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Keine krummen Dinger

Von Madlen Schäfer / 23. Februar 2017
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul

Im Supermarkt gilt: Eine krumme Gurke kommt dem Kunden nicht in die Tüte. Derartige Gewächse haben keine Chance gegen ihre perfekte Konkurrenz. Immer mehr Menschen kämpfen gegen diese Lebensmittelverschwendung.

Die Kartoffeln sehen auch mal aus wie Herzen, die Möhren haben hin und wieder mehrere Beine und die Gurken kringeln sich: Die Lebensmittel im Laden von Nicole Klaski sind anders. Sie entsprechen nicht den Normen der EU und der Händler für Größe, Farbe und Form und können deshalb nicht im Supermarkt verkauft werden. UNCE-Norm FFV-10 fordert etwa, dass Möhren „nicht gabelförmig gespalten“ sein dürfen und „frei von Nebenwurzeln“ sein müssen.

Klaski rettet die „abnormen“ Lebensmittel vor der Mülltonne. Seit Anfang Februar bietet sie sie in ihrem Geschäft „The Good Food“ in Köln an. Neben Gemüse stehen auch Produkte zum Verkauf, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Das kommt gut an. „Wir sind geplündert, fast ausverkauft“, sagt Klaski nach den ersten Verkaufstagen.

Leben im Überfluss

Ein Arbeitsaufenthalt in Nepal brachte sie zum Umdenken: Während Klaski sah, wie die Menschen dort auch mit wenig Strom und Wasser auskamen, merkte sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland den hiesigen Überfluss. „Da läuft etwas falsch in unserer Gesellschaft“, sagt Nicole Klaski. Die heute 33-Jährige, die Jura und „Human Rights“ studiert hat, gründete deshalb vor knapp zwei Jahren die Initiative „The Good Food“, um aktiv gegen die Lebensmittelverschwendung zu kämpfen. Seitdem erntet sie bei Bauern in der Umgebung von Köln Gemüse vom Acker, für das diese keine Abnehmer finden, weil es nicht vorschriftsgemäß gewachsen ist. Ohne Klaski würde das Gemüse auf dem Acker verrotten.

Freut sich über das Interesse: Ladeneigentümerin Nicole Klaski. (Foto: Martin Herrndorf)

Durch ein Stipendium von Social Impact, einer Initiative, die Start-ups bei ihrer Gründung unterstützt, konnte die Idee des eigenen „Restpostenverkaufs“ weiter reifen. 2015 vertrieb Klaski in einem Kölner Hostel ihre geretteten Produkte. Im Juli und August 2016 verkaufte sie sie im „Sommerladen“, einem Pop-up-Store. Das funktionierte gut – inzwischen hat sie ihr eigenes, dauerhaftes Geschäft.

Zahl, was es dir wert ist

Im Winter rettet Klaski vor allem Kohl in jeglicher Form. Außerdem holt sie bei Bäckern abends übriggebliebene Backwaren ab. Große Hersteller, darunter Bierbrauereien, kooperieren mit ihr, um weniger Müll zu produzieren, für dessen Entsorgung sie sonst zahlen müssten. Von ihnen bekommt „The Good Food“ Waren aus Überschussproduktionen, die ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum haben oder die nicht mehr so lange haltbar sind. Deshalb gibt es im Supermarkt der besonderen Art von Bier über Kokosnussöl bis hin zu veganen Fleischersatzprodukten ein vielfältiges Angebot – zu selbst gewählten Preisen.

Jeder Kunde zahlt so viel, wie ihm sein Einkauf wert ist. Auf diese Weise sollen die Menschen ein Verständnis für die Arbeitskraft, die in dem Produkt steckt, bekommen. Während die meisten laut Klaski etwa so viel Geld hinlegen wie in einem herkömmlichen Bioladen, greifen einige sogar noch tiefer in die Tasche.

Es gibt aber auch Kunden, die für einen Großeinkauf nur 30 Cent zahlen. „Wir möchten gerne weitermachen. Wenn jeder so wenig zahlen würde, wäre das nicht möglich“, sagt Klaski. Sie und ihr Team arbeiten ehrenamtlich – etwa 27 Menschen stecken hinter „The Good Food“. Auch wenn wirtschaftlicher Erfolg für sie nur zweitrangig ist, wünscht die Juristin sich, dass ihr Laden und damit auch ihre Idee mehr als nur ein kurzfristiger Hype sind – nicht für sich, sondern für die Gesellschaft.

Lebensmittel für die Tonne

Laut einer Studie des WWF aus dem Jahr 2015 landen 18 Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr allein in Deutschland im Müll. Etwa 2,6 Millionen Tonnen schmeißt der Groß- und Einzelhandel weg. Ein Drittel der deutschen Kartoffelernte kommt wegen ihrer Makel nicht auf den Markt.

Nicht nur die Kölner haben ein Herz für diese Makel. Bereits seit 1993 verteilen die Tafeln aussortierte Lebensmittel an Bedürftige in ganz Deutschland. Sie stehen in keiner Konkurrenz zu Projekten wie „The Good Food“, denn es gibt genug krumme und abgelaufene Produkte für alle. Das Münchener Start-up „Etepetete“ bietet sogenannte Retterboxen an. Bereits mehr als eine halbe Tonne Gemüse hat nach Unternehmensangaben so eine zweite Chance in der Nahrungskette bekommen. Das Projekt „Ugly Fruits“ aus Berlin und München vertreibt marktunfähiges Obst und Gemüse. Lebensmittelreste kommen in dem Berliner Restaurant „Restlos Glücklich“ auf den Teller.

Der Name ist Programm. (Foto: Katharina Schwartz)

Auch die großen Handelsketten haben inzwischen erkannt, dass natürliche Gewächse manchmal anders aussehen als die Norm es verlangt und dem Kunden trotzdem schmecken können. Penny bietet Obst und Gemüse, das nicht dem Schönheitsideal entspricht, unter der Marke „Natur Gut“ an. Aldi Nord zeigt nach eigenen Angaben eine höhere Toleranz bei Produkten aus ökologischem Anbau. Edeka, Netto und Rewe haben bereits im Rahmen temporärer Verkaufsaktionen Gemüse und Obst mit Makeln angeboten. Vielleicht sind in Zukunft zweibeinige Möhren wie die von Nicole Klaski die Regel und nicht mehr die Ausnahme.

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