Kontrollierte Meinungsfreiheit
Wie ein Brennglas emotionaler Reaktionen: Erst, wenn wir wirklich aufgewühlt sind, melden wir uns im Internet zu Wort. Das gilt für Begeisterung, aber mehr noch für Hass und Wut. Mit verheerenden Folgen. Sieht so Meinungsfreiheit aus?
Hassen ist leicht in der Anonymität des Internets. Deshalb beleidigen und beschimpfen sich Menschen im Web so häufig und so bösartig wie nirgendwo sonst. Sie hetzen und rufen sogar zu Gewalt auf. Der Mord am hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke ist aktuell nur das bekannteste von zahllosen, tragischen Beispielen dafür. Lübcke hatte zuvor für seine einladende Flüchtlingspolitik viel Hass im Internet geerntet. Auch Journalist*innen und andere Personen des öffentlichen Lebens sind online oft Feinseligkeiten ausgesetzt.
Doch nicht nur sie erfahren Hetze im Netz. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW sind 85 Prozent der 14- bis 24-Jährigen schon einmal Opfer von Hass in sozialen Netzwerken geworden. Das macht Hate Speech zu einer Gefahr für die Demokratie. Denn wer im schlimmsten Fall Angst um sein Leben haben muss, wird sich zweimal überlegen, welche Meinung er oder sie öffentlich kundtut. Betroffen sind laut dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft vor allem jene Bevölkerungsgruppen, die zu den typischen Feindbildern Rechtsextremer zählen. Dem Bundeskriminalamt (BKA) zufolge lassen sich 77 Prozent der 2018 geäußerten Hasskommentare als politisch motivierte Kriminalität einstufen und zum Großteil dem rechtsextremen Spektrum zuordnen.
Netiquette ist keine Zensur
Was greift die Meinungsfreiheit mehr an: Eine gelöschte Stellungnahme zu viel oder eine gelöschte Morddrohung zu wenig? Wenn Plattformen Kommentare entfernen, ist der Vorwurf der Zensur nicht weit. Dabei gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung – eines der höchsten Güter in einer freiheitlichen Gesellschaft – eben nicht uneingeschränkt: Wird die Menschenwürde berührt, Persönlichkeitsrechte verletzt oder herabwürdigende Schmähkritik geäußert, können Betroffene rechtlich dagegen vorgehen. Insbesondere, wenn Hate Speech die Tatbestände Beleidigung, üble Nachrede, Volksverhetzung oder öffentliche Aufforderung zu Straftaten erfüllt, die das Strafgesetzbuch (StGB) aufführt.
In Deutschland greift der Staat nur dann ein, wenn einer dieser Tatbestände erfüllt ist. Und doch beschweren sich User*innen über vermeintliche Zensur in sozialen Medien, wenn ihre Posts blockiert oder gelöscht werden. Sie übersehen dabei, dass Moderator*innen ein Posting oft nicht wegen des Inhalts an sich, sondern der Art der Meinungsäußerung löschen. Wer seine Meinung auf aggressive Weise äußert, verstößt nicht unbedingt gegen geltendes Recht, wohl aber gegen die Netiquette der Plattform: Die Betreibenden einer Internetseite können nunmal mit ihrer Netz-Etikette Regeln für ein zivilisiertes Miteinander aufstellen und eingreifen, wenn sich jemand nicht daran hält. Warum auch nicht?
Ansätze dafür gibt es bereits: In vielen Foren, wie in den Kommentarbereichen großer Zeitungen, sorgen Moderator*innen dafür, dass Netiquette-Regeln auch eingehalten werden. „In einer hitzigen Diskussion zu entscheiden, was ironisch gemeint ist, wo der Ton gegen die Regeln der Höflichkeit verstößt und wann Kritik zu Beleidigung wird – darin besteht die Herausforderung für die Moderation“, schreibt Julia Meyer, Teamleiterin Community bei Zeit Online. Hier handhaben die Verantwortlichen die Moderation transparent. Das heißt, die Leser*innen sehen, wessen Kommentar entfernt wurde und erfahren den allgemeinen Grund der Löschung. Neben Beleidigung handelt es sich dabei in der Regel häufig um überzogene Polemik, dreiste Unterstellungen, diskriminierende Pauschalisierung oder einen fehlenden Bezug zum Thema.
Mitfühlend statt nur gewaltfrei
Einen weiteren Schritt hin zu respektvollem Umgang im Internet kann die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg liefern. Das Konzept des amerikanischen Psychologen beruht auf der Idee von Ahimsa, dem Nicht-Verletzen, einem zentralen Prinzip in Hinduismus und Buddhismus. „Die Gewaltfreie Kommunikation ist überall, also auch im Internet, anwendbar“, erklärt Susanne Lorenz, Kommunikations- und GfK-Trainerin aus Berlin. GfK funktioniert in vier Schritten: 1. Beobachten, 2. Gefühle, 3. Bedürfnisse, 4. Bitte. „Wenn wir im ersten Schritt nur beobachten anstatt zu bewerten und Konkretisierungsfragen stellen, kommen wir wieder auf die Sachebene – eine gemeinsame Basis“, so die Expertin. Danach macht man sich seine Gefühle und Bedürfnisse bewusst, bevor man schließlich eine Bitte an das Gegenüber formulieren kann.
