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Nur zu Besuch: Im einst gefürchtetsten Gefängnis der USA

Von Lisa Grefer / 8. April 2020
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matt Rourke

Wer, wie Al Capone, seine Strafe im ehemalige Gefängnis Eastern State Penitentiary in Philadelphia absitzen musste, hatte Glück, wenn er nicht an den Foltermethoden vor Ort zugrunde ging.

Hier ist kein Entkommen möglich. Unser Blick wandert entlang der gewaltigen Gefängnismauern gen Himmel. Die Fenster, die wir vor wenigen Minuten dort von weitem zu sehen schienen, sind vielmehr Fake, auf die Außenmauern nur aufgemalt. Im Inneren der Zellen spart man sich diese Dekoration, Tageslicht lässt sich von hier aus nur durch eine winzige Luke empfangen. Angesichts unzähliger, ordentlich aufeinander gelegter Steine verstärkt sich das beklemmende Gefühl in meinem Bauch.

Doch von vorne. Ein Audioguide fordert meine Kleingruppe auf, das Gebäude zu betreten. Wir nehmen alle, wie um uns Mut zu machen, einen tiefen Atemzug und wagen schließlich den Eintritt in eine andere Welt. Knapp 200 Jahre nach der Eröffnung 1829 und seit seiner Schließung 1971 stehen die Zellblöcke des Eastern State Penitentiary in Philadelphia leer. Beidseits des schmalen Ganges bröckelt der Putz von den überwiegend feuchten Wänden. Dank der gewölbten Decke wirkt der Flur aber überraschend groß. Licht durchflutet diesen Gebäudeteil geradezu.

Foto: L. Grefer/ Eastern State Penitentiary

Mein Blick wandert nach links, wo eine kleine Öffnung den Zutritt in die erste Einzelzelle ermöglicht. Geduckt trete ich durch den kleinen Türrahmen hinein, dabei auf den Boden schauend, um nicht über die zusätzliche Stufe zu stolpern. „Denken Sie daran, dass diese Zellenblöcke in ihrer ursprünglichen Form ein auffallendes Aussehen hatten. Die Zellen hatten Holzböden und eine hohe, gewölbte Decke, die an eine Kapelle erinnerte“, erläutert der Audioguide. Jetzt ist der Boden in dem düsteren, winzigen Raum mit Schutt übersät. Die Überreste eines metallenen Bettes liegen in der Ecke. Daneben könnte ein kleiner Tisch gestanden haben. Mir sticht eine zweite, kleinere Tür gegenüber ins Auge. Sie führt in einen ummauerten Innenhof. Er ist etwas größer als die Zelle selbst, aber zum Himmel hin offen. Zwei mal dreißig Minuten durften die Insassen hier pro Tag an der Luft verbringen.

Beide Räume, drinnen wie draußen, hatten die Männer und Frauen im Eastern State jeweils für sich. Sie durften sie unter keinen Umständen verlassen. Es war keine Seltenheit, während des gesamten eigenen Aufenthaltes nicht einen weiteren Menschen zu Gesicht zu bekommen. Besuch von Familie oder Freunden war nicht erlaubt. Kontakt zu anderen Insassen unmöglich. Wer aus den Zellen geführt wurde, bekam nicht selten einen Sack über den Kopf. Und wer nicht spurte, wurde eine Weile als „aufsässig“ in eine Art Loch verfrachtet, wo Stunden in völliger Dunkelheit, ohne Essen oder der Möglichkeit, angemessen seine Notdurft zu verrichten, zugebracht werden mussten.

Gefangen in einer anderen Welt

Über Kopfhörer liest ein Schauspieler Einträge aus den Akten eines Wärters vor. „27. Januar, 1835: Ich entdeckte, dass sechs Häftlinge über Löcher, welche sie entlang der Wasserrohre gemacht hatten, miteinander sprachen.“ Mit starrem Blick auf die Leitung frage ich mich, was ich in so einer Situation gemacht hätte? Einen Weg aus dieser „düsteren Einsamkeit“ gab es nicht: „Es gibt nur einen Schritt zwischen dem Gefangenen und dem Wahnsinn“, so beschreibt es der damalige Häftling James Morton. Eine Besucherin aus Dänemark kommentiert: „Ich hab mich schon nach kurzer Zeit eingesperrt gefühlt, klaustrophobisch.“

Foto: L. Grefer/ Eastern State Penitentiary

Die Vorstellung, hier für längere Zeit bleiben zu müssen, löst schließlich meine Flucht zurück auf den Gang aus. Die gespenstische Stimmung schüchtert mich ein und so schleiche ich eher weiter, als zu gehen und erreiche am Ende einen runden Raum. Von hier zweigen sternartig acht Gänge ab mit jeweils mindestens einem Zellenblock. Ein kalter Wind zieht durch die Flure. Neben der vollkommenen Isolation kämpften die Insassen noch mit einem weiteren Problem. „In der Erzählung eines Mannes hieß es, er hätte sich kochendes Wasser über den Körper gekippt, um warm zu bleiben. Stell dir das mal vor – es ist verrückt!“ Die Dänin fröstelt es. „Ich bekomme schon wieder eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke“, fügt sie hinzu. Selbst draußen schien es wärmer gewesen zu sein. Wir Touristen können uns immerhin die Hände für ein paar Minuten am Heizstrahler aufwärmen, bevor wir weitergehen. So viel Luxus war im Eastern State Penitentiary selten. So soll nur Amerikas bekannteste Verbrecherfigur, der Chicagoer Gangsterboss Al Capone, Zugriff auf ein eigenes Radio sowie Teppiche und zusätzliche Decken zur Verfügung gehabt haben.

Eine steile Treppe führt zu einer erhöhten Plattform, die einen erstaunlichen Blick auf Zellblock sieben ermöglicht. Ergriffen von der morbiden Schönheit verlässt mich für einen Moment das beengte Gefühl, das mich seit Betreten der ersten Zelle begleitet hatte. Aber zur Klarstellung: Die Insassen bekamen diesen Teil des Gefängnisses nie zu sehen. Ihre Welt war auf geschätzte fünfzehn Quadratmeter begrenzt. Erst 1919, 90 Jahre nach Eröffnung des damals teuersten und berühmtesten Gefängnisses der USA, verabschiedete man sich schließlich vom sogenannten „Pennsylvania-Prinzip“ der vollkommenen Isolation und Stille.

Vier Stunden haben die dänische Besucherin und ich da im Eastern State Penitentiary, das seit 1996 als Museum zugänglich ist, erst zugebracht. Beim Verlassen wirft sie einen letzten Blick auf die massiven Wände des ehemaligen Gefängnisses. „Von hier kann es doch kein Entkommen geben, oder?“, fragt sie ungläubig. Tatsächlich baute Leo Callahan mit fünf weiteren Insassen 1923 eine lange Leiter, um die Mauern im Ostteil des Gefängnisses zu überwinden. Seine Komplizen wurden mit der Zeit alle gefasst, nur Callahan selbst ist weiterhin auf freiem Fuß. Der Mann, der mittlerweile über 110 Jahre alt wäre, gilt bis heute als vermisst.

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