00 bis 11:00 Uhr durch Christina Quast.
Glaubt ihr, dass der Journalismus noch eine Zukunft hat?
#sagwaslive
Transkript der Debatte: Hat der Journalismus eine Zukunft?
Q: Hallo auch von mir. Mein Name ist Christina Quast. Ich heiße euch auch alle ganz herzlich willkommen zu der Live-Debatte, bei der wir heute fragen: „Hat der Journalismus eine Zukunft?“, und vielleicht auch herausfinden, welche Zukunft er hat. Ich möchte vor allen Dingen eure Fragen stellen, also beteiligt euch gerne im Chat. Ich habe das Tablet hier neben mir liegen, da kommen die Fragen an, die werde ich dann in die Diskussion einbringen. An meiner Seite sitzt Lorenz Maroldt, er ist der Chefredakteur des Tagesspiegels, schon 20 Jahre bei dieser Zeitung. Deswegen meine erste Frage: „Print ist das tägliche Geschäft, aber wie lange wird die Zeitung tatsächlich noch auf Papier erscheinen? Werden es nochmal 20 Jahre werden?“
M: Also, das tägliche Geschäft ist längst viel, viel mehr als eine Zeitung zu drucken – da kommen wir wahrscheinlich gleich auch noch einmal zu. Ich habe eine interessante Diskussion in der Humboldt-Universität gehabt, gerade diese Woche, auch über das Thema. Das war noch eine altmodische Frage, diese finde ich schon fortschrittlich. Was die Zukunft des Journalismus ist, ist viel interessanter, als: Welche Zukunft hat die Zeitung? Aber da wurde noch einmal in die Runde gefragt und die Erwartung der Moderatorin war, da wird keiner sagen: „Ich lese noch Zeitung auf Papier“. Aber es waren so gut 2/3, die es noch getan haben. Und ich persönlich hänge da nicht dran, aber solange es Menschen gibt, die das gerne auf Papier lesen, wüsste ich nicht, warum wir das sein lassen sollten. Ich wage da keine Prognose darüber abzugeben, aber klar ist, es wird rapide zurückgehen, dass Leute auf Papier Zeitung lesen. Aber genauso wird rapide zunehmen, dass Menschen den Journalismus, den Journalisten herstellen, Redakteure herstellen, bearbeiten, in welchen Formen auch immer, weiter lesen werden. Eine höhere Reichweite, als wir heute haben, hatten wir noch nie mit dem Journalismus, den wir unter der Marke Tagesspiegel machen.
Q: Ich glaube die Prognose für Print in Deutschland ist: Bis 2030 werden wir noch gedruckte Zeitungen haben. Auf der anderen Seite sitzt Theresia Enzensberger. Sie ist Herausgeberin des BLOCK-Magazins. Bei dir habe ich eher den Eindruck – gedrucktes Papier ist Luxus. Das macht man, wenn man es sich leisten kann. Ist das so?
E: Ja, das macht man vor allem, wenn Leute es haben wollen. Und ich stimme da überein, ich glaube, dass Medien einander nicht ersetzen, sondern sich überlagern. Diese Debatte, die wir jetzt führen, gab es ja damals mit dem Kino und als der Tonfilm kam. Und es war immer die Frage: „Stirbt das Alte jetzt aus?“. Und ich glaube schon, Print muss heutzutage schon eine Daseinsberechtigung haben, aber vielleicht spricht man dann genau die Leute an, die irgendwie etwas Haptisches wollen, wenn man eben ein Luxusprodukt macht, oder etwas, was man aufheben will.
Q: Die erste Zuschauerfrage, die ich schon habe, ist: „Was tut man, wenn die junge Generation mit Print nichts mehr anfangen kann?“ Ich habe die Frage einmal um Zahlen ergänzt. Es gab auch eine Studie, die besagt: Durchschnittlich beschäftigen sich Jugendliche oder die jüngere Generation unter 30 sechs Minuten am Tag mit einer Printzeitung oder überhaupt mit Print, dreißig Minuten mit What’s App. Also, wie kriegt man diese Generation?
E: Das ist eigentlich eine Frage, die sich, glaube ich, ganz viele Marktforscher stellen, und die ich aber nicht beantworten kann. Deswegen haben wir das BLOCK-Magazin auch so direkt nach Nachfrage gemacht. Wir machen Crowdfunding, oder eigentlich machen wir das altmodische Modell, der Subskription und das Gute daran ist, dass, wenn 1500 Leute sagen: „Wir wollen das haben!“, dann drucke ich es – wenn nicht, dann nicht. Ob das jetzt junge Leute sind oder alte Leute, ich mache da keine Erhebungen. Unsere Autoren sind alle jung, unsere Fotografen sind alle jung. Inhaltlich gehe ich einmal davon aus, dass unsere Leser eher jung sind.
Q: Wie sieht es aus beim Tagesspiegel? Versucht man die Leute überhaupt, oder die jungen Leute vor allen Dingen, überhaupt noch zur Zeitung zu bringen oder einfach schon zu anderen Formaten, oder sie da abzuholen, wo sie sind, nämlich bei What’s App?
M: Naja, also ehrlich gesagt, What’s App … Früher haben sich Leute auch, wenn sie jung waren, die Zeit mit etwas anderem vertrieben, als Zeitung zu lesen. Und was auf What’s App läuft, hat nichts mit dem zu tun, was uns beschäftigt. Uns beschäftigt aber das, was auf ganz vielen anderen, vor allen Dingen, sozialen Medien passiert und natürlich haben wir auch in der Redaktion – es ist ja auch eine Frage, wie sich die Generationen ablösen – haben wir ganz junge Leute, die ganz andere Interessen haben, die ganz andere Dinge tun als Redakteure, auch ein ganz anderes Grundverständnis von Nachrichtenübermittlung, von spannenden Geschichten, von Journalismus einfach mitbringen, die ganz automatisch auch andere Dinge tun. Und wenn Sie fragen: „Was tun wir, um uns an junge Leute zu richten?“ – so gezielt tun wir das eigentlich gar nicht, weil das ist der größte Fehler, den die meisten machen: „Was können wir jetzt für junge Leute tun?“ – das ist der totale Kokolores schlechthin. Wir hatten letztens eine interessante Geschichte: Wir haben jeden Freitag eine Nachrufe-Seite. Da werden jeweils drei Berliner, die die meisten Menschen überhaupt nicht kennen, noch einmal auf 180, 200, 250 Zeilen gewürdigt – eigentlich ein Unding. Das ist in der Zeitung gedruckt total beliebt. So, und jetzt haben mehr als 800 000 Menschen diesen Nachruf online gelesen, weil der sich über soziale Medien, also vor allen Dingen Twitter und Facebook, total verbreitet hat, weil das einen jungen Menschen betraf. Und das ist zum Teil nicht zu kalkulieren, was läuft, was läuft nicht, und zum Teil wundert man sich, wie das durch die Decke schießt mit dem, wo man denkt, also, wenn man jetzt herangehen würde und sagen: „Wir machen das für junge Leute“, würde man nie auf die Idee kommen zu sagen: „Wir bringen denen einmal einen Nachruf nahe.“
Q: Soziale Medien sind auch ein Thema. Ich würde auch gerne die Frage stellen – der Konsum hat sich ja geändert. Wir betrachten das meiste auf einem postkartengroßen Bildschirm und nicht mehr auf dem Fernseher einzeln, auf dem Radio einzeln. Muss sich da der Journalismus anpassen, muss er sich da irgendwie ändern wegen diesem Format?
M: Der gedruckte Zeitungsjournalismus muss sich ändern. Das heißt – wir sind lange schon davon weg, aber viele andere auch noch nicht – wir müssen wegkommen davon, die Zeitung erstens als Nachrichtenmedium zu verstehen und zweitens als kleinteiliges Medium für kleine Geschichten. Wir versuchen, mit ganz großflächigen Sachen zu experimentieren. Wir haben jeden Samstag auf großformatigster Weise Kunst in der Zeitung, also Dinge, die man eben auf dem Tablet nicht ganz so genießen kann. Und wenn mir jemand, wie der Fraktionsvorsitzende der Piraten in Berlin, Martin Delius, sagt: „Seit es das gibt bei euch, kaufe ich Samstags wieder eine gedruckte Zeitung“, zeigt mir das: Es ist nicht völlig verrückt, was wir da tun. Ob das jetzt die Zukunft des Journalismus ist, das ist eine andere Frage, aber es ist zumindest ein Hinweis darauf, dass man die Medien unterschiedlich ausspielen muss. Und da hat eine gedruckte Zeitung, zumal in einem großen Format, durchaus Dinge zu bieten, die eben ein Smartphone, oder auch ein Tablet, so nicht anbieten können.
