Nutzen statt Besitzen: die Sharing Economy
Teilen ist das neue Besitzen. Plattformen und Sharing-Dienste wie Drive Now und Airbnb erfahren immer mehr Zuspruch. Ob das Teilen zu nachhaltigerem Wirtschaften führt, ist aber erstmal vollkommen offen.
Teilen ist das neue Besitzen. Plattformen und Sharing-Dienste wie Drive Now und Airbnb erfahren immer mehr Zuspruch. Ob das Teilen zu nachhaltigerem Wirtschaften führt, ist aber erstmal vollkommen offen.
Manche Dinge werden nicht weniger, wenn man sie teilt, sondern mehr. Zum Beispiel Geschichten, Artikel und Fotos, mit denen wir uns jeden Tag in den sozialen Medien mitteilen. Selbst das Wort “teilen” hat sich bei Facebook und Twitter dafür etabliert, Beiträge unverändert weiterzuleiten, um andere Menschen an der eigenen Wissensbasis und Unterhaltungskultur teilhaben zu lassen. Dem Wunder der Technik und der Natur der Sache ist es geschuldet, dass beim Teilen nichts verloren geht.
Das Internet ermöglicht daneben noch eine neue Art des Teilens, die in den vergangenen Jahren einen ganzen Wirtschaftszweig begründet hat. In der Sharing Economy wird das Teilen von Gebrauchs- und Konsumgegenständen organisiert. Beispiele sind Car-Sharing und das Vermieten der eigenen Wohnung. Laufend kommen neue Angebote hinzu: In Berlin kann man beispielsweise Motorroller und Brettspiele einfach mieten statt kaufen.
Teilen ist Hippie-Kultur
Woher kommt die neue Begeisterung für das Teilen? In seiner Internet-angetriebenen Form passt das Konzept Sharing Economy perfekt in die Ideologie der kalifornischen Gegenkultur, dem Gründungsmythos des Internet.
Als Teil der Hippie-Bewegung der 1960er Jahre bildete sich in den USA und speziell in Kalifornien an Unis und in utopistischen Kommunen eine neue gesellschaftliche Gruppe, die das Teilen über das Besitzen stellte. Sie war das Gegenbild zu der seit den 1950ern aufkommenden modernen Konsumkultur.
Die Technikaffinität und der radikale Futurismus der Bewegung prägte den Beginn des Internets und des Silicon Valley stark. So fremd es auf den ersten Blick scheint, kann man die heutige marktradikale und neokonservative Denkweise von Internetunternehmern im radikalen Drang nach individueller Freiheit der Hippies wiederfinden. Dass der erhebliche Einfluss, den diese Kultur auf die Wissenschaft und die Entwicklung digitaler Kulturtechniken hatte, noch heute besteht, ist leicht an Persönlichkeiten wie Apple-Mitgründer Steve Jobs, Investor Peter Thiel oder Tesla-Chef Elon Musk zu erkennen.
Die ganze Palette des kommerziellen Teilens
Die Sharing Economy klingt zunächst auch ganz friedlich: Fremde Menschen teilen sich etwas zu ihrem gegenseitigen Vorteil, ermöglicht durch die Schwarm-Intelligenz des Internet und finanziert durch ein paar Werbebanner. Darin besteht ein großer Teil des ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzens der Sharing Economy: Das Ziel ist es, Ressourcen effizienter zu nutzen. Innovation ist die digitale Logistik dahinter.
Eigentlich müsste man die Angebote der Sharing Economy noch genauer klassifizieren, ihre Geschäftsmodelle unterscheiden sich nämlich sehr stark. Manche Geschäftsmodelle sind Plattformen und vermitteln nur von privat an privat, andere bieten Gegenstände wie Autos an, die man vom Anbieter direkt mieten kann.
Airbnb und Uber (geschätzter Firmenwert 9 Mrd. Euro und 45 Mrd. Euro) gehören zur ersten Kategorie, ebenso wie z.B. Mitfahrgelegenheit.de. Ihr Geschäftsmodell hat die Besonderheit, dass es sich in einer Grauzone zwischen privater und gewerblicher Nutzung bewegt. Die Unternehmen profitieren davon, dass der Staat ihren Geschäftsbereich nicht reguliert, sie outsourcen an viele kleine Anbieter und behalten als Kerngeschäft nur die rechtlich unproblematische Aufgabe des Anbahnens von Geschäftsbeziehungen bei. Ihr Wert stellt also unter anderem dar, wie wertvoll das Geschäftsfeld ist, das sie für den freien Markt öffnen.
