Lebensabschnitt Berlin – Dauer ungewiss
Über Umwege kommt Silvia nach Berlin. Sie vermisst Spanien, aber die berufliche Realität macht eine baldige Rückkehr unwahrscheinlich.
„Verstehst du, warum so viele Spanier nach Berlin kommen?“, fragt Silvia mich fast schon entschuldigend, als wir ein Café am Rosenthaler Platz in Berlin nach mehr als einer Stunde Gespräch wieder verlassen. Silvia, 26 Jahre alt, kommt aus Madrid. Seit 2013 lebt sie in Berlin.
„Es war schon immer mein Traum, für eine Zeit im Ausland zu leben, neue Kulturen kennenzulernen“, sagt sie. „Früher, da sagten mir alle, ich sei verrückt.“ Heute sehe alles ein wenig anders aus. Silvia lebt gefangen zwischen ihrem Traum im Ausland zu leben und dem Wunsch, zu wissen, wann sie zurück nach Spanien gehen kann.
„Es gab keine Arbeit mehr“
In Madrid hat sie zuerst Medien studiert und dann die Filmschule besucht. Neben dem Studium hat sie immer gejobbt. Aber dann hat die Krise angefangen – und das habe sie verunsichert. „Früher kam die Arbeit immer zu mir, plötzlich war das Angebot weg.“ Sie habe alles gemacht, was von ihr erwartet wurde: die Sekundarstufe, Bachelor, Master. „Aber es gab keine Arbeit mehr.“
Während ihrer Zeit an der Filmschule lernte sie ihren Freund, einen Schweizer, kennen. Sie entschloss sich, Deutsch zu lernen. Ein Jahr lang besuchte sie einen Deutschkurs am Madrider Goethe-Institut und arbeitete nebenbei halbtags in einem Kleidungsgeschäft – bis ihr wegen der Krise gekündigt wurde.
Ohne lange zu überlegen, entschloss sie sich, zu ihrem Freund und seinen Eltern in die Schweiz zu ziehen. Zwei Jahre lang lebte sie in Zofingen, einer 11.000 Einwohner zählenden Kleinstadt im deutschsprachigen Teil der Schweiz. Jeden Tag besuchte sie von morgens bis abends einen Deutsch-Intensivkurs. „Aber das Schweizerdeutsch auf der Straße konnte ich damit trotzdem nicht verstehen.“
Die Menschen in Zofingen seien sehr traditionsbewusst und ihr gegenüber sehr distanziert gewesen. „Ich habe sehr schnell den Kulturunterschied erfahren“, sagt sie, „Ich komme aus einer Großstadt. Das Leben in der Schweiz war für mich nicht einfach.“ Es fiel ihr schwer, soziale Kontakte zu knüpfen. „Ich war immer ein unabhängiger Mensch. Aber plötzlich lebte ich in einer mir fremden Welt.“ Sie fühlte sich abhängig.
„Es war meine erste, längere Auslandserfahrung. Ich musste mich einfach an vieles gewöhnen. Natürlich habe ich auch Einiges gelernt und viele schöne Erfahrungen gemacht.“ Gemeinsam mit ihrem Freund entschied sie, dass der Zeitpunkt für Veränderung gekommen sei. Ende 2013 zogen sie nach Berlin.
Neuanfang in Berlin
„Ich war ein paar Mal als Touristin in Berlin, aber es hat mir nie gefallen“, sagt Silvia heute. Dennoch fiel die Entscheidung auf Berlin. „Mein Freund ist Fotograf, ich arbeite in der Filmproduktion, Berlin ist günstig und es gibt viele Möglichkeiten.“
Ein halbes Jahr brauchte sie, um sich in Berlin einzuleben. „Viel vergeudete Zeit“, sagt sie im Nachhinein. Dann entschloss sie sich, endlich in den Beruf einzusteigen. „Ich habe mich für mehr als 40 Praktika in der Filmproduktion beworben.“ Schnell hatte sie drei Zusagen. „Ich war total überrascht. In Spanien wäre das nie passiert.“
Im Sommer 2014 machte sie vier Monate lang ein Praktikum in einer Berliner Werbeproduktionsfirma. Darauf folge im Januar 2015 ein weiteres Praktikum in einer Filmproduktionsfirma. „Eines Tages kam der Chef zu mir und fragte, ob ich bleiben möchte. Ich war überglücklich.“ Seit Mai arbeitet sie in Vollzeit in der Berliner Firma.
„Ich fühle mich gut integriert, aber ich vermisse Spanien.“ Zu 100 Prozent hat sie nie das Gefühl, in Deutschland angekommen zu sein. „Gerade hat die Arbeit absolute Priorität, aber mein Ziel ist es, in den nächsten Jahren zurück nach Spanien zu gehen.“
Wir führen das gesamte Gespräch auf Deutsch. Silvia kann sich ohne Probleme verständigen. Trotzdem fühlt sie sich durch die Sprache gehemmt: „Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann fachlich schneller lernen, als mein Deutsch es zulässt.“ Silvia ist ehrgeizig. Die Situation belastet sie.
Spaniens Weg aus der Krise: Migration als Chance?
Ihr Traum ist es, eines Tages zurück nach Madrid zu gehen und dort einen guten Job mit vergleichbaren Konditionen wie in Deutschland zu haben. Aber danach sieht es im Moment nicht aus. Freunde, die einen Job gefunden haben, arbeiten für 500 bis 800 Euro im Monat – Vollzeit. Viele junge Menschen wandern aus. „Heute sagen mir meine Freunde, ich wäre verrückt, wenn ich nach Spanien zurückkehren würde.“
Für Spanien sei dieser Zustand eine Schande. Etwa 9.100 Euro bezahlt der Staat pro Student und Jahr für die Ausbildung. Für eine vierjährige Universitätslaufbahn sind das fast 40.000 Euro – Investitionen, deren Nutznießer jetzt andere Staaten sind. So wie Deutschland: 2012 kamen laut Bundesregierung 44.000 Spanierinnen und Spanier, nur 20.000 gingen zurück. Heute leben laut Auswärtigen Amt rund 130.000 spanische Staatsbürger in Deutschland. 2013 wanderten mehr als 532.000 Menschen aus Spanien aus. Die Bevölkerung schrumpfte.
Silvia sieht in der Migration aber auch eine Chance für Spanien. Die gewonnen Erfahrungen und die Expertise könnten für das Land in Zukunft von enormer Bedeutung sein. „Sobald es in Spanien aufwärts geht, werden die jungen Leute zurückkommen“, ist sie sich sicher. Die jungen Menschen könnten dann der Motor eines spanischen Wirtschaftswunders sein.