Kein Willkommen in Freital
Seit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen ist Freital, früher bloß Vorort von Dresden, ein Synonym für rechten Hass wie Rostock oder Hoyerswerda. Was ist passiert? Ein Ortsbesuch von David Sahay
Was man bislang von Freital gesehen hat, ist nicht schön: An einem Nachmittag im Juni stehen etwa 50 Menschen mit einem Banner vor dem Flüchtlingsheim der Stadt. „Kein Ort zum Flüchten“ steht auf dem Banner. Die Männer und Frauen dahinter schreien aus voller Kehle: „Wer Freital nicht liebt, soll Freital verlassen!“ Das sind die Bilder, die im Sommer dieses Jahres europaweit durch die Medien gingen. Inzwischen sind die Kameras wieder aus und die größten Krawalle haben sich gelegt.
Nähert man sich Freital von Dresden aus, erreicht man zunächst das Eiscafé Fischer. Für Touristen liegt dort eine Info-Mappe bereit. Darin Sehenswürdigkeiten, Ausflugsziele und Unterkünfte. Auf Seite 17 steht das alte Hotel Leonardo. Ausstattung: Busparkplatz, Nachtportier, Personal spricht Englisch. Früher hat man die Gäste aus Holland und England vom Hotel gleich runter ins Eiscafé Fischer geschickt. Heute nicht mehr, denn heute ist das Hotel eine Flüchtlingsunterkunft.
Stefan Vogel arbeitet als Lehrer in Freital und ist Mitglied in einem Willkommensbündnis für Flüchtlinge. Der 54-Jährige berichtet von den Ereignissen in seiner Stadt. Ende Februar 2015 sei klar geworden, dass Freital Flüchtlinge aufnehmen müsse. Rund 200 sollten in das Hotel Leonardo kommen. Daraufhin hätten die Demonstrationen begonnen – vier Monate vor den europaweiten Medienberichten.
Die Gegendemonstrationen verhinderten zunächst, dass die rechten Märsche mit 1.500 Menschen den Berg hinauf vor das Hotel Leonardo zogen. „Öffentlich nahm fast niemand Stellung“, sagt Vogel.
Im Mai kam es zu einem Runden Tisch. Die Organisatoren der Demonstrationen, Vogel und drei weitere Mitglieder des Willkommensbündnisses saßen an einem Tisch. Man einigte sich darauf, alles zu tun, um Gewalt zu vermeiden. Vogel sagt: „Ich hatte richtig Schiss, zu dem Runden Tisch zu gehen. Andere Kollegen und Eltern sind ja teilweise auch nicht meiner Meinung.“ Ende Mai beruhigte sich die Lage in der Stadt.
„Man kann Leute nicht pauschal als Faschisten abordnen“, sagt Vogel. „Jeder hat seine Feindbilder und die sind sehr bequem. Das Schlimme ist, dass die Feindbilder sich in neue Dimensionen steigern.“
In Heidenau, dem Ort, den wie Freital fremdenfeindliche Ausschreitungen europaweit bekannt machten, hatten die Krawallmacher Ende August die Polizei als Feindbild ausgemacht. Allein am zweiten Abend der Ausschreitungen wurden 31 Polizisten verletzt. So weit ist es in Freital nicht gekommen.
Zu viel für Freital?
In Freital wurde auf einer Einwohnerversammlung im Juni mitgeteilt, dass das Land Sachsen weitere 280 Flüchtlinge im Hotel Leonardo unterbringen werde.
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird zunächst in ein sogenanntes Erstaufnahmelager gebracht. In diesem größeren Lager müssen Asylsuchende zunächst drei Monate wohnen. Sie werden durch das Bundesland registriert und über die Gründe ihrer Flucht befragt. Nach drei Monaten werden sie auf eine Stadt oder einen Landkreis weiterverteilt.
Im Hotel Leonardo kam plötzlich beides zusammen: Es wurde zum Erstaufnahmelager und zur regulären Flüchtlingsunterkunft auf Landkreisebene. Für die Menschen in Freital war das offenbar zu viel,
Vogel sagt: „Die Leute hatten sich gerade beruhigt. Jetzt waren sie enttäuscht und stinksauer.“ Was dann geschah, kennt man aus den Medienberichten. Vogel nennt es „Demonstrationstourismus“: Aus allen Bundesländern seien Faschisten, Antifaschisten und Hooligans in die Stadt gekommen. Das Hotel Leonardo sei regelrecht belagert worden. Aus der Stadt selbst sei im Juni kaum jemand „oben am Heim“ gewesen.
