Nur die Besten, bitte
Wen wollen wir ins Land lassen? Bei einem neuen Einwanderungsgesetz geht es nicht nur um uns und die, die hierherkommen wollen. Es geht um viel mehr.
Kamal starrt ungläubig auf seinen Laptop. „Wir sind gerade im Ranking auf einen Perspektivplatz vorgerutscht. Unsere Chancen stehen gut, nächstes Jahr endlich nach Deutschland zu kommen, Leela“, ruft er euphorisch. Schnell eilt sie ihm bei. Ihre Stimme bricht. „86 Punkte. Immerhin sind wir nun auf Platz 26.032, das könnte reichen“.
Leela ist studierte Maschinentechnikerin, Kamal gelernter Krankenpfleger. Doch beide schlagen sich in Chennai, einer indischen Großmetropole, nur mit Gelegenheitsjobs durch. Seit langem träumen sie von einem Neustart und einem besseren Leben in Deutschland. Gleichwohl sind sie nicht die einzigen – gemeinsam mit hunderttausenden Mitbewerbern weltweit konkurrieren sie um einen der begehrten Einwanderungsplätze in Deutschland. Nachdem Leela vergangene Woche ein Jobangebot von einem großen deutschen IT-Unternehmen unterbreitet wurde, sind ihre Chancen auf eine Anstellung in Deutschland rapide gestiegen: Für ein Arbeitsangebot gibt es im Ranking besonders viele Punkte. Auch bei den anderen Auswahlkriterien schneiden die beiden gut ab – sie haben Deutschkurse an Sprachschulen absolviert und sich in Bereichen spezialisiert, die in Deutschland als sogenannte Mangelberufe gelten. Viele Arbeitsplätze in der Pflege oder im Maschinenbau bleiben bislang unbesetzt, weil geeignete Bewerberinnen fehlen.
Das könnte Deutschland in Zukunft vor große Herausforderungen stellen: Zum einen leben wir in einer immer weiter alternden Gesellschaft, zum anderen gilt es, in einer hochkomplexen globalisierten Welt die besten Köpfe zu vereinen, um nicht den Anschluss an diese rasante hochtechnologische Entwicklung zu verlieren. Deshalb könnte das Szenario von Kamal und Leela schon bald Wirklichkeit werden – zumindest, wenn es nach dem Willen der SPD- Bundestagsfraktion geht.
Wer darf kommen, wer nicht?
Wie genau ein Einwanderungsgesetz für Deutschland aussehen könnte, darüber haben der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, sowie die JuSo-Vorsitzende Johanna Uekermann mit Tagesschau-Moderatorin Simone von Stosch in Berlin debattiert. Beide, Uekermann und Oppermann, sind sich einig, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und von einer bunten Gesellschaft profitieren würde. Differenzen gibt es trotzdem einige und auch Kritik am geplanten Einwanderungsgesetz. Um diese zu verstehen, ist es wichtig, sich zunächst den Unterschied zwischen Asyl- und Einwanderungsrecht bewusst zu machen. Suchen Menschen Schutz und befinden sich auf der Flucht vor Krieg und Unterdrückung, steht ihnen in Deutschland ein unverhandelbares Grundrecht auf Asyl zu. Dieses bliebe auch von einem neuen Einwanderungsgesetz unberührt. Über das Einwanderungsrecht hingegen sollen Menschen aus Drittstaaten, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind und Arbeit aufnehmen wollen, nach Deutschland einwandern können.
Bei der Vision einer grenzenlosen Welt, in der jeder leben und arbeiten kann, wo er möchte, gerät Johanna Uekermann ins Schwärmen: „Es klingt vielleicht nach einer Utopie, aber das war die Europäische Union vor einiger Zeit auch noch“. Jedoch gesteht sie schnell ein, dass es bis zur Verwirklichung dieser Utopie noch einiger Zwischenschritte bedarf, da die wirtschaftlichen Gefälle zwischen Ländern wie Deutschland und vielen Entwicklungsländern bislang zu groß sind. Wanderungsbewegungen im großen Stil könnten die Folge sein. „Diese könnten wir nicht bewältigen“, gibt Thomas Oppermann zu Bedenken und warnt: „Es darf nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft kommen“. Deshalb sei es wichtig, die Zuwanderung nach einem Bedarfsprinzip zu steuern. Zwar wolle er sich auf keine genaue Zahl festlegen, „jedoch wären 25.000 im ersten Jahr ein Anfang“. Danach sollte der Bundestag jährlich neu entscheiden, wieviele Zuwanderer nach Deutschland kommen dürfen.
Im Vergleich zu den bestehenden Regelungen klingt der neue Gesetzesentwurf für Einwanderer verlockend: Es können Prüfungen zum Nachweis von Berufsqualifikationen in Deutschland abgelegt werden, die Kernfamilie darf mit einwandern und auch ein Mindestgehalt ist keine Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung. Wird ein Einwanderungsplatz zugesagt, gilt die Aufenthaltserlaubnis zunächst für drei Jahre. Hat man in dieser Zeit einen festen Arbeitsplatz gefunden, winkt im Anschluss eine Niederlassungserlaubnis, die zeitlich unbefristet ausgestellt wird.
Jedoch hat Johanna Uekermann noch Bedenken, ob wir überhaupt bereit sind, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, denn: „Es kommen nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen, mit ihren eigenen Geschichten und Erfahrungen“. Um den Neuankömmlingen den Einstieg in ihr neues Leben zu erleichtern, könnten spezielle Schulungen für Führungskräfte in Unternehmen angeboten werden, um die Zuwanderer auf ihre neue Umgebung vorzubereiten.
Führt Auswanderung zu Brain-Drain?
Doch gibt es auch Kritik an dem Gesetzesvorhaben von den Sagwas-Usern. Sollte die Politik nicht besser dafür sorgen, die Gründe für die Auswanderung zu beseitigen, statt den Entwicklungsländern ihre klügsten Köpfe abzuwerben? Verschlechtert sich die Situation der betroffenen Länder durch die Auswanderung von Fachkräften nicht noch weiter? Nein, ist sich Thomas Oppermann sicher. Nach seiner Überzeugung handelt es sich um eine Win-Win Situation: Deutschland profitiere zwar auf dem Arbeitsmarkt von den Fachkräften, diese würden jedoch häufig einen Teil des verdienten Geldes in ihre Heimatländer überweisen. Darüber hinaus kommen viele Arbeitskräfte nur befristet nach Deutschland. Oftmals setzen ihr neu erworbenes Know-How bei ihrer Rückkehr gewinnbringend in ihrem Heimatland ein, wie das Beispiel eines jungen Marokkaners zeigt, der nach einem erfolgreichen IT-Studium und wertvollen Berufserfahrungen in Deutschland mit seinem Fachwissen die Olivenernte in Marokko revolutioniert hat. Ob es sich hierbei um eine glückliche Ausnahme oder den Regelfall handelt, wird die Zukunft zeigen.
So wie es scheint, müssen sich Kamal und Leela ohnehin noch etwas gedulden, denn Thomas Oppermann ist sich sicher: „In dieser Wahlperiode wird es kein Einwanderungsgesetz mehr geben (…)“. Die CDU/CSU weigere sich rigoros, „und auch Sahra Wagenknecht konnte ich noch nicht überzeugen“.