Matchball für den Breitensport
Kaum eine Sportart gilt als prestigeträchtiger: Mit Tennis verbinden die meisten Leute einen teuren, elitären Zeitvertreib. Dabei können auch weniger wohlhabende Hobbyspieler nützliche Lektionen lernen.
Was wären wir ohne freie Zeit für eigene Interessen und Wünsche, fernab von Arbeit oder Stress? Freizeit, das hohe Gut, heißt für viele: Zeit für Sport.
Eine Sportart, die für ein besonderes soziales und strukturelles Umfeld steht – alleine oder im Team – ist Tennis. Der „weiße Sport“, der in den ’80er Jahren in Deutschland durch Spieler wie Boris Becker und Steffi Graf seinen hohen Bekanntheitsgrad erlangte. Wie damals unterliegen Tennisprofis noch heute einem strengen, aber lohnenswerten Turniergeschäft. Verdienen lassen sich dabei mitunter Millionen von Euro. Und was hat der Hobbyspieler davon?
Edler Sport der Reichen
Zunächst zu den Basics. Die Herkunft des Wortes „Tennis“ ist ungewiss, doch man mutmaßt den französischen Vorläufer „Jeu de paume“ (frz.: Schlagballspiel) und den damit verbunden Ausruf „tenez!“ (Imperativ Plural von tenir = halten). Um etwa 1600 entstanden in Paris Tennisanlagen im Freien als Freizeiteinrichtungen für jedermann. Sogar Mönche sollen dem Spieltrieb verfallen sein. Circa 1900 wandelte sich der Tennissport dann in einen Zeitvertreib für Adel und Bürgertum. Die Bälle sprangen im Freien auf Rasenplätzen nicht sonderlich gut ab, weshalb die Wohlhabenden auf sogenannte Ballhäuser mit Hartboden auswichen. Weil diese Vorläufer von Tennishallen oft in dunklen Farben gestrichen waren, kleideten sich die Spieler zum Kontrast hell, auch die Außenhaut des Balls war (bis 1986) weiß – der Begriff „weißer Sport“ war geboren. Als Bälle mit besseren Spieleigenschaften auf den Markt kamen, fand der Tennissport wieder vermehrt draußen statt, im Lichte der Öffentlichkeit.
Vom elitären Zeitvertreib zum Massensport
Im berühmten Londoner Stadtteil Wimbledon fand 1877 das erste Tennisturnier statt. Dass Tennis in der Gesellschaft als elitäre Sportart angesehen wurde, änderte sich in erst in den 1980ern. Unter anderem die deutschen Tennisspieler Boris Becker und Steffi Graf lösten einen wahren Hype aus. Ihr Spiel begeisterte ein breites Publikum und ließ Tennis zum Massensport werden. Damit war – von Wimbledon abgesehen – auch die (Selbst-)Verpflichtung, feine weiße Kleidung zu tragen, dahin. Mit dem Karriereende von Graf und Becker legte sich der Tennisboom allerdings bald wieder. Was geblieben ist: Ein ganz bestimmter Schlag Mensch.
Tennis und ich
Mit neun Jahren stellten meine Eltern mich auf den Tennisplatz. Sport tut bekanntlich gut und ich sollte es mal ausprobieren. Das war im Jahr 2000. Vom weißen Sport keine Spur mehr. Ich trainierte von da an mit Mädchen und Jungen. Wir hatten Spaß, nahmen später als Juniorinnen-Mannschaft an Turnieren teil. Während in unserem kleinen hessischen Verein Teamspirit herrschte, ernteten wir im Freundeskreis jedoch komische Blicke, wenn wir im Sommer von unseren Sonntagen auf der roten Asche erzählten. Bemerkungen wie „Ihr habt es aber dicke!“ waren keine Seltenheit, obwohl völlig fehl am Platz.
Tennis ist vergleichbar mit Sportarten wie Fußball. Es bedarf einer Ausrüstung, Kleidung, Schuhe, Tasche und ein Mitgliedsbeitrag wird auch gezahlt. Ja, es soll Vereine geben, in denen man im Schnitt nicht 180 Euro im Jahr zahlt, sondern der Jahresbeitrag ein, zwei Nullen mehr hat. Dann ist da auch vielleicht die Nase etwas weiter oben. Unsere Jugendmannschaft war jedenfalls schnell im wahren Tennisleben angekommen: ein Freizeitvergnügen aus Rennen, Stöhnen, Tricksen, Taktieren, Feiern, Rumschreien.
Typus: ehrgeiziger Hobbyspieler
Meine Sommer sind seit jeher geprägt von sonntäglich frühem Aufstehen, denn bei Turnieren ist Spielbeginn um 9 Uhr. Um 8:45 Uhr sollten alle Teilnehmer vor Ort sein. Diszipliniertes Verhalten zeugt auch von erlerntem Respekt. Was nicht allen gleichermaßen leicht fällt.
Sind nicht alle Spieler pünktlich anwesend, geht das Gezanke schon los und zieht sich durch den ganzen Tag: Der Platz ist uneben, die Zuschauer zu laut, der Gegner anscheinend blind. Ja, Tennisspieler und Tennisspielerinnen meckern gerne. Viel lieber aber reden sie mit sich selbst: murmeln, fluchen oder feuern sich selbst an. Ein anderes Mal coachen Mannschaftsmitglieder von der Seitenlinie. Den Ehrgeiz teilt man sich.
Die Transformation des Tennisspiels
Berni Hermann (44) aus Essen ist Tenniscoach und sieht im Tennis immer noch einen Hauch Elite-Sport, „aber der wird immer kleiner“. Den Typus „Tennisspieler“ definiert er wie folgt: „Man benötigt einen gefestigten Charakter. Du musst viele Eigenschaften mitbringen, wie zum Beispiel Selbstvertrauen, Emotionskontrolle, Fokussierung, Entspannung, Willenskraft oder Durchhaltevermögen.“ Da Tennisspieler meistens alleine mit vielen Pausen auf dem Platz stehen, „müssen sie Meister des inneren Dialogs sein, um beste Leistungen zu erzielen.“
Stephan Hanft (55) ist Erster Vorsitzender des Tennisclubs Blau-Weiß in Wiesbaden und ist eher unsicher, ob es noch Vorurteile gibt. „Tennis galt mal als elitär, mit hohen Hürden beim Vereinszutritt und einer Kleiderordnung. Das ist heute ganz anders: Tennis ist bunt und vielfältig geworden und im Breitensport angekommen. Von Tennis leben, das können ohnehin nur sehr wenige.“ Er beschreibt Tennis vor allem als einen sehr anspruchsvollen Sport, bei dem es auf eine gute Koordination von Auge, Ball und Schläger sowie die erforderliche Technik bei der Schlagausführung ankommt. „Bis auf den eigenen Aufschlag ist jeder zu spielende Ball aus der Bewegung zu schlagen und abhängig von der Raffinesse und dem Können des Gegenspielers. Eine tolle Herausforderung!“, lobt er. Tennis mache aber nicht nur Spaß, sondern fördere die soziale Interaktion, ist er überzeugt. „Die Einbindung in den Verein und die damit verbundenen Aktivitäten sowie das gesellige Zusammensein sind genauso wichtig.“
Wie beim Fußball, so zählt also auch im Tennis die Gemeinschaft viel. Wer Tennis trotzdem vor allem als teuer begreift, sollte nicht die horrenden Summen ignorieren, die aus Fußball immer häufiger mehr als nur ein Spiel machen.