Konstruktiv durch die Krise?
Der Journalismus steckt in der Finanzierungskrise. Auch, weil die zukünftige Generation, also wir, kaum für journalistische Inhalte bezahlt. Auf der Youth Media Convention fragten wir: Kann der Konstruktive Journalismus die Zahlungsbereitschaft junger Menschen steigern?
Pause auf der Youth Media Convention in Berlin. Gespräche füllen die Eingangshalle, aber auch Nachrichten-Apps werden geöffnet. Push-up-Meldungen über die aktuellen Corona-Veränderungen fliegen durch den virtuellen Raum. Zur gedruckten Zeitung greift unter den jungen Medienschaffenden hier kaum jemand.
Die Corona-Krise zeigt, dass Leser*innen gerade in Krisenzeiten ein verlässliches Informationsangebot suchen und mehr auf journalistische Angebote zurückgreifen – aber bezahlen wollen die wenigsten dafür. Die Kostenlos-Mentalität hält besonders unter jungen Menschen an. Leif Kramp, promovierter Medienkulturwissenschaftler und Journalismusforscher, spricht von einer „News Fatigue“, die damit einhergehen, dass gerade junge Menschen sehr unzufrieden mit dem Negativfokus von klassischen Medien seien. Bad News seien für die meisten Medien immer noch Good News, da sie für mehr Klicks sorgen – und damit letztlich Geld einspielen.
Corona-Zahlen in Bayern explodieren: Rasant steigende Todeszahlen. Folgen des Klimawandels: Armen Ländern droht Wirtschaftseinbruch. Totschlag in der Psychiatrie. Einmal gelesen, können wir Negativschlagzeilen nur schwer von der inneren Festplatte löschen. Dem möchte der Konstruktive Journalismus entgegenwirken. Er stellt die Frage: „Was nun?“. Das Constructive Institute in Aarhus erklärt, dass dieser Journalismus Probleme und Lösungen aufzeigt. So zeigt er eine positive und lösungsorientierte Zukunft auf. Ein prominentes Medienbeispiel, welches sich 2016 dem Konstruktiven Journalismus verschrieben hat, ist perspective daily. „Es gibt aber auch Medien, die den aus Dänemark stammenden journalistischen Ansatz falsch verstehen und einen ‚Friede, Freude, Eierkuchen‘-Journalismus produzieren“, fügt Kramp hinzu.
Journalismus mit den Leser*innen: das Mitgliedschaftsmodell
Im Rahmen eines Panels diskutieren Joanna Kopacka, Jonathan Widder und Pauline Tillmann auf der YouMeCon über die Frage, wer den unabhängigen Konstruktiven Journalismus finanzieren soll. Alle sind sich einig, dass mehrere Einnahmequellen für konstruktive Nischenangebote unabdingbar sind. Gut eigne sich das Mitgliedschaftsmodell:
Hierbei handelt es sich um einen Journalismus mit den Leser*innen – die diesen alleinig finanzieren. Dabei werden die Leser*innen mehr einbezogen, sie erhalten Einblick hinter die journalistischen Kulissen.
Aber gerade Kopacka weiß, wie viel Arbeit hinter dem Mitgliedschaftsmodell steht und dass es ein Team braucht, um die Mitglieder wirklich zu betreuen und einzubinden. Neben den unterschiedlichen Finanzierungsmodellen geht es um einen inhaltlich anderen Ansatz. Doch lässt sich die Zahlungsbereitschaft durch konstruktive Inhalte bei jungen Menschen steigern? Widder, Kopacka und Tillmann nicken einstimmig. „Lösungen erhöhen die Zahlungsbereitschaft“, fasst Widder zusammen.
Auch Kramp berichtet, dass Nachrichtenvermeider*innen durch Konstruktiven Journalismus abgeholt werden können. Die Corona-Krise habe das gezeigt. Aber neben einem lösungsorientierten Ansatz, wie ihn Die ZEIT etwa mit dem Format GREEN verfolgt, gebe es einen weiteren wichtigen Aspekt, der die Zahlungsbereitschaft erhöhen könnte. „Die meisten Jugendmedien wie bento oder ze.tt sind gescheitert oder bestehen nicht mehr als eigenes Medium“, erklärt Kramp. In der Medienberichterstattung fehle oft die Perspektive von jungen Menschen. Gleichzeitig dürfe man sich nicht zu sehr auf neue konstruktive Angebote versteifen. So sei es laut Kramp die Aufgabe von Journalismus allgemein, ganzheitlich zu informieren, in den Dialog mit dem Publikum zu treten und deren Lebenswelten altersunabhängig abzubilden.