Q: Du hast, glaube ich, Film studiert, wenn das richtig ist, machst jetzt ein Magazin. Wie sieht es aus: Ist eine Unterscheidung in Print, TV, Radio überhaupt noch sinnvoll? Weil ich meine, die meisten Medienhäuser machen sowieso alles. Also, ich finde ja heute bei meiner Zeitung online Videos, ich finde Audios, während das Fernsehen immer ergänzend auf Texte verweist. Macht diese Unterscheidung, in diese drei klassischen Medien überhaupt noch Sinn?
E: Ich glaube, die klassische Unterscheidung ergibt vielleicht keinen Sinn mehr. Aber wo ich schon übereinstimme, ist, dass jedes Medium Qualitäten hat, die ihm inhärent sind, und dass man sich auch danach richten muss. Das Internet ist ja ganz offensichtlich ein Medium der Schnelligkeit und ich glaube, Geschwindigkeit ist wichtig . Aber ansonsten glaube ich, dass die Chance halt besteht, dass Journalismus auf vielen Ebenen stattfinden kann. Meine Kollegen von Das Filter haben das so schön gesagt, sie haben gesagt: „Wenn etwas gut ist, kann es auch auf einer Eierschale stehen“. Ich glaube, dass der Kampf um, welches Medium jetzt das richtige ist, also dieser ideologische Grabenkampf, ich glaube, der ist irgendwie eher abträglich der ganzen Sache, weil man dann aufhört, sich auf Qualität zu konzentrieren.
Q: Wenn es um Qualität geht und überhaupt Journalismus, ganz unabhängig vom Medium – er muss sich immer finanzieren lassen oder man muss hinterher Geld verdienen. Wir haben auch die Frage von den Zuschauern bekommen: „Wird das Fachpersonal einfach durch die unbezahlte ‚Generation Praktikum‘ ausgetauscht?“ Ist das ein Weg erst einmal Geld zu sparen? Bringt das was, ändert sich da inzwischen schon etwas?
M: Der größte Fehler der Zeitungshäuser, der Verlage, war zu glauben, der Krise dadurch zu begegnen, indem man spart, also Redaktionen kleiner macht, Gehaltserhöhungs-Zyklen ausweitet usw. – das ist Kokolores, das hat nicht funktioniert, das weiß man inzwischen. Was die Finanzierung von Journalismus betrifft: Es gibt halt vier Möglichkeiten, von denen sich die einen oder anderen auch überschneiden – Entweder zahlt der Leser, Krautreporter alleine, oder es zahlen die Anzeigenkunden, die normalen Zeitungen plus die Leser, oder es zahlt beispielsweise eine Stiftung – das gibt es ja auch – oder es zahlt der Staat. Und da kann man sich aussuchen: Irgendwer wird bezahlen müssen und eine Mischung aus den Dingen gibt es ja. Also auch Zeitungen sind ein bisschen subventioniert, was die Mehrwertsteuer betrifft. Die Frage kann man nicht mit einem Satz beantworten. Da muss jeder seinen Weg finden, wie er sich finanziert. Die Online-Auftritte der Zeitungen beispielsweise, aber auch die Blogs, die es gibt, die finanzieren sich alle über Werbung. Da zahlt kein Nutzer, kein Leser nur einen Cent dafür. Das wird sich, glaube ich, auch nicht ändern.
Q: Dann gleich auch eine Nachfrage: „Gibt es da einen Königsweg oder muss man irgendwie den gesunden Mix aus allen Sachen finden? Wo geht es hin?“
M: Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel, was wir probieren, um zu gucken: „Wie können wir etwas anders tun, als nur einfach eine Zeitung zu drucken und zu hoffen, dass sie einer kauft?“ Also, wir haben überlegt: „Was haben wir für Qualitäten?“ Wir sitzen in Berlin. Hier sind alle Politikentscheider zusammen, die das Land braucht. Wir haben eine sehr, sehr große Politikredaktion. Wir vergrößern das Ding nochmal und diversifizieren unser Angebot. Wir haben Teile der Inhalte in der Zeitung, Teile haben wir im Netz. Aber wir haben gesagt: „Wir versuchen einen Newsletter zu machen.“ Der ist für die Nutzer kostenlos. Der beschäftigt sich aber nur mit den Inhalten, die die politischen Köpfe in Berlin brauchen. Das ist vielleicht eine Zielgruppe von 40 000 Menschen in der Stadt. Das ist gar nicht so groß in dieser Stadt, aber das ist eine sehr interessante Zielgruppe. Also machen wir für die Gesamtgruppe einen Info-Newsletter und vermarkten den über Anzeigen, über Werbung – und das funktioniert. Und das andere ist: Es gibt Leute, die sind hochspezialisiert, also beispielsweise: Energiesektor. Es gibt ganz viele Menschen hier, Politiker, Lobbyisten, sonstige Interessierte, aber auch Kommunalwerker aus irgendwelchen Dörfern, die sind daran interessiert: „Was tut’s zum Thema Energiewirtschaft?“ Die wollen nicht wissen: „Das Gesetz ist beschlossen“, sondern die wollen wissen: „Was bahnt sich da an, wo ist der erste Referentenentwurf? Können wir da noch eingreifen?“. Und die bedienen wir mit einer anderen Art von Newsletter, der kostet die Leser sehr viel Geld, dann kostet der im Monat 200/300 Euro. Es ist hochspezialisiert, können wir uns aber auch leisten, weil wir die Leute in der Redaktion haben, die sich eben mit einem Thema so exakt gut auskennen, dass von deren Nutzen andere mehr profitieren können als bisher, wenn man gesagt hat: „Nee, wir haben nur noch 30 Zeilen im Blatt.“
Q: Du finanzierst dein Magazin über Crowdfunding. Was hast du da so für Erfahrungen gemacht? Warum dieses Modell und eben nicht Stiftungen oder andere Möglichkeiten, das zu finanzieren?
E: Naja, eigentlich, diese Innovation, als dass das Crowdfunding so daherkommt, ist es ja eigentlich gar nicht, das ist eigentlich nur eine Rückkehr zum leserfinanzierten Journalismus. Ich meine, der Anzeigenmarkt, den wir heute kennen, gibt es erst seit dem 19. Jh. und ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. Ich würde nie anderen sagen, wie sie das zu tun haben, aber ich glaube, es ist ein Vorteil – auch bei Krautreporter jetzt – dass wir unabhängig sind von Anzeigenkunden, gerade wenn man so sieht, in welche Richtung sich das bei anderen Publikationen entwickelt. Ich meine, bei Vice gibt es Videos, die sind content-controlled. Da sitzt der Werbekunde mit in der Redaktionssitzung und solche Sachen. Das kann man halt vermeiden, wenn man sich nur über die Leser finanziert.
M: Es sei denn, die Leser haben auch Interessen, kann natürlich auch passieren.
E: Das kann passieren.
M: Im Prinzip ist das richtig, was du sagst. Die Gefahr ist bei Anzeigenkunden natürlich größer, zumal wenn einzelne Anzeigenkunden sehr viel Geld bei einem Medium ausgeben – aber natürlich kann das auch andersherum funktionieren. Du musst natürlich auch, gerade wenn du leserorientiert bist, gucken: „Wie entwickelt sich denn das?“ Wenn die Leser bröckeln, musst du dein Konzept in Frage stellen und bist möglicherweise vor die Wahl gestellt: „Tue ich jetzt das, von dem ich überzeugt bin, oder tue ich das, was meine Leser wollen?“ – und das muss nicht immer dasselbe sein. Da kann eine andere Art von Abhängigkeit entstehen, die zwar nichts mit Käuflichkeit zu tun hat, aber doch etwas mit dem, was Journalismus eigentlich sein sollte und dann in dem Fall vielleicht nicht mehr ist.
E: Ja, da hat man dann natürlich aber auch einen Vorteil, wenn man eben nicht klar politisch ist. Z.B. die taz hat damit Erfahrungen gemacht, wenn dann auf einmal ganz viele Leser abspringen. Und die haben dann alle angerufen an dem Abend und so … Aber die haben auch eine klare politische Richtung und Linie, und wenn sie dann abweichen, haben sie dann Probleme mit den Lesern, während bei Krautreporter keine klare politische Linie vorgegeben ist. Natürlich muss man sehen, wie sich das entwickelt – das wissen wir alle noch nicht, deswegen ist es ja auch ein Experiment. Aber es ist auf jeden Fall ein Vorteil, weil sich dann vielleicht andere dort hingezogen fühlen, oder weil bestimmte Leute wegen Autoren da bleiben, und nicht wegen einer politischen Linie.
