Nicht erst, wenn es zu spät ist
Wer sich weiterbilden will, der könnte schon bald Geld dafür bekommen – eine neue FES-Studie zeigt, wie aus der Arbeitslosen- eine Arbeitsversicherung werden könnte. Eine Review
Die wenigsten wissenschaftliche Studien finden Gehör in einer breiten Öffentlichkeit, doch die Ergebnisse von Michael Osborne und Carl Frey hatten es in sich: Fast jeder zweite Deutsche müsse sich Sorgen um seinen Job machen, lautete die Botschaft der beiden Autoren. Schon bald, so ihre Befürchtung, könnten weltweit Maschinen und Algorithmen einen Großteil der Arbeit übernehmen, die heute von Steuerberatern, Rechtsanwälten oder Maschinentechnikern geleistet wird. So angreifbar die Aussagen der beiden auch sein mögen – sie verdeutlichen, dass die Arbeitswelt von morgen nicht mehr die gleiche sein wird, wie wir sie bisher kennen.
Nicht nur vernetzte Maschinen verändern unseren Arbeitsalltag, sondern auch die Art und Weise, wie wir arbeiten, wandelt sich rasant. Ein immer größerer Teil der Menschen kehrt dem klassischen Arbeitsleben den Rücken zu. Zu eintönig die Aufgaben, zu ausgeprägt die Hierarchie und vor allem: zu groß die Abhängigkeit vom Vorgesetzten. Der heutige Zeitgeist bricht mit dem klassischen Verständnis des herkömmlichen Erwerbslebens, das sich durch die lückenlose Folge von Ausbildung-Vollzeitjob-Rente ausgezeichnet hat.
Doch bei all den Freiheiten, die Uber-Fahrer, Clickworker oder Freelancer genießen mögen, verbindet sie vor allem eines: das permanente Risiko, von heute auf morgen arbeitslos zu werden. Bisher sind die Betroffenen nur durch die Grundsicherung, Hartz IV, abgesichert, weil unsere sozialen Sicherungssysteme noch keine zufriedenstellende Antwort für diese neuen Arbeitsformen bereitstellen. In der Konsequenz bedeutet dies für viele in regelmäßigen Abständen ein Leben am Existenzminimum.
Wie könnte smarte Absicherung in der Zukunft aussehen?
Da niemand genau weiß, wie sich die Arbeitswelt in der Zukunft entwickelt, wollen Experten eine Weiterentwicklung der Arbeitlosenversicherung zur Arbeitsversicherung einführen. Diese würde vielen Beschäftigten ein Recht auf Weiterbildung garantieren – und sie so vorsorglich vor dauerhafter, ungewollter Arbeitslosigkeit und einem allzu drastischen Einkommenseinbruch schützen. Das zumindest erhoffen sich Jan Philipp Hans und seine Kollegen von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die ihre Konzeption unter dem Titel „Arbeitsversicherung – Ausgestaltung der Reformparameter“ zusammengetragen haben.
Nehmen wir das Beispiel von Sarah, einer fiktiven Industriemechanikerin. Glaubt man den Vorhersagen, sieht es für ihr Berufsfeld besonders düster aus. Hier kommt die Idee der Arbeitsversicherung ins Spiel: Sie würde es ihr ermöglichen, eine Auszeit von ihrem bisherigen Job zu nehmen und die Gelegenheit zu ergreifen, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Die Kosten für Sarahs Vorhaben würde die Arbeitsversicherung übernehmen – unabhängig davon, ob und wie lange sie schon Beiträge einbezahlt hat.
Weiterbildung für alle – zu jeder Zeit
Finanziert werden soll das ganze durch eine leichte Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Bisher zahlen Erwerbstätige 1,5% ihres Einkommens ein, nach Berechnungen der FES-Studie müsste dieser Beitrag auf 2% ansteigen, um das Vorhaben zu finanzieren. Zusätzlich sollen Steuermittel für die nötigen finanziellen Mittel sorgen. Durch diesen Quellenmix könnte jeder Versicherte im Laufe seines Arbeitslebens auf ein Budget von 26.500€ zugreifen. Eine Summe, mit der sich das eigene Qualifiktationsprofil erheblich verfeinern ließe.
