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New Journalism. Jetzt!

Von Timotheus Tiger / 3. Mai 2012
picture alliance / Geisler-Fotopress | Dennis Van Tine/Geisler-Fotopress

Kennen Sie Gay Talese? Es ist nicht schlimm, wenn nicht. Es ist traurig und ein bisschen bedrückend. Aber es ist nicht schlimm. Nein, Unfug. Es IST schlimm, verdammt. Gay Talese, Träger des George Polk Award (okay, den kennen Sie auch nicht und das ist nun wirklich kein Drama), gilt als einer der Urheber des „New […]

Kennen Sie Gay Talese? Es ist nicht schlimm, wenn nicht. Es ist traurig und ein bisschen bedrückend. Aber es ist nicht schlimm.

Nein, Unfug. Es IST schlimm, verdammt. Gay Talese, Träger des George Polk Award (okay, den kennen Sie auch nicht und das ist nun wirklich kein Drama), gilt als einer der Urheber des „New Journalism“.

Immerhin – mit diesem Begriff kann man auch hierzulande etwas anfangen. „New Journalism“, das war doch dieser Dings, dieser Irre, der Thompson? Fast. Hunter S. Thompson begründete den Gonzo-Journalism. Aber egal – irgendwie stimmt ja die Richtung. Und es ist immer noch besser, Sie verwechseln diese beiden, anstatt auch nur für eine wertvolle Sekunde Ihres Lebens darüber nachzudenken, ob denn hierzulande vielleicht Benjamin Stuckrad-Barre oder Martin Sonneborn – stop it.

Gay Talese wurde im Februar 80 Jahre alt, wirkt in Interviews fit wie eh und je, lehrt jeden Frühling an der University of South California und schrieb 1966 mit Frank Sinatra Has a Cold eine Reportage, die als Grundform des „New Journalism“ gilt und für viele leidenschaftliche Vertreter des Journalismus noch heute eine der besten Reportagen aller Zeiten ist. (Vermutlich sogar noch knapp vor „Aus! Aus! Das Spiel ist aus!“)

Gay Talese nahm sich Zeit für sein Thema. Und er entschied erst vor Ort, was eigentlich Thema war. Sinatra ist Titelfigur seiner Reportage. Doch im Text bildet er nur ein unverzicht­bares dramaturgisches Gerüst. „Losgelöstsein“ sei eine Bedingung guten Journalismus’, schrieb „der Freitag“ über Gay Talese.

New Journalism ist eine Mischung aus Journalismus und Literatur, ist somit subjektiv, steht zu seinem eigenen Verfasser. Subjektiver Journalismus ist natürlich auch in Deutschland keine Unbekannte, man denke nur an den bis jenseits der Grenze des Erträglichen selbstverliebten Frank Plasberg. Oder an Cherno Jobatey. (Das ist natürlich Quatsch. Jobatey ist kein Journalist. Und selbst seine eigene Definition von „New Journalism“ würde sich auch nach gefühlt 50 Jahren Sadomediismus noch auf ein Paar Turnschuhe reduzieren.)

Literarischer Journalismus nach Talese ist in Deutschland auf den Sonntag begrenzt. Zumindest in der Denke der Media­planer. (DIE ZEIT wird demnach zwar am Donnerstag gekauft, liegt dann aber noch drei Tage ungelesen auf dem Küchen­tisch des Altonaer Sozialkundelehrer-Ehepaars.) Sonntag hat der Deutsche Zeit. Sein Auto hat er schon am Tag zuvor gewaschen. Jetzt ist gemütlich.

Ich wasche mein Auto nicht am Samstag. Aber gemütlich finde ich auch gut. Und obwohl ich nur selten zur ZEIT greife, weist sie auch für mich unbestritten einen hohen Grad an New Journalism auf. Ebenso die FAS. Im letzten Jahr seines Bestehens definitiv auch der Rheinische Merkur. Mehrmals im Jahr auch der SPIEGEL. Jedenfalls: Nische.

New Journalism ist aufwendig und sui generis kein Alltagsprodukt im Sinne von: Jeden Tag in unserer Zeitung. Vielleicht scheitern auch deshalb regelmäßig die Ankündigungen deutscher Zeitungs-Chefredakteure, aus ihrem Titel jetzt ein „Autorenblatt“ machen zu wollen.

Aber wie großartig wäre es, wenn nicht nur BILD seinen FJW finanzierte, sondern zumindest die großen Blätter einen literarischen Libero hätten, der mit Verve politische Analysen fertigte? Immer wieder blitzt durch, wie solche Texte aussehen könnten. Volker Zastrow schreibt bei großen Themenlagen gerne mit einem Furor, der dem Urtyp nahekommt. (Talese: „Der perfekte Journalist ist immer ein Fremder.“)

New Journalism sollte nicht mit besserwisserischer Häme auf hohem sprachlichen Niveau verwechselt werden. Natürlich finden sich in SZ, SPIEGEL und taz haufenweise brillant geschriebene Abrechnungen mit Angela Merkel oder Josef Ackermann. Doch die Scottise allein macht noch keinen neuen Journalismus. Hinter der Idealform steckt eine geradezu versessen detaillgetreue Recherchephase. Talese ist großer Verfechter endlos vollgeschriebener Notizblöcke. (Er findet übrigens auch, das Interviews mit Digirecordern nichts taugen.)

Talese hat vor vielen Jahren aufgegeben. Er schreibt Bücher, keine Artikel mehr. Doch der Übergang ist natürlich fließend. Eine SPIEGEL-Titelgeschichte in der stringenten erzählerischen Brillanz der Sinatra-Reportage würde auch als separates E-Book ihre Käufer finden.

Und es ist diese Hoffnung, mit der ich heute ende: Dass gerade die kaufmännisch geprägte Produktentwicklung neue Räume für neuen Journalismus schafft. Es stimmt nicht, dass „der Leser“ nicht (mehr) für Inhalte bezahlen wolle. Er ist lediglich wählerischer geworden und will ein paar neue Rezepturen. Tun wir ihm den Gefallen.

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