M: Aber das wird ja genau das interessante sein bei Krautreporter – denn so unterschiedlich zu dem, was Zeitungshäuser machen, ist es dann ja nicht. Es wird, wenn ich es richtig verstanden habe, jeden Tag vier Artikel neu geben, und die Mischung wird schon interessant sein. Natürlich wird bei euch auch beobachtet werden, welche Texte laufen und welche nicht. Und irgendwann wird vielleicht einer sagen: „Die Auslandsreportage funktioniert doch nicht so gut, wie wir uns es erhofft haben.“ Und ein Teil der Leute, die bei euch arbeiten, die das eben gerne machen, stehen dann vielleicht tatsächlich vor der Frage: „Macht das noch Sinn?“. Das sind Diskussionen. Ich bin da sehr gespannt. Ich freue mich darauf das zu beobachten. Ich könnte mir nur vorstellen, dass die Diskussionen gar nicht mal so unterschiedlich sein werden, wie bei uns in der Redaktionskonferenz, wenn wir sagen: „Stimmt die Mischung?“
E: Ja, das werden wir sehen.
Q: Ich schalte mich auch noch einmal zum Thema Finanzierung ein. Also, die Krautreporter haben sich ja auch über das Crowdfunding finanziert. Die klassischen Medienhäuser haben Bezahlschranken in verschiedenen Formen in den letzten Jahren eingefügt, also, dass man nach einer bestimmten Anzahl von Artikeln zahlen muss, dass man ein komplettes Abo hat. Da gibt es die Zuschauerfrage dazu: „Würde es denn nicht schon weiterhelfen, wenn es ein einheitliches Modell geben würde und wenn nicht jede Zeitung oder jedes Medienhaus seine Insellösung macht, wo man sich registrieren muss, wo es jedes Mal anders ist – ob man sich da nicht zusammentut?“ Wäre man da schon einen Schritt weiter, den Journalismus der Zukunft zu finanzieren?
M: Also erstens darf man das nicht. Das setzt das Kartellamt vor – und das auch eigentlich zu Recht. Und zweitens macht es überhaupt keinen Sinn, den Großteil des Contents, der da online läuft, auch von den großen Häusern, zu verpreisen, weil das ein Inhalt ist, der von vielen anderen, die sich dem nicht anschließen würden, ähnlich geliefert werden kann. Und wenn er gekapert, geklaut, kopiert, und sonst wie weiter verwaltet wird … – es macht keinen Sinn mit dem normalen Nachrichtenstrom zu versuchen Leute zum Zahlen des Lesens des Inhalts zu bringen.
Q: Ich glaube, es ging weniger darum, die Inhalte in einen Pool zu packen, sondern dass man z.B. ein einheitliches Login hat oder sich nicht bei jeder Zeitung neu einloggt.
M: Aber das ändert nicht die Ausgangslage, dass es mir vielleicht nicht so wichtig ist, Geld dafür auszugeben, dass ich die neueste Ukraine-Meldung von FAZ, Welt, Süddeutscher, Tagesspiegel, Berliner Zeitung oder sonst etwas lese, sondern ich kriege es von irgendwelchen anderen Portalen auch mit, die man nie alle unter einen Hut kriegt. Und das finde ich eigentlich auch sehr gut so. Natürlich ist es auch eine Qualitätsfrage. Natürlich ist es die Frage: „Wie glaubwürdig ist die Nachricht, die ich bekomme?“ Gerade was Krisensituationen, wie jetzt die Gaza-Geschichte oder auch Ukraine-Russland betrifft. Aber wenn man sich die Diskussionen über das, was die traditionellen Medien berichten, anschaut, dann ist die Frage der Glaubwürdigkeit da eben auch sehr mit einem Fragezeichen zu versehen.
Q: Dann stelle ich einmal die Frage: „Habt Ihr schon einmal für Journalismus bezahlt?“ Das würde mich schon interessieren.
M: Ob wir für Journalismus bezahlt haben? Naja, ich bezahle ständig für Journalismus.
Q: Im Internet vor allen Dingen, online…
M: Naja, ehrlich gesagt, natürlich lese ich auch noch Zeitung auf Papier, aber ein Großteil meiner täglichen Lektüre findet in Form von E-Papern oder digital statt. Und ich bezahle auch für bestimmte Abos. Das ist für mich natürlich selbstverständlich, aber auch eine ganz andere Ausgangslage. Das ist ja mein Beruf, mich dafür zu interessieren. Ich merke aber an mir selber, immer dann, wenn mich einer auffordert, doch etwas zu bezahlen und ein Abo abzuschließen, und sei es noch so gering, habe ich eine Hemmung, die ich nicht habe, wenn ich irgendwie in einen Laden gehe und mir einen Kaffee für drei Euro kaufe. Und das ist nicht ganz rational zu erklären, aber das ist so. Und ich glaube, ich würde mich als Mensch, der nichts mit Medien zu tun hat, sehr, sehr schwer tun für, Inhalte online Geld auszugeben.
Q: Das heißt, man muss da etwas ändern, wenn man das selber schon merkt als Produzent. Gibt es da eine andere Lösung – Wie schaffe ich es, dass ich mir den Journalismus so selbstverständlich kaufe, wie den Kaffee für drei Euro.
M: Naja, indem man nochmal ein bisschen ernster nimmt, was die eigenen Fähigkeiten sind, und was die eigenen Fähigkeiten vielleicht als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Angeboten ausmachen könnte. Um es praktisch zu machen – für eine Zeitung wie den Tagesspiegel, der in Berlin erscheint, ist natürlich der Fokus, weil es sehr viele, sehr gute Online-Sachen unabhängiger Art gibt, die über Berlin berichten, dass wir da versuchen, da möglichst richtig Klasse, originell, relevant zu sein auf eine Art und Weise, die eben andere schlägt. Das ist ein klares Ziel, muss auch sein – das werden die anderen in Berlin auch haben. Aber das ist etwas, wo man weiß, da könnten wir besser sein als beispielsweise der Gütersloher Generalanzeiger, weil wir da etwas haben, das andere eben nicht haben. Wir sitzen in Berlin, für die Stadt interessieren sich viele, darauf kann man sich konzentrieren. Was wir nicht erwarten können, ist, dass wir mit Berlin-Nachrichten im Netz Geld verdienen können. Was wir aber vielleicht schaffen können, ist, dass wir Angebote bündeln, die frei sind von dem täglichen Nachrichtenstrom, die so interessant sind, dass Leute sagen: „Das leiste ich mir“ – das glaube ich durchaus schon. Also, wir haben auch in der Zeitung Inhalte, die wir nicht sofort ins Netz geben, eben auch aus dem Grund, weil wir sagen: „Die werden nicht von dem täglichen Mahlstrom der Nachrichten gefressen, sondern die sind es wert, dass sie besonders betrachtet werden.“
Q: Wie sieht es bei dir aus? Wie leichtfertig oder wie schnell gibst du Geld für Journalismus aus wie für den Kaffee?
E: Ich zahle auf jeden Fall für Journalismus, allerdings hauptsächlich Print. Einer der Gründe, warum ich glaube, dass die Paywall nicht funktioniert, ist, weil das Internet nicht so funktioniert, weil Inhalte eben anders geteilt werden. Wenn ich auf Facebook auf einen Link klicke, dann geht es mir da nicht darum, welche Zeitung ich lese, sondern dass ich diesen Artikel lesen will, und wenn Sachen viral gehen, gehen die nur viral, wenn sie keine Paywall haben. Das heißt, wenn ich da draufklicke, dann will ich nicht für die taz zahlen, sondern will ich vielleicht für den Autor zahlen. Ich weiß gar nicht, warum ich immer die taz nenne. Es gibt natürlich viele andere.
M: Weil es die teuerste ist.
E: Weil es die einzige ist, wo so ein Banner kommt. Oder wenn ich Informationen sammle – und ich glaube, da liegt vielleicht auch ein großer Unterschied, und es hat vielleicht auch mit der Schnelligkeit zu tun – aber Informationen und Nachrichten sind etwas, bei dem die Leute gewöhnt sind mittlerweile, es im Netz umsonst zu bekommen. Auch Städtezeitungen z.B funktionieren deswegen schlechter, weil es Blogs gibt, die dir sagen, wo das beste Restaurant ist. Aber für Meinungen und für Essays und für tiefer gehende Analysen, da bin ich bereit zu zahlen, aber da zahle ich dann auch eher für eine Print. Ich habe z.B. den New Yorker abonniert oder ich hatte eine Zeit lang den Economist abonniert. Da sind eben keine schnellen Nachrichten drin. Denn wenn ich mir die Tageszeitung kaufe, dann weiß ich, dass ich zwei Stunden vorher auf Twitter schon dasselbe gelesen habe, oder dass es einfach nicht mehr in den Druck gekommen ist, rechtzeitig.