Damit Sarah ihre fehlenden Einkünfte in der Zeit der Weiterbildung kompensieren kann, schlagen die Autoren der FES-Studie vor, dass zusätzlich ein Bildungsgeld ausgezahlt wird, um die täglichen Kosten zu decken. An dieser Stelle bietet sich ein Blick nach Österreich an: Lernwillige erhalten hier bereits heute knapp 15€ täglich, um die Lohnausfälle während der Zeit ihrer Fortbildung wenigstens ansatzweise auszugleichen. Dies ist ein wichtiger Baustein des neuen Konzepts, denn: Es ermöglicht auch den weniger Wohlhabenden, mit zusätzlicher Bildung in ihre Zukunft zu investieren.
Warum eine Arbeitsversicherung langfristig Geld spart
Nun könnte man sich fragen, weshalb die Allgemeinheit für die Weiterbildung von Risikogruppen wie Sarah bezahlen sollte. Doch wäre es verkürzt, nur die Kosten eines neuen Weiterbildungsgesetzes zu betrachten. Immerhin dürften die Ausgaben für langfristige Arbeitslosigkeit diese in den meisten Fällen bei Weitem übersteigen. Deshalb gilt: Lieber smart vor- als teuer nachsorgen.
Hinzukommt, dass man zwar weitestgehend frei entscheiden kann, für welche Weiterbildungen das Bildungsbudget verwendet werden soll. Jedoch müssen diese zu einem relevanten Abschluss oder Zertifikat führen, damit das neu gewonnene Know-How von Arbeitgebern anerkannt wird und sich so für beide Seiten langfristig lohnt.
Ob die Arbeitsversicherung zum Wahlkampfthema wird und in der kommenden Legislaturperiode Chancen auf Umsetzung hat, wird die Debatte in den kommenden Monaten zeigen. Unstrittig ist jedoch, dass wir am Anfang einer digitalen Revolution stehen – und unsere Sozialsysteme dringend ein Update benötigen. Eine Arbeitsversicherung, die die Risiken der unmittelbar vom Wandel Betroffenen abdeckt, kann dabei als erster, vorsichtiger Schritt zum smarten Wohlfahrtsstaat von morgen gedeutet werden.
Sorry, aber mir ergibt sich da nicht ganz der Sinn. Wenn Sarah sich eine Auszeit von ihrem Job nimmt und diese Zeit für eine Weiterbildung nutzt, bekommt sie ja kein Gehalt mehr, bedeutet, sie müsste, wenn ich von 15,- Euro Bildungsgeld am Tag ausgehe, mit 450,- Euro im Monat leben, oder aber sie hat sich genügend finanzielle Mittel angespart.
Jetzt gehen wir davon aus, das Sarah eben nicht sparen konnte, weil ihr Gehalt/Lohn bisher schon nur zum Überleben gereicht hat, wie soll sie in der Zeit Miete, Strom und Co. zahlen, Lebensmittel und Kleidung kaufen und am sozialen Leben teilnehmen? Mit 450,- Euro ist das nicht möglich! Oder soll zusätzlich weiterhin Arbeitslosengeld gezahlt werden?
Ich finde, dass das nicht überzeugend ist. Überzeugender ist dann doch schon ein BGE, da dann wirklich, unabhängig vom finanziellen Background, eine individuelle Entwicklung möglich ist.
Guter Einwand, lieber Sven:
die Autoren der FES-Studie schlagen vor, dass Lernwillige in der Weiterbildungszeit Arbeitslosengeld 1 erhalten (entspricht im Regelfall 60% des vormaligen Gehalts) und zusätzlich 10% der Transferleistungen, um einen weiteren Anreiz zu schaffen.