Konstruktiv gründen und ein Spotify für Journalismus
Auch deshalb sei es gut, wenn junge Menschen den Mut hätten, eigene Medien mit einem konstruktiven Ansatz zu gründen. Dafür benötigt es allerdings Finanzkapital, das jungen Menschen meist fehlt. Im Durchschnitt scheitern Gründungen zu 80 Prozent bereits nach drei Jahren. Tillmann merkt an, dass es an einer zentralen Beratungsstelle für Mediengründungen fehle. So stehen gerade junge Menschen vor vielen – nicht nur finanziellen – Hürden, was das Gründen angeht.
Aufmerksamkeit ist auf dem digitalen Markt umkämpft. Leser*innen wünschen sich einen einfachen Aufnahmeprozess ohne Log-in. Es wird immer wieder über ein „Spotify für Journalismus” gesprochen – eine Plattform, bei der eine monatliche Flatrate für journalistische Inhalte von verschiedenen Anbieter*innen gekauft wird. Aber wie realistisch ist das aus finanzieller Sicht für Medienanbieter*innen? Tillmann äußert sich begeistert über die Vorstellung, mehrere konstruktive Nischenangebote könnten sich zusammenschließen. Nach dem Motto ‚Gemeinsam sind wir stark‘ könnten insgesamt viel mehr Menschen erreicht werden. „Und die, die es nicht kapieren, werden aussterben“, fasst sie nüchtern zusammen.
Der zerteilte Kuchen und die Zukunft des Konstruktiven Journalismus
Ganz anders sieht das Kramp. „Ein Kuchenkrümel ist zu klein zum Teilen“, führt er an. Die Abopreise seien meist zu gering, sodass sich eine Verteilung unter den einzelnen Medienanbieter*innen kaum lohne.
Kramp erzählt, dass der Trend anhalte. Es gebe Zukunftspläne um ein Constructive Institute in Bonn, welches eine zentrale Anlaufstelle in Deutschland wäre. Gleichzeitig bieten immer mehr etablierte Medien wie das ZDF mit Plan B konstruktive Inhalte an und neue Medienanbieter*innen werden gegründet. Wie steht es nun um den Konstruktiven Journalismus? Inwieweit dieser die Finanzierungskrise lösen kann, ist aktuell noch nicht beantwortbar. Es brauche Innovation, Leidenschaft, und Mut zum Scheitern, und vor allem das Verständnis der Redaktion als Versuchsküche, wie Kramp es fasst, um die Krise zu bewältigen. „Pläne halten nur bedingt der Wirklichkeit stand“, schmunzelt Widder und möchte jungen Journalist*innen Mut machen. Kopacka ergänzt: „The sky is the limit.“
Der Smartphonscreen wird dunkel, die App geschlossen. Die jungen Medienmachenden scrollen sich durch Pausengespräche. Häufiges Thema ist die Angst vor der journalistischen Zukunft und unbezahlten Praktika. Bisher wird eher wenig über Konstruktiven Journalismus gesprochen und ob dieser dem eigenen Nachrichtenkonsum helfen könnte – ebenso wie der gesamten Medienbranche.
FÜR WEITERE INFOS:
Jonathan Widder: Gründer von Squirrel News
Jonathan Widder gründete 2019 den Kurationsdienst Squirrel News. Anstatt Nüsse wie der Namensgeber, das Eichhörnchen, sammelt er konstruktives Medienfutter. Das vierzehnköpfige ehrenamtliche Team sortiert händisch konstruktive Medienbeiträge. Bisher finanziert sich Squirrel News rein über Spenden. Für die Zukunft ist eine App geplant sowie selbst geschriebene Beiträge – am besten in mehreren Sprachen. Und natürlich die Möglichkeit, die Mitarbeitenden zu bezahlen.
Joanna Kopacka: Community Engagement Managerin bei Investigate Europe
Investigate Europe ist ein paneuropäisches investigatives Medium von Journalist*innen aus neun verschiedenen Ländern. Das Ziel ist es, die europäische Perspektive in einzelnen Themenfeldern abzubilden. Das Magazin finanziert sich neben Stiftungen, Spenden, und Philantropen auch über Medienpartner in den jeweiligen Ländern.
Pauline Tillmann: Gründerin und Chefredakteurin von Deine Korrespondentin
Deine Korrespondentin ist ein Online-Magazin, welches Frauen sichtbar machen möchte und diese porträtiert. Die Finanzierung erfolgt über die Plattform Steady, über Spenden und Kooperationen mit Zeitungen. Neu hinzukommen als Finanzierungsform soll das Sponsoring. Gerade probiert Deine Korrespondentin eine Form des Micropayment-Systems aus, bei dem Leser*innen, denen ein Artikel gefällt, eine kleine Spende, die sich ‚Buy me a coffee‘ nennt, direkt überweisen können.
(Alle weiteren Artikel zur YouMeCon kannst Du auf dem politikorange-Blog und hier auf sagwas, dem Debattenportal der Friedrich-Ebert-Stiftung, finden.)