M: Also, zwei Sachen vielleicht dazu: Ein aktuelles Beispiel, das das unterstützt: Gestern hatte die FAZ für den deutschen Markt die Nachricht, dass der frühere Verteidigungsminister Guttenberg alle in den Senkel stellt, die hier in der Politik sind. Also ganz eine Philippika losgelassen über die westliche Verteidigungsgemeinschaft, über Amerika, über Deutschland usw. – also richtig ganz schlimm, und hat verlinkt zum Originalbeitrag – es war, glaube ich, das Wall Street Journal. Und ich dachte: „Ok, das gucke ich mir im Original an.“ Klick, Link – zehn Zeilen und dann: „Subscribe here“. Da habe ich gedacht: „Nee, ich habe keine Zeit.“ Dann bin ich zurück wieder zur FAZ und habe sozusagen die Sekundärquelle zu Ende gelesen. Also, ich hatte einfach keinen Bock, dafür jetzt irgendwie so einen Vorgang in Bewegung zu setzen. Und das andere ist – da möchte ich slightly widersprechen – was die Restaurant-Tipps betrifft in Blogs, das ist ein Feld, wo, glaube ich, die Häuser, die eine Tradition haben, durchaus auch einen Vorteil haben. Weil, ich bin mir als Nutzer eines Blogs nie sicher, warum empfiehlt der mir jetzt dieses Restaurant ausgerechnet? Ich bin mir auch nicht sicher, warum empfiehlt der mir diesen Laden oder warum empfiehlt sie mir diese Veranstaltung? Das ist eine Frage, da müssen sich auch Blogger, glaube ich, nochmal deutlich hinterfragen – auf Dauer wird das nicht gutgehen, Anzeigen, die keine sind, aber wo trotzdem Geld fließt, zu benutzen, als wenn das eine normale Finanzierung eines Blogs wäre.
E: Aber das haben Sie ja auch in klassischen Medien. Also, alle Frauenzeitschriften kriegen wahnsinnig viele Klamotten und Kosmetik und auch der tip arbeitet, glaube ich, zusammen in Kooperation mit bestimmten städtischen Sachen. Also, die Integrität bei Blogs ist nicht geringer, als die bei anderen Lifestyle-Sachen, wo völlig genauso klar ist, dass die Produkte gesponsert werden.
M: Also, ich bin der Letzte, der jetzt hier die Frauenzeitschriften verteidigt und selbstverständlich wird da auch etwas falsch gemacht. Aber im Gegensatz zu den Blogs, gibt es da eine Aufsicht und auch eine Selbstverpflichtung der Zeitungen, ob sie nun digital oder auf Print verbreitet werden, dass sie Anzeigen kenntlich machen. Und wenn sie das nicht tun, kriegen sie Ärger mit dem Presserat. Bei Blogs gibt es noch nicht einmal eine Selbstverpflichtung, das zu tun. Und das Beispiel Zalando, was jetzt auch gerade hochgekommen ist, zeigt ja deutlich, dass da sehr viel mehr passiert, als das für den Leser, für den Konsumenten erkennbar ist. Ich glaube, da haben Blogs noch ein bisschen was zu tun, um die Glaubwürdigkeit, die ihnen unterstellt wird, auch auf Dauer erhalten zu können.
E: Wahrscheinlich, aber das ist ja immer das Problem, dass die Werbung Authentizität vermitteln möchte und sobald es Werbung ist, nicht mehr authentisch ist und – das ist vielleicht ein bisschen idealistisch gedacht – aber es gibt im Konsument so ein „Gefühl“ für so etwas, und deswegen können sich Blogs z.B. auch einfach über längere Zeit beweisen in so etwas. Die werden erst einmal als authentischer empfunden, und dann werden sie entweder von Burda gekauft oder eben nicht. Und dann verlieren sie aber eben auch genau das, was viele Leute am Anfang attraktiv fanden an ihnen. Vielleicht ist es so eine idealistische Vorstellung, aber ich glaube, es gibt auch bei den Lesern ein ganz starkes Gefühl für so etwas, das darf man nicht unterschätzen.
Q: Ich würde auch gleich noch einmal zu den Bloggern kommen und überhaupt, wie man guten Journalismus im Netz identifizieren kann. Um nur noch einmal kurz die Finanzierungs-Sache des Journalismus abzurunden: Wir haben hier ein paar Kommentare dazu. Es gibt nicht unbedingt Vorbehalte dagegen, zu bezahlen, es wird einem ziemlich schwer gemacht durch diese unterschiedlichen Systeme. Einer schreibt hier: „Ich lese den halben Artikel und dann kommt erst die Paywall.“ Es ist halt einfach nicht gut gemacht für den Leser, weil er schon tatsächlich zahlen möchte. Dann habe ich hier auch noch die ganz interessante Frage, wenn man den Spieß einfach mal umdreht: „Brauchen Redaktionen und Journalisten denn heute, mit dem Internet im Hintergrund, überhaupt noch große Verlage und Medienhäuser? Kann das auch anders herum funktionieren? Braucht man diesen Apparat noch dahinter?“, möchte einer unserer Zuschauer wissen.
M: Ja, weil ich glaube, dass Journalisten nichts damit zu tun haben sollten, den Vertrieb zu organisieren, Print oder online, und auch nichts damit zu tun zu haben, Anzeigen zu akquirieren. Dafür braucht man eben tatsächlich auch Verlage oder Verlagsmenschen, die sich darauf konzentrieren. Und ich glaube, das wird oft unterschätzt. Das ist eben eine Arbeit, die nicht nur Journalisten von der Arbeit abhalten würde, sondern die einfach auch oft konträr zu der Aufgabe von Journalisten steht. Deswegen glaube ich, wird man auf solche Apparate nicht verzichten können.
E: Na, ich beim BLOCK-Magazin, ich mache ja alles selber, aber wir agieren ja auch in einem recht kleinen Rahmen. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, Teil eines Verlags zu sein, nur da ist eben das Problem, dass man sofort im Griff der Marktforschung ist. Also, die Verleger sagen einem dann – ich bin z.B. mit diesem Magazin tatsächlich zu Verlegern gegangen – die haben alle gesagt: „Du spinnst ja, du willst Print machen für die Digital Natives. Das machen wir nicht.“ Und das heißt, es gibt im Internet die einmalige Chance, solche Sachen dann eben doch zu machen, auch wenn es nur in einem kleinen Rahmen ist und auch, wenn ich mich um Anzeigen kümmern muss und auch, wenn ich mich um den Vertrieb kümmern muss – wenigstens kann es in der Welt sein, wenigstens kann es existieren und wird nicht sofort irgendwie in irgendeiner Chefetage gekillt von irgendeinem Marktforscher. In einem großen Rahmen braucht man natürlich Verlage noch, aber es gibt Chancen durch das Internet.
Q: Genau, es gibt quasi eine zusätzliche Option, auch ohne diesen Apparat im Hintergrund auszukommen. Da würde ich jetzt eben noch einmal auf die Frage kommen: „Wie kann man als Nutzer im Internet unterscheiden – Was ist tatsächlich Journalismus, der von Leuten gemacht wurde, die eine Ausbildung haben, und was ist eben – ohne jetzt Blogger zu verunglimpfen – was ist ein Blogger, der vielleicht keine journalistische Ausbildung hat? Wie kann ich da die Quellen erkennen? Kann ich da einen Unterschied erkennen? Wie muss sich da der Journalismus positionieren?“
E: Das ist jetzt eigentlich schon wieder die Frage nach der Legitimierung und natürlich sind im Internet die Grenzen fließend. Das ist auch ein bisschen, wie wir vorhin über die Stadtblogger geredet haben. Natürlich gibt ein Verlag einer ganzen Sache eine Art Legitimation, die schwierig zu erreichen ist im Internet. Aber was die Ausbildung der Journalisten angeht – viele Journalisten waren nie auf einer Journalistenschule und meiner Meinung nach, wirkt sich das oft ganz gut auf deren Prosa aus. Denn es gibt in Journalistenschulen so einen Ton, den man lernt und den man dann anwendet, wenn man schreibt. Das ist an sich auch nicht verwerflich, aber es ist halt so eine Gleichheits-Geschichte und ich weiß nicht, ob ich mir wünschen würde, dass alle Journalisten auf der Journalistenschule waren.