Keine gute Atmosphäre
Die Freitalerin Petra Schickert sieht das anders. Sie sagt: „Jeder meint, die Krawallmacher kämen von außen, aber das ist Quatsch. Es sind Freitaler.“ Die 57-Jährige arbeitet für das Kulturbüro Sachsen als Beraterin: Wenn sich irgendwo im Bundesland ein Willkommensbündnis bildet oder ein Flüchtlingsheim entsteht, dann ist sie dabei.
„Die Atmosphäre hier in Freital wird bestimmt durch die Zusammensetzung der Bewohner“, meint Schickert. In aller Linie präge das große Stahlwerk die Stadt. In der DDR produzierten dort 5.000 Menschen mehr Edelstahl als sonst irgendwo in Deutschland. Doch mit der Wende verloren viele ihre Arbeit.
Jobs außerhalb der großen Fabriken gebe es kaum. „Es gibt hier nur eine kleine Mittelschicht und kein Bildungsbürgertum“, so Schickert. Viele junge Menschen zögen nach dem Abitur gleich weg, „wenigstens nach Dresden“. Ihre Kinder seien auch weggezogen. „Für die Atmosphäre der Stadt ist das nicht gut.“ Es gäbe auch kaum Menschen aus Politik, Kultur und Wirtschaft, die sich klar für Flüchtlinge aussprächen.
Bei Einwohnerversammlungen traue sich deshalb niemand, sich auf der Seite der Flüchtlinge zu positionieren. In den Bündnissen, die Petra Schickert in ganz Sachsen betreut, sei ein Großteil der dort engagierten Menschen zugezogen. Sie engagierten sich aus Angst vor der Meinung der Nachbarn einfach in anderen Orten. So gibt es auch in Dresden ein Netzwerk, das in Freital aktiv ist.
Die Botschaft der Asylgegner
In Freital habe es in den vergangenen Monaten zu wenig Transparenz darüber gegeben, wann wie viele Flüchtlinge in die Stadt kommen, so Schickert. „Da haben sich viele Menschen von der Landesregierung übergangen gefühlt.“ Für die Zukunft ist sie optimistisch. „So hoch wie im Juni wird es nicht mehr kochen.“
Trotzdem gibt es in der ganzen Stadt Hinweise auf „Asylgegner“: Auf Laternen kleben Sticker mit Parolen wie „Bitte flüchten Sie weiter, hier gibt es nichts zu wohnen“ oder „Refugees not welcome“. Auf der Straße vor der Flüchtlingsunterkunft sind Spuren einer Schmiererei auf dem Asphalt zu sehen: „Kanacken verpisst euch!“, stand hier einmal in Großbuchstaben.
Auch auf Facebook wird der Fremdenhass offen zur Schau getragen. Auf Seiten wie „Widerstand Freital“ oder „Freital wehrt sich“ stehen Kommentare wie „So ekelhaft! Abschaum“ oder „Wir sind doch nicht der Mülleimer der Nation“.
René Seyfried ist einer der Betreiber der Facebook-Seite „Freital wehrt sich“. Man möchte dem 40-jährigen Transportunternehmer glauben, dass er kein Rechter ist. Menschenunwürdige Kommentare auf der Seite löscht er. Vogel sagt über ihn: „Er versucht, das hinzubiegen.“
Von Rechts unterwandert
Gegen Asylbewerber ist Seyfried aber schon: Millionen Euro würden für Flüchtlinge ausgegeben. Für Kindergartenplätze sei hingegen kein Geld da, sagt Seyfried. „Das ist das Problem, das ich in Deutschland sehe.“
Die Bewegung „Freital wehrt sich“ sei gespalten. Seyfried und neun andere demonstrieren nach eigener Aussage gewaltfrei und reden mit der Politik. Seyfried saß auch mit Stefan Vogel an dem Runden Tisch, den die Stadtverwaltung einberufen hatte, um die Lage zu entschärfen. Der Rest der ursprünglichen Bewegung sei aber von Rechts unterwandert. „Die nennen sich jetzt Bürgerwehr Freital“, sagt Seyfried. Mit denen wolle er nichts zu tun haben.
Ruhe ist in Freital noch nicht eingekehrt. Am Abend des Ortsbesuchs wird auf einer Einwohnerversammlung verkündet, dass 120 weitere Flüchtlinge in ein neues Flüchtlingsheim kommen werden.
Später lässt der Bürgermeister mitteilen: „Ziel der Veranstaltung war es, die Anwohner frühzeitig über die aktuellen Entwicklungen zu informieren und zugleich einen Dialog über Fragen, Hinweise und Ansichten zu ermöglichen.“ Die Veranstaltung sei ruhig verlaufen, sachlich und dialogorientiert.
Auf Facebook aber steht wenig später „Freital steht wieder auf“. Für den 10. September kündigt René Seyfrieds Bündnis erneut eine Demonstration an.