Landflucht verboten?
Demographisch, kulturell und Ökonomisch stellt Migration einen wichtigen Teil städtischer Entwicklung dar.Daraus resultierende Konflikte ließen sich in ländlichen Räumen bisher weniger beobachten.Das könnte sich nun mit dem neuen Integrationsgesetz ändern
Von Mateusz Weis-Banaszczyk
Auf der rechten Seite der schnurgeraden, teils abgenutzten Hauptstraße liegt ein vereinsamtes Fußballfeld. Ungleichmäßig emporwachsende Grashalme deuten darauf hin, dass der Platz schon lange nicht mehr gemäht wurde. Einmal pro Stunde fährt hier ein Bus, ein Fußgänger macht auf einer Holzbank Rast. Einkaufsmeile, Kneipenviertel? – Fehlanzeige! Ein ganz normaler Tag in vielen Kommunen, die von Abwanderung und Niedergang geprägt sind.
Kulissenwechsel: Karim Zen Rahmoun, 25, in Syrien noch als Grafikdesigner tätig, hat nach langer Reise aus seiner Heimat as-Suwaida im Süden Syriens seit seiner Ankunft in der Türkei noch einmal von vorne angefangen. Er lebt nun im Istanbuler Stadtteil Eyüp, zusammen mit einem Palästinenser und einem türkischen Studenten. »Mal schauen, wie es bei mir weitergeht. Ich werde versuchen, über die bulgarische oder rumänische Botschaft ein Schengen-Visum zu erhalten. Um nach Deutschland überzusiedeln, müsste ich jedoch noch eine Weile arbeiten, damit ich meinen finanziellen Unterhalt dort sichern kann.«
Karim Zen Rahmouns Bruder, der in Damaskus Werbemanagement studiert hat, lebt inzwischen in Berlin. Durch Zufall kam er in Kontakt mit einer lokalen Werbefirma und gestaltet nun Plakate und Flyer für lokale Veranstaltungen. Das Geld reicht, um in einer Wohngemeinschaft unterzukommen. Wenn Karim Zen Rahmoun es bis nach Deutschland schaffen sollte, möchte auch er gerne in Berlin leben. Aufdem Land zu wohnen, könnte er sich nicht vorstellen. »Ich müsste schon dorthin, wo ich als Grafikdesigner kurzfristig neue Aufträge bekommen könnte. Das sind in meinem Fall Städte wie Frankfurt, München oder eben Berlin. Außerdem müsste ich in der Anfangsphase Anschluss finden, um mich an die neue Lebensart zu gewöhnen. Gerade zu Beginn hätte ich die Befürchtung, außerhalb der Stadt nicht wirklich voranzukommen.« Ist diese Befürchtung von Menschen wie Karim Zen Rahmoun gerechtfertigt?
Beschaulichkeit statt Großstadttrubel
Das kürzlich im Rahmen einer Zusammenkunft von Bund und Ländern verabschiedete Integrationsgesetz sieht künftig eine Wohnsitzzuweisung vor, die es erlaubt, anerkannte Geflüchtete in Regionen zu schicken, wo es stadtplanerisch den meisten Freiraum gibt. Geplant ist es, Großstädte zu entlasten, soziale Brennpunkte zu vermeiden und Integrationsprozesse effektiver zu organisieren. Integration weit von der Anziehungskraft der Metropolen – eine Regelung, die wohl nicht alle Betroffenen zu Jubelstürmen verleiten wird.
Nebenbei dürfen bei allen geplanten Maßnahmen nötige Aufwertungsarbeiten von ländlichen Gebieten nicht außer Acht gelassen werden. In den meisten strukturschwachen Regionen müssten die bereitgestellten Integrationsmilliarden aber auch dafür genutzt werden, die Bevölkerung mit besserer Infrastruktur wie etwa Breitbandausbau und Instandsetzung von Wasserleitungen milde zu stimmen. Dies fördert die Akzeptanz gegenüber zugezogenen Geflüchteten.
Frisches Geld für die Länder
Auf alle Fälle wird durch das neue Gesetz eine bessere Verteilung von Staatsmitteln zugunsten der Länder auf den Weg gebracht. Obwohl diese damit theoretisch frei verfügen dürfen, soll in erster Linie der Ausbau von Sprach-und Integrationskursen vorangetrieben werden. Dazu soll auch der Unterricht, der bisher etwa bei 60 Einheiten lag, auf 100 erhöht werden. Auch die Errichtung neuer Wohnheime könnte damit finanziert werden. Bis 2018 gäbe es für beide Vorhaben zusammen circa sieben Milliarden Euro.
Ohne Arbeit ist eine gesellschaftliche Integration kaum vorstellbar: 100.000 neu angelegte gemeinnützige Stellen sollen daher diesen Prozess vereinfachen. Katja Mast, die arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion ist von diesem Konzept überzeugt: »Integration und Teilhabe für Menschen mit Fluchtgeschichte – noch nie waren die Rahmenbedingungen in Deutschland für sie so gut wie sie es nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes sein werden.«
Würden sich unter diesen Umständen Leute wie Zen wirklich dafür entscheiden, der Großstadt den Rücken zu kehren und es auf dem Land zu versuchen? Das mag momentan noch bezweifelt werden. Dennoch: Den Städten fehlt zunehmend der Platz für die Ansiedlung neuer Industrien wie IT und Mikrotechnik. Viele kleinere Regionen können hier mit Freiflächen punkten und sich so für Investoren*innen attraktiv machen. Die Fußballfelder bekämen dann endlich auch einen neuen Rasen.