Q: Dann hänge ich einfach mal die Frage an: Wie viel Ausbildung braucht mal als Journalist? Es ist ja prinzipiell ein zugangsfreier Beruf. Es darf sich ja tatsächlich jeder Journalist nennen.
E: Also, viele Leute haben ja z.B. Geschichte studiert oder Politikwissenschaften. Ich glaube schon, dass es gut ist, eine Ausbildung zu haben, das meine ich nicht.
Q: Ich meinte schon journalistische Ausbildung …
E: Da bin ich vielleicht die Falsche, weil ich eben nicht auf einer Journalistenschule war, ich habe auch keinen Vergleich. Aber das Sprachliche wird, glaube ich, oft vernachlässigt heutzutage im Journalismus und das ist, was man anscheinend nicht lernt auf einer Journalistenschule.
Q: Wie ist die Sicht der Dinge da bei Dir?
M: Wenn es das Kriterium ist, das Gespräche beendet, weil, ich war auch nie auf einer Journalistenschule. Ich habe noch nicht einmal ein Volontariat gemacht …
Q: Deswegen frage ich ja: Wie viel Ausbildung braucht man?
M: Ich halte das nicht für vorbildlich. Ich habe viel von älteren Journalisten gelernt und das war extrem wichtig. Wir haben ja Volontäre, die wir sehr gezielt ausbilden, und zwar nicht nur monothematische, Hauptsache sie schreiben gut, sondern das hat sich ja auch entwickelt, die Ausbildung von Volontären, eben auch was das Digitale betrifft. Das ist heute auch etwas ganz anderes, als ein Volontariat oder eine Journalistenschule vor ein paar Jahren noch war. Aber ich halte das auch, glaube ich, für nicht möglich, so pauschal zu sagen: „Die Leute, die von Journalistenschulen kommen, haben so einen Einheitssound drauf.“ Es gibt wirklich exzellente Journalistenschulen. Und wenn man einen Redakteur kriegen kann, der beispielsweise auf der Nannen-Schule war, dann weiß man: Die sind richtig, richtig gut ausgebildet. Also, wer die Nannen-Schule hinter sich hat, der ist einfach Klasse. Und was die Ausbildung ansonsten betrifft mit Studium vorneweg – ja, klar, es gibt ganz viele Geisteswissenschaftler im Journalismus. Aber was man wirklich händeringend sucht und braucht, das ist ein Wissenschaftler, der so schreiben kann, dass die Leute es auch verstehen, die selber keine Wissenschaftler sind. Das sind Juristen, die journalistisch so schreiben können, dass es auch normale Menschen verstehen – das finde ich viel, viel wichtiger. Natürlich ist Sprache eine Grundlage. Jemand, der nicht geradeaus schreiben kann, der kann eben nicht Journalist werden. Und einer, der keine Leidenschaft hat zu recherchieren oder zu faul ist, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen, der kann eben auch kein Journalist werden – das sind fast schon Selbstverständlichkeiten.
E: Darf ich noch einmal ganz kurz klarstellen, dass ich nicht pauschal alle Journalistenschüler verurteilen will, sondern dass ich ein bisschen Angst davor habe – das passiert ja im Literaturbetrieb auch – dass wir in so eine Kader-Geschichte kommen. Und ich glaube schon, dass Journalismus auch von Vielfalt lebt. Und dann bin ich immer froh, wenn jemand kommt, der sagt: „Ich schreibe aber anders. Ich mache das anders. Ich experimentiere jetzt damit.“
M: Also bin ich absolut d’accord, weil auch aus meiner Sicht zu viel Wert bei Journalistenschulen darauf gelegt wird, dass die tolle Seite-3-Geschichte am Ende dasteht. Und das ist eben nicht nur Journalismus, sondern der besteht aus noch vielen, vielen anderen Dingen. Das ist in der Tat ein Punkt, da wird zu viel Wert darauf gelegt. Also, als guter Journalist gilt, oder als bester Journalist gilt der, der die beste Seite-3-Reportage geschrieben hat oder die, die die tollste Titelgeschichte formuliert hat – das ist, glaube ich, in der Tat ein Irrweg.
Q: Es gibt ja auch nicht nur die Journalistenschulen – das mach ich noch einmal deutlich, das klang ja schon an – man kann ja auch Journalistik an sich studieren. Da knüpft die nächste Frage eines Zuschauers an, der der Meinung ist: „Die Krise des Journalismus ist auch eine Krise der Ausbildung, weil sich dort immer mehr private Hochschulen einschalten, die mit der Ausbildung Geld machen wollen, bei der staatlichen oder öffentlichen Ausbildung das Geld am Ende fehlt und entsprechend die Leute nicht gut genug ausgebildet sind für den Markt.“
M: Das bezieht sich jetzt auf Ausbildung an Universitäten?
Q: An Universitäten, genau, eben nicht an den Journalistenschulen.
M: Da bin ich auch sehr skeptisch. Das liegt alleine schon daran: Wenn die Lehrpläne geschrieben sind und das Semester läuft, hat sich meist die Grundlage dessen, was da gelehrt wird, schon wieder ein wenig geändert. Ich habe den Eindruck , dass die Unis nicht wirklich hinterherkommen, wenn es darum geht, Journalismus herüberzubringen. Grundlagen von Kommunikation usw., mag ja alles sein, aber selbst da kommen die schon ins Hintertreffen. Ich merke das oft, wenn ich mit Uni-Leuten auch auf Podien diskutiere – die wissen immer hinterher ganz genau, warum sie sich vorher geirrt haben, aber das hilft einem als Student nicht weiter.
E: Das führt vielleicht zu weit, aber – in Deutschland sind ja die Unis sehr hoch staatlich subventioniert, um nicht zu sagen staatlich finanziert, und wenn in so einem System dann private Unis kommen, dann ist es etwas anderes, wie z.B. in Amerika. Da gibt es auch staatliche Unis, aber da ist das System schon eher auf so etwas ausgerichtet und da leidet dann vielleicht die Qualität nicht darunter. Das ist natürlich sozial ungerecht usw., aber auf jeden Fall ist es schwierig, solche Sachen zu implementieren, wenn das System schon auf so eine staatliche Sache ausgerichtet ist. Und da ist es ja auch die Legitimierung. Wenn jemand von einer privaten Uni zu einer Redaktion kommt, hat er vielleicht weniger Chancen, wie wenn er von der Nannen-Schule kommt.
Q: Ich habe hier die ganz konkrete Frage auf meinem Bildschirm: „Wie wird man als freier Print-Autor in Zukunft noch überleben können?“ Ich würde vielleicht die Frage mit anhängen: „Was muss ich können, um in Zukunft zu überleben?“
M: Also, ehrlich gesagt, Freier Print-Autor ist kein Beruf, das muss man einfach so drastisch sagen, das ist etwas für Berufseinsteiger und das ist etwas für Leute, die aus dem Beruf langsam rausgehen oder für Leute, die sich nebenbei etwas dazuverdienen. Ich kenne keinen oder ganz wenige Leute, die auf Dauer als freie Zeitungsjournalisten tatsächlich so viel Geld verdienen können, dass sie darauf ein Leben aufbauen können, mit Familie und mit allem, was dazugehört. Das sage ich auch den Leuten immer ganz klar, da muss man sich darauf einstellen, das wird man nirgendwo finden, da sind die Honorare viel zu gering für. Und entweder man schafft es tatsächlich rein in eine Redaktion, sei es als Pauschalist am Anfang oder später als Redakteur, oder man muss sich wirklich überlegen: „Was kann man vielleicht sonst tun?“ Es gibt ganz wenige Menschen, die als freie Zeitungsautoren überleben können und das sind diejenigen, die wirklich eine Marke geworden sind, die also tatsächlich über ein bestimmtes Merkmal, entweder ein Thema, mit dem sie verbunden werden oder durch einen bestimmten Ton, mit dem sie verbunden werden, oder auch das gibt es mit einer bestimmten politischen Richtung, die man mit ihm verknüpft, sich als Marke so ausgebildet haben, dass das läuft – aber das trifft auf die Vielzahl der Journalisten in der Regel nicht zu.
Q: Als Herausgeberin eines Print-Magazins – Ist es da nicht traurig zu hören, dass man als freier Print-Mensch nicht mehr überleben kann?
