X Icon Facebook Icon

Mit Musik gegen den Hass

Von Alicia Honé / 9. Februar 2016
picture alliance/dpa/TASS | Sergei Savostyanov

In einem Orchester muss alles aufeinander abgestimmt sein, wenn es am Ende harmonisch klingen soll. Wer aufeinander hört, kann Großes bewirken. Davon ist Musiker Micha Philippi überzeugt. Er bringt deutsche und bosnische Jugendliche zusammen – zum Musizieren.

Micha Philippis Verbundenheit zu Bosnien beginnt im Jahr 1995 während seines Musikstudiums. Das Kriegsende ist nah und eröffnet bereits den Blick auf das Danach: Zertrümmert und traumatisiert steht das Land vor der großen Aufgabe des Wiederaufbaus.

Nach einem Besuch in Bosnien motiviert Philippis Musikprofessorin von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ihre Studierenden zur Mitarbeit an einem Projekt an der Musikakademie in Sarajevo.

Wenn nichts mehr normal ist

Philippi und sein Kommilitone Martin Häusler, beide Lehramtsstudenten, machen begeistert mit. Aber schon bald reicht ihnen das Projekt nicht mehr aus – sie möchten raus aus der Akademie und direkt an die Schulen gehen, wo es an allem mangelt – auch an Musiklehrern.

Doch an fehlende Lehrer denkt in Bosnien zu der Zeit niemand. Vor allem auch Musik wird als unwichtig empfunden. Dabei brauchen Kinder und Jugendliche besonders in Krisenzeiten einen Hauch von Normalität. Die Studenten Philippi und Häusler wollen zu dieser Normalität beitragen.

Im Oktober 1996 starten sie deshalb ihr eigenes Projekt „MUSIEGT“. Sie unterrichten bosnische Schüler, die bislang vor allem den Klang herannahender Geschütze kennen. Vier Jahre lang bleiben Philippi und Häusler im bosnischen Mostar. Philippi lernt in Bosnien seine heutige Frau kennen, gründet eine Familie. Als er 2000 mit seiner Familie nach Deutschland zurückkehrt, um sein Studium zu beenden, ist er „nach Bosnien verheiratet“, wie er heute schmunzelnd erzählt. Bosnien lässt ihn nicht mehr los.

2005 organisiert Philippi zum ersten Mal Studienfahrten nach Bosnien. Er bringt deutsche Studierende mit bosnischen Waisenkindern und Studierenden zusammen. Aus einer Begegnung soll Gemeinschaft werden, hofft der Niedersachse. „Sich nahekommen geht nur, wenn man sich gegenübersitzt, miteinander sprechen kann“, sagt er. Diese Philosophie bestimmt sein Handeln, sie zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit.

2007 beginnt Philippi als Lehrer an der Kooperativen Gesamtschule im niedersächsischen Sehnde. Auch dort dauert es nicht lange, bis er das nächste Bosnien-Projekt anstößt. Zusammen mit seinem Studienfreund Martin Häusler organisiert er Studienfahrten für angehende Abiturienten nach Bosnien.

Menschen zusammenbringen – aber wie?

Im gleichen Jahr übernimmt Philippi eine fünfte Klasse, die Orchesterklasse, als Lehrer. 2014 fährt Philippi mit dieser Orchesterklasse nach Bosnien – abermals, um eine Begegnung auf musikalischer Ebene zu schaffen. „Warum nicht mit Musik? Die Jugendlichen sprechen zwar unterschiedliche Sprachen, aber die Sprache der Musik verstehen sie alle“, so Philippi.

Sie spielen in Bosnien mit verschiedenen Musikgruppen aus dem ganzen Land, aus Sarajevo, Trebinje, Ljubinski und Mostar. Die Sehnder Schüler sind zehn Tage unterwegs und treffen an jedem Ort auf neue Mitmusiker, proben und konzertieren gemeinsam mit ihnen. Das ist für alle eine Herausforderung, schließlich soll das Zusammenspiel am besten sofort funktionieren. Die einzelnen Gruppen sind nicht alle auf dem gleichen Level und haben die Stücke bisher auch nur für sich allein und nicht zusammen geübt. Trotzdem klappt am Ende alles sehr gut, Philippi ist begeistert von der Leistung aller Beteiligten. „Alle waren super hilfsbereit und diszipliniert“, sagt er.

Das ist keine Selbstverständlichkeit: Bewusst hatte Philippi eine serbische, eine kroatische und eine bosnische Schule gewählt, damit sich auch die einheimischen Jugendlichen begegnen. „Zwar sind die Konflikte zwischen den Nationalitäten gerade bei der jungen Generation eigentlich kein Thema mehr, aber schon allein wegen der wenig gemischten Schulen gibt es immer noch eine Trennung“, so Philippi.

Vor der Fahrt hat er seinen Schülern den geschichtlichen Hintergrund Bosniens versucht zu erklären – obwohl das für ihn eine Gratwanderung ist. „Eigentlich bin ich kein Freund davon, die Menschen in Bosnien in Volksgruppen einzuteilen. Denn dadurch, dass man das ständig tut, schafft man diese Teilung oft erst.“

Besonders berührt ist Philippi, als beim Abschlusskonzert in Mostar die Schüler aller beteiligten Schulen gemeinsam das Lied „Jovane Jovanke“ aus dem ehemaligen Jugoslawien spielen. „Da krieg ich jetzt noch Gänsehaut“, erzählt Philippi.

Zusammen und gemeinsam

Nach der Fahrt besteht zwischen den Sehnder Schülern und den bosnischen Mitmusikern weiterhin Kontakt. Die gemeinsamen Erfolgserlebnisse haben aus den Einzelgruppen eine Gemeinschaft gemacht.

Trotz aller Freude über den Erfolg weiß Philippi auch, wie zerbrechlich dieses musikalische Gemeinschaftskonstrukt ist: „Das Zusammenspiel funktioniert wirklich nur, wenn alle mitmachen. Meine Erfahrung ist aber, dass es dann viel schwieriger ist, dass jemand ausbricht oder ausgestoßen wird. Auch hier im Orchester lieben sich nicht alle, aber alle wissen: Wir gehören zusammen.“

Portrait_2015
Micha Philippis Liebe zur Musik konnte Vertrauen zwischen ehemals verfeindeten Bevölkerungsgruppen aufbauen. (Foto: Privat)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ähnlicher Beitrag
Neues Thema
Meist kommentierter Artikel