Klar, getrennt!
Glaube ist persönlich. Kirchen oder Religionsvereine institutionalisieren ihn. Nicht nur darum gehören Staat und Religion losgelöst voneinander. Alles andere ist nicht zeitgemäß.
In Deutschland zur Welt gekommen und aufgewachsen, gesellschaftlich liberal erzogen, bin ich, rein faktisch, in keine Religion hineingeboren worden. In der Grundschule habe ich den Religionsunterricht aus Interesse freiwillig besucht, gemusst hätte ich es nicht. Der Grund dafür ist, dass ich auf dem Papier Muslim bin, denn in den Islam wird man hineingeboren – meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Iraner –, ein “Austritt“ ist nicht möglich.
Schade eigentlich, denn in der Praxis bin ich Atheist, gelegentlich ein agnostischer: Ich schließe die Existenz einer höheren Macht nicht unbedingt aus, sie kommt mir aber nicht schlüssig vor. In meinem Studium habe ich mich auf Genetik und Genomik spezialisiert. Vor diesem Hintergrund kann ich mir viele Aspekte der Entwicklungen von Tieren, zu denen ja auch wir gehören, gut erklären. Eine Gottheit braucht es in meinem Ansatz nicht. Und in einer vielfältigen Gesellschaft, in der Positionen wie die meine bis hin zu einer Reihe von Vorstellungen von höheren Mächten vertreten sind, sollten weltliche Regeln und Gesetze nicht auf der Idee einer „Gottheit“ basieren oder durch diese legitimiert sein.
Kirche vor Gericht
Auch wenn andere von mir als Sohn eines Iraners womöglich anderes erwarten: Ja, ich bin der Meinung, dass der Glaube (primär) Privatsache sein sollte. Er kann Menschen Kraft schenken und das ist etwas Schönes. Aber aus Glauben ist Religion geworden, ein verbindliches Glaubensgefüge, das gerade im Abendland in Kirchen eine institutionelle Form gefunden hat. Kirchen bewirken viel Gutes, keine Frage, sei es beispielsweise in den Diakonien oder bei den Samaritern. Sie sind dabei eng mit dem Staat verbunden, für mich allerdings: zu eng. Warum sollte das Finanzamt heutzutage Kirchensteuer eintreiben? Gut organisierte Vereine, denen Kirchenstrukturen entsprechen, müssten doch in der Lage sein, das Geld ihrer Mitglieder selbst einzusammeln.
Es ist die Existenz eines Kirchenarbeitsrechts, das bei mir für Kopfschütteln sorgt. Wie kann es sein, dass einer Angestellten (im Übrigen einer praktizierenden Katholikin) der Caritas (Träger ist die Katholische Kirche) nach einem Kirchenaustritt oder einem Mitarbeiter nach einer Scheidung gekündigt werden darf? Antwort: Sollen sie eben ihr Arbeitsrecht von einem Betriebsrat verteidigen lassen!
Doch Fehlanzeige: Stattdessen gibt es Mitarbeitervertretungen. Klingt ähnlich, allerdings kommen Streitigkeiten mit der kirchlichen Arbeitgeberin nicht vor ein weltliches, sondern vor ein Kirchengericht. Diese Art von Selbstverwaltung darf aber laut Arbeitsgericht nicht jegliche Konsequenz rechtfertigen. Braunschweiger Richter sahen etwa die Kündigung einer Diakonie-Mitarbeiterin vor einigen Jahren als „übertrieben“ an. Nur Personen, die eine Kirche repräsentierten, dürfte vorgeschrieben werden, Mitglied bleiben zu müssen. Für alle anderen gelte das weltliche Arbeitsrecht als Referenz.
Das Problem mit Religion und Macht
Wenn ich mich frage, wie Religionen entstanden sind, denke ich an männlich geprägte Herrschaftsstrukturen. „Gott“: männlich, Propheten: männlich, Religionsvertreter: (meist) männlich. In meinen Augen waren die meisten Religionen damit schon immer auch primär Werkzeug von Männern, um Kontrolle über Geist und Körper auszuüben, vor allem bei Frauen. Meine Haltung ist keine unbegründete, denn Kopftuch- und Verhüllungspflicht in mehrheitlich islamischen Ländern und der Kampf gegen das Recht auf Abtreibung vonseiten radikaler Christen in den USA und in Polen weisen auf diese problematischen Positionen religiöser Gruppen hin.
Auch der männliche Körper ist im Judentum und im Islam Gegenstand von religiösen Vorschriften, die ihre körperliche Unversehrtheit verletzen – die Penisvorhaut von Jungen wird vorrangig aus Glaubensgründen beschnitten – in einem Alter, in dem sie keine Möglichkeit haben, abzulehnen oder zumindest mitzuentscheiden. In Deutschland gibt es dafür seit 2012 eine gesetzliche Grundlage. Die „nicht-therapeutische Vorhautentfernungen an Jungen aus jeglichem Grund“ (also eher nicht: medizinisch indizierte Vorhautentfernung) wurde damals legalisiert. In der Bundestagsdebatte wurde seinerzeit der Schaden, den dieser Eingriff anrichten kann, nicht einmal diskutiert! Natürlich soll ein säkularer Staat wie Deutschland die freie Religionsausübung schützen, aber keine Tradition darf unkritisiert bleiben, vor allem keine, die den Körper eines Menschen – ob mit oder ohne Einverständnis – maßregeln will.
Religionen werden zum Problem, wenn sie den privaten Rahmen so sehr verlassen, dass ein un- oder kaum eingeschränkter politischer Machtanspruch daraus abgeleitet wird. Nicht alle Menschen sind gläubig und religiös, und es gibt viele verschiedene Konfessionen. Ein Nebeneinander von „nicht glauben“ und „glauben“ muss möglich sein. Ein Staat sollte dies garantieren, er selbst hat sich dabei weltanschaulich neutral zu verhalten. Die Politik hat gerade deshalb auch in Deutschland die Pflicht, beispielweise Ethikunterricht an öffentlichen Schulen als verpflichtendes Angebot einzufordern. Das Grundgesetz schreibt hingegen „Religionsunterricht“, christlichen natürlich, als ordentliches Lehrfach an Schulen unter öffentlicher Trägerschaft vor. Kruzifixe haben dort – so viel steht für mich fest – auf jeden Fall nichts zu suchen.
Der öffentliche Raum ist unser!
In Deutschland sind Staat und Religion zumindest weitestgehend getrennt. Die derzeit iranische Führung dagegen verteidigt ihren „Gottesstaat“ gewaltvoll. Im Falle des Iran müssen die Mullahs wieder aus den öffentlichen in die Schranken ihrer eigenen Institutionen zurückgedrängt werden. Wer weiß, vielleicht ist meine zweite Heimat dann auch bald wieder demokratisch (man denke an die iranische Demokratie 1951–53 und Premierminister Mossadegh) – und Religion spielt lediglich eine untergeordnete Rolle im Staatsgefüge.
Das sollte sie so oder so, egal wo, denn der öffentliche Raum gehört uns allen. Die mutigen Frauen im Iran gehen dafür auf die Straße: mit einem revolutionären Akt des Abziehens ihres Kopftuchs in aller Öffentlichkeit. Sie protestieren damit auf friedliche Weise für das, was wir bereits in Deutschland haben, aber auch verteidigen müssen: eine säkulare Demokratie.