E: Nein, also es geht. Ich bin ja jetzt auch bei den Krautreportern untergekommen. Aber das ist ja ein gutes Beispiel, denn viele Autoren da sind als „Freie“ zu einer Marke geworden und da stimme ich völlig überein. Eine Sache, die man vielleicht noch machen kann, ist ein Buch zu schreiben. Das ist auch etwas, was viele „Freie“ machen irgendwann, um eine Marke zu werden oder vielleicht auch einfach, weil sie etwas zu sagen haben. Ich glaube schon, dass das geht. Vielleicht in den seltensten Fällen, aber man kann ja mal hoffen, dass man zu den seltensten Fällen gehört. Und man muss natürlich viel mehr machen, als nur schreiben. Man muss auch zu Veranstaltungen gehen oder zu Podiumsdiskussionen.
M: Genau, das meinte ich eigentlich – alleine reicht es nicht.
Q: Ich denke der Print-Markt ist sowieso der, der am meisten zu leiden hat. Es ist auch so, dass wir eine sehr starke Monopolisierung sehen, dass keine Konkurrenz mehr da ist – hier fiel ja auch der Begriff „Vielfalt“, die wird auch immer geringer. Ist das ein Zukunftsszenario oder ist das so das letzte Versuchen, den Printjournalismus noch zu erhalten, indem man sich einfach aufteilt und sagt: „Wir machen uns gegenseitig keine Konkurrenz mehr, sondern publizieren einfach als einziges Medium in unserem Bereich und versuchen so zu überleben.“
M: Ich habe das von Anfang an für eine Verheerung gehalten. In manchen Verlagen ist es innerhalb eines Verlages mit verschiedenen Zeitungen passiert, es gibt Kooperation – ich halte das wirklich für eine Verheerung, das verödet den kompletten Zeitungsmarkt. Und das ist eben auch eine dieser Sparmaßnahmen, die eingeschlagen wurden, die eben nur dazu führen, dass die Qualität der Zeitung sinkt, und dass man vielleicht die Kurve, mit der das eigene Produkt, das eben nicht gut genug aufgestellt ist, weiter zu Boden sinkt, ein wenig verlängern kann. Ich halte das wirklich für ganz, ganz schlimm und das Gegenteil ist eigentlich richtig. Das Gegenteil bedeutet, dass man überlegen muss: „Wofür stehen wir?“ und „Wofür stehen wir möglichst alleine? Was sind unsere Qualitäten, die uns unterscheiden von den anderen?“ Und wenn man dann sagt: „Wir haben davon zu wenig“, dann muss man sich wirklich grundsätzlich in Frage stellen. Aber zu versuchen, man könnte der – ich nenne es jetzt einfach mal – „Zeitungskrise“ – obwohl ich das Wort in dieser Dramatik so gar nicht unterschreiben würde – damit begegnen, indem man plötzlich alle Redaktionen zusammenschmeißt – das ist also wirklich der komplette Unsinn.
Q: Du hast gesagt, du liest auch viel gedruckten Journalismus. Merkst du diese Monopolisierung?
E: Ich kann das nur unterschreiben. Ich finde das auch ganz schwierig. Auf der anderen Seite gibt es eben ganz viele kleine neue Magazine, die wie wahnsinnig aus dem Boden sprießen – wie lange sie überleben weiß man ja auch immer nicht. Wenn die eine Entwicklung dahin geht, dann gibt es eine Gegenbewegung. Das passiert halt einfach und ich finde das immer ganz hoffnungsvoll.
M: Oliver Gehrs, der ja das DUMMY gegründet hat und ziemlich erfolgreich über die Jahre bringt – wobei erfolgreich in dem Fall heißt: Es gibt’s noch – hat sich gerade einmal die ganzen Magazine angeschaut und hat eine wirklich vernichtende Kritik verfasst darüber.
E: Das habe ich auch gelesen und ich wollte ihm gleich ein BLOCK-Magazin in die Hand drücken, weil, wir haben nämlich schöne Grafik von unseren tollen Grafikern, aber wir haben auch Inhalte. Und ich stimme aber mit ihm überein, bis zu einem gewissen Grade. Ich habe zu meinen Grafikern immer gesagt: „Bitte, bitte lesbar!“ – und die sind ganz toll, die haben das dann gemacht. Er hat schon recht, dass es da so eine Tendenz dazu gibt, sich auszuleben als Grafiker, und dass es eben keinen Inhalt mehr gibt – das gibt es auch. Es gibt immer noch ein paar tolle Magazine unter diesen ganzen kleinen.
M: … und auch welche, für die man gerne auch viel Geld ausgibt.
Q: Das sind dann die „Special-Interest-Magazine“. Da gibt es, glaube ich, tatsächlich welche, bei denen man 15 oder 20 Euro hinlegt – das ist halt nicht der tagesaktuelle Journalismus. Und ich bin auch der Meinung, dass große Online-Firmen da inzwischen zur großen Konkurrenz vom Journalismus werden: Google, Facebook mischen sich immer mehr ein in den Journalismus und haben eigene Relevanzkriterien. Inwiefern beeinflusst das den Journalismus, wenn Google eben die Trefferliste festlegt oder auch Facebook ja nach bestimmten Kriterien festlegt, was relevant ist, die nicht mit den journalistischen Kriterien übereinstimmen?
M: Das ist eine schwierige Frage, die du da stellst, die auch sehr vielschichtig ist. Weil zum einen natürlich Google davon lebt, dass andere Leute diese Inhalte herstellen. Google stellt ja selber keine Inhalte her, sondern erleichtert den Zugang dazu. Was die Frage betrifft: „Wie werde ich gerankt?“, die ist natürlich für jeden Anbieter von Inhalt existentiell. Wenn du nicht unter den ersten zehn Treffern bist bei Google mit einem bestimmten Stichwort, kannst du es in der Regel vergessen. Das ist schon auch ein bisschen die Kunst, zum einen diesen Logarhytmus zu verstehen, ohne sich ihm komplett zu unterwerfen. Natürlich muss man sehen, wenn man Texte hat, dass man sie so optimiert, dass Google sie vernünftig findet und rankt – das ist ja völlig klar, das machen auch alle, die gelesen werden wollen. Und trotzdem muss man sich die Freiheit behalten, eben auch Dinge zu schreiben, zu recherchieren, von denen man von vornherein nicht unbedingt erwarten kann, dass die der große Renner werden – und das ist natürlich auch nochmal ein Punkt, den ich sehr wichtig finde, wenn es um die Finanzierung von Journalismus geht. Man muss da auch Modelle finden, wo innerhalb eines Medienanbieters, ob das nun ein Blog ist oder ob das eine Zeitung ist, dass man sich es eben leistet, auch Dinge zu tun, von denen man weiß, dass es nur ein Bruchteil der Leser liest, von denen man aber überzeugt ist, die man für wichtig hält. Und das hilft natürlich. Je größer die Einheit ist, desto leichter ist es eben auch zu sagen: „Das leisten wir uns jetzt mal.“
E: Da würde ich auch natürlich übereinstimmen, schon allein von dem, was ich mache. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat: „Eine Marktlücke ist auch immer eine Bewusstseinslücke.“ – die Idee, dass man dann eben sich etwas leistet. Davon abgesehen, muss man sich auch manchmal etwas leisten, von dem man gar nicht weiß, ob das jemand haben will, weil eben die Marktforschung doch nicht alles weiß, und weil es Überraschungserfolge gibt – so etwas gibt es ja alles. Deswegen glaube ich auch, dass es eben wichtig ist, dass man sich darauf konzentriert, Sachen zu machen, die man selbst für wichtig hält oder die einem wichtig erscheinen, unabhängig davon was Google oder Facebook möchte. Und übrigens mit der Suchmaschinenoptimierung finde ich interessant – das ist ja so ein Studenten-Nebenjob geworden, was irgendwie auch Leute machen, die ich kenne. Da hat mir dann jemand erzählt, der das so lange gemacht hat, dass irgendwann die Branche dann gesagt hat: „Organische Suchmaschinenoptimierung ist die beste“ – was bedeutet: Gar keine. Weil Google eben auch da hinterher ist. Und das wird so schnell wieder in Ordnung gebracht. Natürlich bringt das erst einmal etwas. Immer bei solchen Trickser-Sachen, reguliert sich das ja dann irgendwann auch wieder.
M: Aber das hat mit Journalismus eben nichts mehr zu tun. Das sind neue Berufsbilder, die sich da herausbilden. Der SEO-Mensch, der wirklich wie am Rädchen guckt: „Da steht jetzt in der Stichzeile: Flughafen Schönefeld, läuft nicht so richtig, schreiben wir mal BER ganz nach vorne“, auf einmal: Bumm, geht das Ding hoch…. Das ist alles in Ordnung, soll es auch geben, muss es auch geben, aber mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun.
