Nicht alle in einem Boot
Noch ist die Flüchtlingsthematik ganz oben auf der Nachrichtenagenda. Eines wird dabei nur allzu oft übersehen: „Die Flüchtlinge“ sind keine homogene Masse, sondern Individuen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, Prinzipien und Wünschen. Der Syrer Moaz und Daniel Peters von der Flüchtlingsinitiative „Die Insel hilft“ berichten im Interview über die Gemeinschaft der Flüchtlinge.
sagwas: Moaz, du kommst ursprünglich aus Syrien. Warum bist du nach Deutschland gekommen?
Moaz: Ich war gegen das Assad-Regime politisch aktiv und saß deshalb sieben Mal im Gefängnis. Danach musste ich das Land verlassen. Mein Informatikstudium konnte ich deshalb nicht abschließen. Ich war zwei Monate im Libanon und anderthalb Jahre in Ägypten. Weil ich aber auch dort nicht bleiben konnte, um das Studium zu beenden, bin ich nach Deutschland gegangen. Jetzt bin ich seit sieben Monaten hier, arbeite in einem Restaurant und gehe zu einem Integrationskurs.
Daniel, du engagierst dich mit deinem Verein für Flüchtlinge wie Moaz.
Daniel: Die Insel Hilft e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der zahlreiche Angebote für geflüchtete Menschen organisiert, die in den zentralen Erstaufnahmen und Wohnunterkünften in Hamburg-Wilhelmsburg leben. Unsere Projekte werden von Ehrenamtlichen getragen und sollen die Geflüchteten in unserem Stadtteil willkommen heißen, Integration fördern und dort schnell und unkompliziert Hilfe leisten, wo sie gebraucht wird.
Wie würdest du die Menschen beschreiben, mit denen du arbeitest?
Daniel: Die Menschen, die nach Deutschland fliehen, sind sehr unterschiedlich. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. Jeder von ihnen hat seine eigenen Erfahrungen gemacht und auch die Motive und Ziele unterscheiden sich. Generell sind die meisten Geflüchteten unglaublich engagiert: Sie möchten so schnell wie möglich Deutsch lernen, sie wollen arbeiten oder eine Ausbildung beginnen. Sie wollen so schnell wie möglich in Deutschland ankommen und eine Perspektive haben.
Moaz, du hast acht Monate in einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Hamburg gelebt. Wie sind die Flüchtlinge dort miteinander umgegangen?
Moaz: Ich war dort zusammen mit Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und Afrika untergebracht. Wir haben uns alle verstanden und haben meistens Englisch geredet – im Gegensatz zu den Mitarbeitern, die alle nur Deutsch sprachen. Allerdings kam es vor, dass Gruppen unter sich blieben. Die Araber kommen zum Beispiel mit den Iranern nicht klar, wegen der politischen Umstände. Dabei sind die Menschen nicht gleichzusetzen mit dem politischen Regime ihrer Heimatländer. Im Gegenteil – viele sind ja gerade deshalb geflohen, weil sie das Regime nicht mehr wollen. Aber das verstehen leider nicht alle. Wegen dieser Konflikte können wir auch nicht von einer Gemeinschaft der Flüchtlinge reden.
Daniel: Tatsächlich habe ich ein Gemeinschaftsgefühl, das alle Geflüchteten verbindet, bisher auch nicht erkannt. Das liegt vermutlich daran, dass viele aus einer Region kommen, in der Konflikte über Generationen hinweg andauern. Allein die Gemengelage im Bürgerkriegsland Syrien ist so groß und komplex, dass man schwer von einem Gemeinschaftsgefühl sprechen kann. Man darf auch nicht vergessen, dass die Situation der Geflüchteten sehr schwierig ist – es ist deswegen nicht verwunderlich, dass sie sich zuerst Freunde und Verbündete aus dem eigenen Land oder dem eigenen politischen Lager suchen.
Wie könnte das Gemeinschaftsgefühl unter Flüchtlingen besser werden?
Moaz: Ein Integrationskurs würde die Flüchtlinge mehr zusammenschweißen. Solche Dinge wie Verkehrsregeln oder Frauen- und Männerrechte müssen die Flüchtlinge hier in Deutschland ja komplett neu lernen. Ich habe viele Flüchtlinge kennengelernt, die nicht wissen, die die deutsche Gesellschaft tickt. Die sind dann oft auf sich alleine gestellt.
Daniel: Ich bin optimistisch, dass es möglich ist, die gegenseitigen Vorurteile langfristig abzubauen – unter anderem durch Angebote, wie sie unser Verein anbietet.
In den Medien sieht es oft so aus, als seien die Flüchtlinge eine Gemeinschaft, weil sie Deutschland ja meistens in Gruppen erreichen …
Daniel: Ich sehe die mediale Darstellung dieser Flüchtlingsgruppen sehr kritisch. Natürlich kann man die unglaubliche Zahl an geflüchteten Menschen, die Woche für Woche nach Europa kommen, so einfach darstellen. Jedoch beschwören diese Bilder auch – teilweise unabsichtlich – eine Bedrohung herauf, die meiner Meinung nach nicht gegeben ist. Nicht nur wird durch die Bilder der Eindruck erweckt, es handele sich um eine langsame Invasion – tatsächlich werden Menschen, die vor Krieg, Tod und Armut fliehen, entmenschlicht, und nur noch als Masse anonymer, bedrohlicher Gestalten dargestellt. Ein solches Bild kann nur schaden und führt die Bemühungen, eine ehrliche Willkommenskultur zu schaffen, ins Absurde.
Moaz: In den Nachrichten wird deutlich, dass die Flüchtlinge nicht wirklich erwünscht sind. Als Deutscher hat man Angst vor Fremden. Ich habe das auch schon oft miterlebt. Wenn ich mich mit fremden Leuten unterhalten möchte, dann haben sie Angst vor mir oder sind zumindest eher zurückhaltend. Angst haben gehört irgendwie zur deutschen Kultur. Das ist schade.