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Lasst uns Streiten!

Von Lucca Pizzato / 8. Juli 2020
picture alliance / PantherMedia | Volodymyr Melnyk

Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen, löst Probleme nicht, sondern verschiebt sie nur in die Zukunft. Ein Gespräch mit Dr. David Lanius, Mitbegründer des Forums für Streitkultur, das sich für eine konstruktive und demokratische Form des Streitens einsetzt.

Sagwas: Streiten Sie gerne, Herr Lanius?

David Lanius: (lacht) Die Frage kann ich mit Ja und Nein beantworten. In einem Sinne, auf der sachlichen Ebene, streite ich sehr gerne. Als Philosoph ist das sozusagen mein tägliches Brot. Im landläufigen Sinne, wenn man zankt und dabei gar keine Argumente mehr austauscht, dann nicht so gerne. Streiten ist allgemein leider negativ konnotiert. Eine Mission des Forums für Streitkultur ist es daher, dem Streiten einen besseren Ruf zu geben.

Wir müssen Reden!“ ist das Motto des Forums. Sie plädieren für mehr „konstruktives Streiten“. Was führt denn zu nicht konstruktivem Streiten?

Ein großes Problem ist die Haltung, mit der viele Menschen in ein Streitgespräch gehen. Viele sehen Streit als eine Art Kampf, bei dem sie gewinnen oder verlieren können – und um jeden Preis gewinnen möchten. Andere haben überhaupt kein richtiges Ziel für das Gespräch und streiten dann vielleicht sogar widerwillig. Mit beiden Einstellungen kommt man nicht so weit.

Welche Haltung empfehlen Sie?

Man sollte Streit grundsätzlich als ein kooperatives Unterfangen sehen. In jedem Fall sollte die andere Person nicht als Feind betrachtet werden, sondern als Gegner, mit dem man freundschaftlich um Argumente ringt.

Wie hilft das Forum, die Kommunikation in Konflikten zu verbessern?

Einerseits machen wir Grundlagenforschung. Romy Jaster und ich haben 2017 das Forum gegründet und betreiben an der Humboldt Universität Berlin (HU) und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) jeweils unsere Feldforschung.

Andererseits bieten wir praktische Workshops an, wo Teilnehmende mit unterschiedlichen Standpunkten zu kontroversen Fragen diskutieren können und wir dabei Anleitung und unterstützendes Feedback geben. Wir haben aber auch schon Straßenaktionen im Rahmen unseres Streitlabors durchgeführt, bei denen Menschen über alles Mögliche diskutieren konnten, ohne sich um soziale Konsequenzen Gedanken machen zu müssen.

Welche konkreten Tipps konnten Sie den Teilnehmenden geben?

Für „Deutschland spricht“ hatten wir zehn Regeln für eine gute Debatte zusammengestellt. Das sind relativ konkrete Vorschläge, wie man Zwiegespräche konstruktiver gestalten kann. Zum Beispiel haben wir die Teilnehmenden aufgefordert, jedes Mal bevor sie auf Gesagtes antworten, einen Punkt herausgreifen, mit dem sie übereinstimmen, und erst danach in die Kritik zu gehen.

Populismus und Verschwörungstheorien können dieses Übereinstimmen erschweren. Wie kann man in solchen Fällen trotzdem eine gemeinsame kommunikative Ebene finden?

Die Leute sind sich in solchen Fällen häufig schon darüber uneinig, was die Fakten sind. Natürlich wissen wir manchmal tatsächlich nicht, was die Wahrheit ist. Zum Beispiel, wann genau Homer, der Autor der Odyssee, geboren worden ist. Vieles lässt sich hingegen schnell auf sichere Weise herausfinden. So können wir leicht sicherstellen, ob Bamako die Hauptstadt von Mali ist. Die relevanten Fragen lauten dann aber, was die Quellen sind, welchen Quellen wir vertrauen und auch welchen Quellen wir vertrauen sollten. Ich glaube, das ist meistens der Knackpunkt bei Diskussionen mit Verschwörungstheoretiker*innen und Anhänger*innen von Populismus. Das Internet verstärkt leider diese Uneinigkeit bezüglich der Fakten und was überhaupt zuverlässige Quellen sind.

Diskutiert gern – auch über Quellen: David Lanius (Foto: David Lanius)

Also im Fall grundlegender Uneinigkeit lieber gar nicht diskutieren?

Ich denke, die beste Strategie ist es, die rein inhaltliche Ebene an dieser Stelle zu verlassen und direkt über die jeweiligen Quellen zu sprechen. Verschwörungstheoretiker*Innen haben ein sogenanntes „selbstimmunisierendes“ Weltbild, weil sie für jedes Gegenargument einen Einwand haben. Es empfiehlt sich daher, mit solchen Menschen nicht so sehr darüber zu diskutieren, ob zum Beispiel der Klimawandel menschengemacht ist, sondern besser darüber, wie man die angeführten Quellen bewerten sollte und ob diese Bewertung immer mit demselben Maß geschieht.

Sollte die Politik sich hier mehr einbringen, um den Uneinigkeiten und Unsicherheiten der Bürger*Innen in und gegenüber den neuen Medien entgegenzuwirken?

Ich würde sagen, dass die Verantwortung hier sehr breit verteilt ist. Politik, Medien, aber auch wir alle als Mediennutzende tragen einen Teil der Verantwortung, Verschwörungstheorien weniger Raum zu geben, indem wir gewisse moralische und epistemische Standards wahren und offensiv einfordern. Also selbst als Vorbild vorangehen und im Zweifel klar auf Verletzungen dieser Standards reagieren.

Sie haben die „Zehn Regeln einer guten Debatte“ erwähnt. Welche dieser Regeln ist Ihnen besonders wichtig?

(lacht) Was ich persönlich sehr wichtig finde, ist das „wohlwollende Interpretieren“. Das heißt eigentlich nur, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen: Verstehen zu wollen, was die andere Person sagt und was für Gründe sie für ihre Position hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich die Position des Gegenübers auch inhaltlich wohlwollend bewerten muss. Ganz und gar nicht! Ich kann die Position inhaltlich vehement ablehnen und trotzdem mit der anderen Person konstruktiv meine Gründe austauschen.

Im klassischen Zwiegespräch sollte ich mich entweder für ein Gespräch entscheiden und mich mit interpretativem Wohlwollen darauf einlassen – oder ich führe es eben nicht. Wenn ich beispielsweise nicht mit einer radikalen Islamistin wohlwollend über Ehrenmorde oder Kopftücher diskutieren kann, sollte ich mit ihr vielleicht gar nicht diskutieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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