Q: Da habe ich eine Frage vom Zuschauer, die direkt anknüpft an die neuen Berufe: „Journalisten als Product-Placement-Experten? Läuft es darauf hinaus?“
M: Als Product-Placement-Experten? Die FAS hatte ja so ein defätistisches Stück vor ein paar Wochen drin, wo drei gestandene Redakteure erst einmal feststellen, dass die jungen Leute keine Zeitung mehr lesen, was ich ja auch schon im Jahr 2014 interessant fand – erstens: falsch und zweitens: spät. Und dann irgendwie Szenarien aufbereitet, bei denen das auch so eine dieser Entwicklungen ist. Ja klar, das wird es wahrscheinlich auch geben, es wird Journalisten geben, die sich einfach immer mehr mit Dingen beschäftigen, die eigentlich mit Journalismus nichts zu tun haben, um einfach ein Auskommen zu finden, aber ich glaube nicht, dass das alternativlos ist – und das ist der entscheidende Punkt.
E: Ich glaube, das hängt auch von der Struktur des Unternehmens oder des Verlags oder der Publikation ab, weil Publikationen, die Product-Placement tatsächlich mit System betreiben , die haben eigene Abteilungen dafür, da müssen sich die Journalisten gar nicht damit beschäftigen. Wie gesagt, Vice ist so ein Beispiel, bei dem viel über so etwas finanziert wird.
Q: Es geht, glaube ich, auch gar nicht darum, nur andere Produkte zu platzieren, sondern tatsächlich auch das eigene, eben über Suchmaschinenoptimierung. Ich würde es in die beiden Richtungen interpretieren.
E: Aber das ist ja kein gutes Product zum placen – die Zeitung ist sehr schwierig irgendwie, irgendwo unterzubringen.
Q: … also, online die eigenen Artikel, bzw. die eigene Marke.
M: Ja, aber das finde ich ja nichts Verwerfliches, das ist ja völlig legitim, dass man irgendwie auf das, worauf man stolz ist, weil man findet, das ist gelungen, dass man eine möglichst breite Leserschaft darauf aufmerksam macht – das machen alle und das finde ich auch völlig in Ordnung.
E: Das Gute ist ja, dass man so etwas auch nicht vorhersehen kann. Was „viral“ geht, z.B auf Twitter, kann man nicht vorhersehen. Wenn man das vorhersehen könnte, dann gäbe es natürlich wahrscheinlich Leute, die darauf hinschreiben würden, und das wäre dann vielleicht schon wieder ein Problem, aber das ist wahnsinnig unberechenbar. Irgendetwas kann total verpuffen und irgendetwas kann wahnsinnig durch die Decke gehen – und das ist ja ganz schön.
M: Das ist wirklich ein interessanter Punkt. Da kommen ja sehr viele Faktoren zusammen: Wann wird irgendetwas geschrieben oder hineingestellt? Wie viel Uhr ist es? Hast du gerade viel Konkurrenz? Hilft das oder schlafen schon zu viele? Dann hast du manchmal ein Bild, das geht durch die Decke und du denkst: „Sind die denn alle verrückt geworden?“, und dann kommt einmal irgendwie ein Link auf etwas ganz Tolles und es interessiert sich keine Sau dafür – also, das ist schon auch schwierig, weil es eben so schwer zu berechnen ist.
E: Ja, aber es ist großartig. Die Marktforschung ist da machtlos, völlig machtlos.
M: Sie ist ja hinterher. Sascha Lobo, den ich übrigens sehr schätze, weil der wirklich ganz tolle Expertisen immer wieder auf Papier bringt – aber er schreibt ja auch für alte Holzmedien usw. – der hat sein Twitter Analytics jetzt einmal genauer beschrieben. Und das ist natürlich hochinteressant, denn man kann sehr, sehr viel daran erkennen, was da passiert. Seine Quintessenz war jetzt nicht so wahnsinnig überraschend, aber doch in der Eindeutigkeit, er sagt: „Die Follower sind im Prinzip relativ egal im Verhältnis dazu, was der Retweet ist.“ Es gibt ja Leute mit zehn-, zwanzig-, hundertausend, manche Promis mit Millionen Followern – nein, Sascha Lobo sagt eindeutig: „Die Analyse sagt – entweder es wird etwas retweeted oder es ist tot.“ Natürlich kann man da eine ganze Menge feststellen inzwischen – als normaler Nutzer vielleicht weniger, als jemand, der sich wirklich professionell damit beschäftigt.
E: Das stimmt, aber es ist auf jeden Fall der Beweis, dass es Überraschungserfolge gibt oder, was ich vorhin gesagt habe, die Bewusstseinslücken usw. – das wird ja ganz schön habhaft anhand dieser Sachen.
Q: Zum Thema Retweet kriege ich hier auch gleich die nächste Frage herein, die passt: „Hat der Journalist als Urheber von Informationen ausgedient? Wird er nur noch der Überbringer sein?“ Das ist ja das klassische System von Retweet – ich leite etwas weiter, ich überbringe es nur noch.
M: Nein, das glaube ich nicht. Journalismus ist schon noch etwas anderes, als eine Nachricht zu überbringen. Es ist ja auch sehr vielschichtig, es geht ja nicht nur um Nachrichten – es geht immer um Relevanz, das halte ich für extrem wichtig, dass man sich daran immer erinnert. Und dann muss man überlegen: „Ist etwas faktisch relevant oder ist etwas emotional relevant?“, aber eins von den beiden Dingen muss schon passieren, wenn man als Journalist erfolgreich sein will. Und um solche Dinge zu schürfen, muss man mehr tun, als nur etwas überbringen, man muss zum Teil richtig hart dafür arbeiten, man muss dafür Zeit investieren – das sind eben Dinge, die kann eben dann auch nicht jeder. Vielleicht könnten es andere, aber es hat eben auch nicht jeder Zeit dafür oder nimmt sich die Zeit dafür.
E: Da gibt es vielleicht auch noch einen Unterschied. Dpa-Meldungen kann man schon einmal überbringen; aber natürlich, die Aufbereitung, die Analyse, die Expertise – das sind schon alles Sachen, die wichtig sind. Vielleicht ist die Frage auch so gemeint: Viele Leute sind eben vor Ort, wenn irgendetwas passiert und tweeten dann das.
Q: Die sozialen Netze sind ja fast immer schneller als der Journalist.
E: Was Nachrichten angeht: Natürlich kann es jemanden geben, der eben kein Journalist ist, der aber da ist, der dann irgendetwas tweetet, was wichtig ist und was auch übernommen wird; aber was längere Texte angeht, aber auch das Sprachliche, da haben ja wir vorhin schon drüber geredet – der Beruf an sich hat nicht ausgedient.
Q: Da passt fast auch die nächste Frage dazu, was wir auch schon einmal ein bisschen angesprochen hatten: „Der Nutzer ist überfordert beim Googeln einzuordnen: ‚Ist der Text seriös recherchiert, stellt er einfach Behauptungen auf oder übernimmt er andere Meinungen ungeprüft? Wie kann man sichtbar machen, welche Quelle verlässlich ist?‘“ , fragt der Zuschauer – wo tatsächlich Journalismus dahintersteckt, oder wo einfach publiziert wurde.
E: Quelle, als …?
Q: Früher wusste ich ja, dass wenn ich die Zeitung gekauft habe: Das ist tatsächlich von Journalisten gemacht. Wenn ich jetzt einen Beitrag im Netz anklicke, muss ich mich tatsächlich informieren und kann wahrscheinlich auch nicht ganz abschließend herausfinden…
E: Das hat ja zwei Ebenen. Die eine: Ist es jetzt die Publikation, ist die jetzt seriös oder verlässlich? Ich persönlich schaue manchmal in die Kommentare, das hilft auch. Aber es gibt ja noch die andere Ebene innerhalb des Prozesses der Recherche eines Journalisten und das versuchen wir eben bei Krautreporter. Da wird es eine Art Transparenz geben, was den Prozess der Recherche angeht und das ist vielleicht auch interessant für Leute, die sich für so etwas wie Quellen interessieren. Das sind eigentlich zwei verschiedene Dinge, die Seriosität einer Website einzuordnen. Als Leser ist es schwierig darüber nachzudenken, ohne darüber nachzudenken, was wir vorhin gesagt haben: Dass Verlage eben auch immer Legitimität geben. Wenn ich z.B. auf der FAZ bin, dann weiß ich, was sie ist, aber das ist natürlich auch eine Logik, die davon ausgeht, dass, sobald irgendetwas eine Marke ist, es dann seriös ist – und damit habe ich eigentlich auch ein Problem. Denn ich glaube schon, dass Sachen auch seriös sein können, ohne eine große Marke zu sein oder ohne schon lange zu existieren.