Wichtiger noch als das Vorgehen sei aber die Einstellung: „Damit ist der Glaube an das Gute im Menschen gemeint. Das Bewusstsein, dass alle Menschen dieselben Bedürfnisse haben. Wir nutzen nur unterschiedliche Strategien, um sie zu erfüllen“, fährt Lorenz fort. Ziel sei es, eine Strategie zur Bedürfnisbefriedigung zu finden, die für beide Parteien in Ordnung ist. Um diese achtsame Art der Kommunikation zu lehren, bieten sich Bildungsmaßnahmen an. Das weiß auch die GfK-Trainerin, die regelmäßig Schulen und Kindertagesstätten besucht und dort Lehrer*innen und Erzieher*innen mit der Methode vertraut macht. Dabei spielt auch der Faktor Zeit eine besondere Rolle: Gut wäre es, mindestens fünf Minuten mit einer Reaktion zu warten. „Impulskontrolle –“, sagt Lorenz, „das ist, was ich mir wünschen würde“.
Hate Speech und der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie Rassismus , Nazi ,der heute schon Konservative
trifft, sind eine miese Form der Zensur . Es ist ein Merkmal totaltärer Strukturen und der “ Gutmenschen “ , dass sie jedeForm des Zweifels und der Ironie kriminalisieren Mein seliger jüdischer Großvater würde als Rechts-
liberaler (Zionist , Churchill – Anhänger ) mit seinen kritischen Anschichten zum Islam heute als Rechtradikaler gelten.
Im Namen der Menschenfreundschaft wurden gerade die gewaltigsten Verbrechen begangen ( Lenin, Mao )
Skeptiker sind Realisten, da sie um die Gefährlichkeit auch linker Ideologien wissen . Ohne Zweifel kein
Fortschritt . Zweifel sind ein elementares Menschenrecht ohne Zweifel keine Erkenntniss , dass werden
die „Gutmenschen“ nie verstehen.
Standortgebundenheit ist nicht zuletzt eine Frage des Milieus, aus dem jemand kommt.
Für politische Positionen gilt das in ganz besonderer Weise. Zur Sozialisation gehört auch die politische.
Darüberhinaus sind solche Postionen von der kognitiven Informationsverarbeitung geprägt und natürlich auch vom Zugang zu Medien. Ines Bresler, die über die besten Voraussetzungen verfügt, schreibt z. B. einen angenehm elaborierten Code. Dass sie sich einer politischen Seite zugehörig fühlt, wie jeder andere auch, ist dagegen völlig normal. Was auffällt, sind ihre binären Gegenüberstellungen von Zuschreibungen,
nach geradezu manichaeischem Muster. Festzumachen z. B. daran, dass es in ihrem Vokabular keine Differenzierung von „Hass“, keine Abstufungen in der Intensität von Gefühlen zu geben scheint. Der Ausdruck „hater“ wird demgemaeß auf alle Kommentare angewendet, die deviant zum erwarteten Zuspruch zur eigenen Position stehen. Interessant auch, daß allein der Mord an Lübke zur Debatte steht, Morde von migrantischer Seite nicht das Interesse der Autorin wecken. Ein Wort erhält seinen Sinn erst im Satz. Die von der Autorin empfohlene fünf Minutenregel hat ihren Sinn. Leserkommentare aber sind meist Spontanreaktionen, Reaktionen, die sich einem gefühlsmäßigen Dissens mit Beiträgen journalistischer Provenienz verdanken. Also von Profis formuliert werden. Wenn Leser spontan überziehen, ist eine andere Gewichtung geraten als bei Profis. Die Rede von hate speech sollte in Beachtung dieser Voraussetzungen etwas vorsichtiger und weniger inflationär erfolgen.
Noch ein paar Fragen zur Sache stellen sich: „Kontrollierte Meinungsfreiheit“:
Wird nicht auch bei der Autorin eine politische Schlagseite deutlich, eine wertende Einseitigkeit? Indem sie eine Gewichtung vornimmt, die Deviantem im Text nur ein einziges Item zuweist: „hate“? Und die operationalen Modi, mit denen „hate“ bestimmten Leserreaktionen zugeschrieben wird, sind sie nicht recht dürftig in der Nettiquette aufgeführt, zu dürftig, um zu überzeugen?
Lieber Klaus Lubjuhn, vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar! Uns interessiert natürlich brennend, wo sich andere LeserInnen Ihrer Meinung anschließen würden bzw. ihr widersprechen. Insofern hoffen wir auf weitere Reaktionen. In der Zwischenzeit freuen wir uns über konkrete Vorschläge für weniger „dürftige“ Be-/Zuschreibungen in der Netiquette. MfG, sagwas