Im Einzelfall geht es vielleicht darum, bei Airbnb sein Zimmer zur Verfügung zu stellen, um es effizienter zur nutzen. In der Summe gibt es aber viele kommerzielle Anbieter, die von einer Art Gesetzeslücke profitieren, und dem ungesättigten Ferienwohnungsmarkt neue Ware zuführen. Beim Taxi-Dienst Uber ist der Fall noch klarer: Hier teilt nicht ein Fahrer sein Auto mit einem Fahrgast, sondern bietet – zumindest nach dem Willen von Uber – ohne Taxi- und Gewerbeschein eine kommerzielle Dienstleistung an.
Was soll der Staat – was kann er nicht?
Ein Appell an die Konsumenten solcher marktliberaler Angebote ist sicher angebracht: Ihr müsst das nicht machen! Ihr könnte auch normales, teures und unhippes Taxi fahren! Wake up sheeple!
Aber inwieweit ist auch der Staat gefragt? Die Gesetzgebung kann sich gar nicht so schnell entwickeln wie die neuen Technologien. Dennoch muss sie sich ändern. Bestehende Gesetze durchzusetzen hat bei Uber gut geklappt. Bei Airbnb ist aber nicht klar, wie man der Zweckentfremdung von Wohnraum entgegenwirken kann. Irgendwie muss sich der Staat aber auch dem Votum stellen, dass Nutzerinnen und Nutzer abgeben, wenn sie die Sharing-Angebote massenhaft wahrnehmen.
Welche dieser Sharing-Aufgaben könnte der Staat eigentlich besser lösen als die freie Wirtschaft? Könnte der Staat auch Individualverkehr oder zumindest dessen Organisation im Internet fair gestalten, so wie er bisher Straßen und Parkplätze bereitstellt? Öffentliche Großprojekte wie Toll Collect scheinen in Deutschland aber irgendwie unter einem schlechten Stern zu stehen.
Willkommen im Web 2.0
Was bei Sharing-Angeboten oft nicht bedacht wird, ist die alte Leier des Web 2.0: Die Daten der Nutzer machen die Plattformen so wertvoll für Investoren. Der Vorteil des Sharing-Geschäftsmodells ist nicht nur der effizientere Konsum, sondern auch das Erforschen des Konsumverhaltens.
Beim Sharing sind besonders die Daten interessant, die zeigen, auf welche Art die Nutzer die geteilten Gegenstände konsumieren. Im Vergleich sind Nutzungsdaten für die Kaufwirtschaft viel schwerer zu beschaffen. Da unterscheidet sich das Sharing-Business kaum von der restlichen Wirtschaft: Es gilt herauszufinden, wie man mehr Konsum anregen und neue Produkte bewerben kann.
Ein Rebound-Effekt ist denkbar: Dass effizienter konsumiert wird, die frei gewordenen Ressourcen aber nicht gespart, sondern gleich in noch mehr Konsum umgewandelt werden. Wenn das Taxifahren weniger Geld kostet, wieso dann nicht öfter Taxi fahren? Das ist sicherlich die Überlegung der Anbieter, wenn nicht auch der Konsumenten. Für die effizientere Nutzung könnte außerdem zum Problem werden, dass Menschen oft Gegenstände schlechter behandeln, die ihnen nicht gehören.
Besitz bleibt beliebt
Das Teilen immaterieller Güter z.B. auf Facebook sind wir immer mehr gewöhnt, beim Teilen von Konsumgegenständen verhindert noch eine archaische Vorstellung die effizientere Nutzung. Das Besitzen als gesellschaftlicher Status ist keineswegs überholt.
Aber führt die Sharing Economy zu einer neuen Art von Partizipation und zu nachhaltigerem Konsum? Können wir weiter konsumieren und trotzdem die Ressourcen unseres Planeten schonen? Vieles spricht dagegen, dass die Sharing Economy ein Umdenken bewirkt. Sie ist ein erstaunliches Beispiel dafür, wie so etwas Immaterielles wie digitale Daten und gesellschaftliche Organisation überhaupt nicht dazu führen, dass wir in einer weniger materiellen Gesellschaft leben. Aus Sicht der Nutzer spricht jedoch wenig gegen das Teilen: Der Elite, welche die erste Zielgruppe ist, fällt eine große Last von den Schultern, wenn sie erstklassig konsumieren kann, aber nicht mehr so viel besitzen muss.