M: Absolut, nur als Nutzer weiß ich das ja nicht. Deswegen ist es wichtig, dass man ein bisschen dabeibleibt. Man muss sich ja sozusagen dem Lesern, wenn man neu da ist, auch erst einmal vorstellen, der muss auch Erfahrungen mit dir machen, der muss vielleicht einmal prüfen und gucken: „Funktioniert das, stimmt das, was derjenige da schreibt?“ und stellt dann fest: „Ja, es ist richtig, es ist interessant, es ist originell und es scheint offensichtlich unabhängiger Journalismus zu sein.“ – das kannst du beim ersten Mal vielleicht nicht feststellen, aber wenn du zwei, drei Mal nicht reingefallen bist, dann bleibst du vielleicht dabei und sagst: „Das lohnt sich!“ Das ist ja auch so, wenn du bei Twitter irgendwie schaust – du folgst irgendeinem und irgendwann stellst du fest: Das ist halt Kokolores und beim anderen sagst du: „Boah, Super! Toll, leider jetzt erst drauf gekommen.“ Das sind Erfahrungswerte, die man sammeln muss; da kann man nicht ein Gütezeichen draufmachen und sagen: „So ist es!“
Q: Wir sind fast durch. Es gibt noch die letzten fünf Minuten, wenn jemand noch eine ganz dringende Frage hat.
M: Ich habe hier eine bekommen: „Wie wichtig ist kritisch/unabhängiger Journalismus für unsere Gesellschaft?“
Q: Dann nehmen wir die auch noch rein.
E: Wichtig. Ich weiß nicht, steht das überhaupt zur Debatte? Natürlich ist das wichtig, aber ich hatte vor kurzem eine längere Diskussion mit einem Freund von mir, der Theater macht, über die Subventionierung von Journalismus und da stellte sich eben auch die Frage, wenn man sagt: „Journalismus sollte unter anderem auch staatlich subventioniert werden, dann muss natürlich die Frage erlaubt sein, wie wichtig das ist für unsere Gesellschaft. Das ist auch vielleicht ein bisschen banal, aber nur eine informierte Wählerschaft kann Entscheidungen treffen, dafür ist das schon einmal wichtig – das ist so ganz basic.
Q: Die eigene Antwort dazu?
M: Ja, absolut. Es ist so, ich war in der Tat, als das losging und man sich ja selber auch ein bisschen in Frage stellen musste als Journalist, weil es einfach schwierig wurde – das war so in den 90ern ja absehbar – da hatte ich kurz einen fatalistischen Anfall und habe gedacht: „Wenn das überhaupt kein Schwein mehr interessiert, was wir hier machen, dann lassen wir das halt.“ Aber das war nur ein ganz kurzer Anfall und ich bin auch froh, dass der sehr schnell vorbeigegangen ist. Wenn man sich anschaut, was jeden Tag über Medien an wirklich spannenden Dingen verbreitet wird, ob das nun irgendwie Hans-Martin Tillack im Stern ist, oder ob das die Recherchetruppe ist um Mascolo und so – die bringen halt auch immer wieder Dinge heraus, von denen man froh ist am Ende, dass sie jemand herausgebracht hat, und das ist extrem wichtig für diese Gesellschaft. Und ich glaube, diese Frage stellt sich in der Tat so wirklich nicht, denn man muss nur einen Moment darüber nachdenken, dann weiß man, wie wichtig das ist. Es ist nicht jeder Unfug wichtig, den Journalisten verbreiten, aber bei der Betonung auf kritischen, auf Recherche-Journalismus würde ich sagen: „Unbedingt! Unabdingbar!“
Q: Das denke ich auch, dass wir uns hier einig sind, dass Journalismus noch gebraucht wird. Jetzt kam gerade das Wort „Recherche“ – dafür wird die Zeit immer knapper. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber auch aus einer Studie, die ich gelesen habe, dass Journalisten sagen, sie haben immer weniger Zeit für Recherche. Und da würde ich hier auch noch die letzte Frage, die gerade hineingekommen ist anknüpfen: „Müssen sich die Journalisten eigentlich damit abfinden, dass sie jetzt zum Dienstleister für alles andere geworden sind und nicht mehr für das Kerngeschäft?“
M: Also, klare Antwort: Nein! Natürlich gibt es mehr Aufgaben, die in der Redaktion zu bewältigen sind, auch von den Redakteuren, auch von den Journalisten, aber es ist eben wichtig, dass man diese Aufgaben klar zuteilt. Es kann nicht jeder alles machen und schon gar nicht gleichzeitig und es ist auch nicht jeder für alles gleich geeignet. Wir haben Journalisten, die haben mit dem Produktionsprozess null Komma überhaupt nichts zu tun. Die sehen wir auch ganz selten in der Redaktion, weil die das tun, was wir von denen wollen: Nämlich draußen recherchieren – Harald Schumann ist so ein Beispiel, der wirklich seit Jahren die tollsten Geschichten aus der Finanzwelt recherchiert. Der ist mit dem Fernsehpreis ausgezeichnet worden, ist ein Redakteur bei uns früher beim Spiegel gewesen. Der hat mit der Redaktion ansonsten gar nichts zu tun, aber so etwas muss sich eine Redaktion leisten. Und dann wird es wieder Menschen geben, die den ganzen Tag damit zu tun haben, Texte nur zu bearbeiten und die auf allen möglichen Kanälen aufzubereiten. Aber ich halte überhaupt nichts davon einen Redakteur loszuschicken, einen Journalisten, der soll irgendwie ein Interview machen und gleichzeitig den Interviewpartner noch aufnehmen als Video-Stream und am Ende dann irgendwie auf der Rückfahrt im Taxi alles irgendwie schon bearbeiten und noch ein Radiointerview zum Thema geben – das ist einfach totaler Quatsch.
Q: Aber auch hier klingt wieder durch: Man muss es sich leisten können, es geht in Richtung Luxus, wenn man diese Möglichkeiten hat.
M: Das ist, glaube ich, keine Frage von Leisten können, sondern das ist von entschlossen Sagen: „Du machst das, und du machst das!“ und sich Leute dafür suchen, die auch Lust haben, diese jeweiligen Aufgaben zu erledigen. Journalismus hat in erster Linie etwas mit Leidenschaft zu tun, mit Lust auf diesen Beruf. Und wenn einer die ganze Zeit Dinge tun muss, die ihm keinen Spaß machen, dann macht es keinen Sinn. Macht es für ihn keinen Sinn, es macht für den Redaktionsleiter keinen Sinn und für den Leser, Hörer, Zuschauer erst recht nicht.
Q: Ich denke, auch bei dir ist die Leidenschaft da. Du hattest schon einmal gesagt, du machst alles für das Magazin. Wie sieht deine Meinung zu der Frage aus?
E: Ich glaube, dass diese Aufgabenverteilung, von der du redest, in der Redaktion auch irgendwo in der Medienlandschaft stattfinden kann – und BLOCK ist ja nun auch wieder ganz anders als Krautreporter, weil bei Krautreporter sind wir, glaube ich, schon auch froh, dass es Nachrichtenseiten gibt, weil wir eben sagen: „Wir wollen die Geschichten hinter den Nachrichten erzählen.“ Und da leistet man sich dann eben auch, dass man Recherche macht, aber das kann man auch nur machen, weil es in der Medienlandschaft genug andere gibt, die die tagesaktuellen Nachrichten bringen.
Q: Wie viel Zeit bleibt dir denn tatsächlich für die inhaltliche Arbeit, also abseits von allem anderen, bis das Magazin auf dem Markt ist?
E: Das BLOCK-Magazin? Ja, ich schreibe dann immer so ein Essay, oder eine Reportage und da recherchiere ich schon eine Weile. Viel Zeit habe ich nicht, weil, wie gesagt, ich mache alles selber, aber das ist halt einfach harte Selbstausbeutung und so etwas macht man, wenn man ein eigenes Produkt hat, das macht man sonst nicht, glaube ich.
Q: Es scheint eine Zukunft für den Journalismus zu geben. Wir haben in einer Stunde verschiedene Aspekte diskutiert mit einem klassischen Menschen vom Tagesspiegel und jemandem, der das auf eigene Faust macht. Wir freuen uns, glaube ich, alle vom Team hier, wenn es Feedback gibt auf diese erste Ausgabe der Livedebatte, denn in der nächsten Woche wird es schon die nächste geben, da geht es um das Thema: „Datenschutz im Web – Ist das unmöglich?“ Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere wieder dabei ist.