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Poesie kann das Leben verändern – und die Gesellschaft

Von John Kazadi / 29. Juni 2022
picture alliance / PhotoAlto | Eric Audras

Wisst ihr eigentlich, was Gedichte alles können? Ist Dichten für euch eine Kunst wie jede andere? Gedichte schreiben ist mehr als nur ein Weg, seine Gedanken auszudrücken – es ist ein geschützter Raum, in dem Menschen Potenziale entdecken und daran wachsen können.

In einem Camp für Geflüchtete in Malawi helfen junge Menschen, Barrieren zwischen Gruppen niederzureißen und eine Gemeinschaft zu stiften, die Hoffnung gibt – mit Gedichten! Gedichte sind ein starkes Instrument. Sie unterhalten; man lernt etwas von ihnen, und man kann sie nutzen, um wichtige Themen anzusprechen, die Menschen als Einzelne oder als Gesellschaft betreffen. All das, indem man sie einfach aufschreibt oder vorträgt.

Auf der ganzen Welt kennt man Lager für Geflüchtete als vorübergehende Unterkünfte für Menschen, die von ihren Wohnorten vertrieben wurden. Sie sind berüchtigt für schlechte Lebensbedingungen, Überfüllung, Hunger und Hoffnungslosigkeit. Das trifft auch alles zu – aber es ist nicht alles, was ein Flüchtlingslager ausmacht.

Ich kam 2011 in Malawi an, genauer gesagt: in Dzaleka. Ich war Schüler der achten Klasse. Im Lauf der Jahre wurde Dzaleka mein Zuhause; mittlerweile bin ich diplomierter Sozialarbeiter. Hier habe ich gelernt, Gedichte zu schreiben und vorzutragen. Als Poet, der auch Geflüchteter ist, interessiere ich mich dabei besonders für Dichtkunst, die in schwierigen Situationen entsteht. Diese Leidenschaft nutze ich, um anderen Jugendlichen Kraft und Mut zu geben. Denn: Soll ein Zuhause nicht ein Ort sein, an dem man ohne Angst leben und zur Ruhe kommen kann?

Dzaleka hat mir beigebracht, wie ich in einer multikulturellen Gemeinschaft ein guter Mensch sein kann. Ich hatte immer den Wunsch, zu einem sozialen Umfeld beizutragen, in dem sich jeder Mensch weiterentwickeln kann. Mir ist wichtig, mit jungen Menschen zu arbeiten und ihnen zu helfen, Fortschritte zu machen. Ja, in Lagern für Geflüchtete leben marginalisierte Gruppen – aber das sagt nichts über die einzelnen Menschen aus.

John Kazadi (re.) trägt während der Geburtstagsfeier eines Freunds im Camp eines seiner Gedichte vor. (Foto: Jeanpy Kayembe)

Als einer, der selbst ein Geflüchteter ist, habe ich entdeckt, wie viele Talente an diesen Orten brachliegen. Wenn man ihnen nur eine Chance gibt, können sie wesentlich dazu beitragen, die Welt zu verbessern. Ich selbst hätte nie gedacht, dass ich mich einmal schriftlich ausdrücken würde und mit Gedichten so viel bewirken kann – nicht nur für mich, sondern auch für andere junge Menschen hier im Lager.

Fragst du dich jetzt, wie Poesie einen Menschen oder eine Gesellschaft verändern kann? Junge Menschen im Flüchtlingslager Dzaleka haben anderen Jugendlichen an anderen Orten weltweit vielleicht sogar etwas voraus – weil sie erlebt haben, was Gedichte können.

Wie wird man in einem Flüchtlingslager zum Dichter?

Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen. Dementsprechend hatten meine Eltern einige Erwartungen an mich. Bildung war sehr wichtig; mein Vater fand, dass sie der einzige Weg für meine kleinen Geschwister und mich sei, um voranzukommen. Das Allerwichtigste aber war, dass sie mir beibrachten, an mich selbst zu glauben. Ich denke, dass man viel erreichen kann, wenn man an sich glaubt. Ich weiß noch, dass ich schon in der Grundschule gern Gedichte aufsagte. Ich war neidisch auf alle, die diese Kunst beherrschten – das Dichten und insbesondere das Vortragen. Das inspirierte mich dazu, Gedichte über mein eigenes Leben zu schreiben. Irgendwann wurde die Familie zu einem Hemmschuh: Meine Eltern rieten mir davon ab, mich mit Gedichten zu befassen; sie fanden, dass es zu viel Zeit beanspruchte und irgendwann sicher meine schulischen Leistungen darunter leiden würden. Sie waren überrascht, als sie feststellten, dass ich sogar besser in der Schule wurde, und so begannen auch sie meine Leidenschaft für Gedichte zu unterstützen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal vor einem großen Publikum außerhalb des Lagers auftreten würde. Irgendwann wurden andere Poet_innen aus Dzaleka auf mich aufmerksam, und ich hatte Fans, die meine Werke bewunderten. Seitdem schreibe ich Stücke, die für Multikulturalismus, Solidarität und Geschlechtergerechtigkeit stehen. Außerdem ist mir wichtig, auf die Bedeutung des Klimawandels hinzuweisen. Als Poet bin ich auch dadurch gewachsen, dass ich den Austausch mit malawischen Dichtern wie Robert Chiwamba, Chris Msosa und Qabaniso Malewezi gesucht und mit ihnen performt habe. Das eigene Talent zu perfektionieren, ist ein Prozess. Am Anfang machte es mich nervös, meine eigenen Texte zu teilen, aber das konstruktive Feedback, das ich von Freund_innen und anderen Poet_innen bekam, half mir dabei, besser zu werden. Jetzt kann ich das an andere weitergeben.

Gedichte werden bei jungen Menschen immer beliebter, um kritische Themen anzusprechen

In einem Umfeld, in dem so viele Vorurteile herrschen, unterstützen natürlich nicht alle diese Idee. Poesie gilt als Kunst der Gebildeten. Dieser Auffassung konnte ich etwas entgegensetzen, indem ich Workshops organisiert habe, wo Menschen lernten, in ihrer eigenen Muttersprache zu dichten. Meiner Erfahrung nach ist es in den Lagern viel einfacher, durch Gedichte zu kommunizieren als durch Musik, denn um ein Gedicht zu schreiben, brauchst du nichts weiter als einen Stift, Papier und ein Publikum, für das du performen kannst. Das Projekt ist so erfolgreich, dass in Dzaleka jetzt viele Menschen in ihrer eigenen Sprache Gedichte schreiben und damit nicht nur die 50.000 Bewohner_innen, sondern auch die Menschen außerhalb des Camps erreichen. 

Ein junger Poet tritt zusammen mit John Kazadi (re.) vor Publikum auf. (Foto: Jeanpy Kayembe)

Vom Dichten zu leben, ist nicht einfach. Aber obwohl nur wenige im Lager genug zum Leben haben, steigt die Anzahl der Dichter_innen bei uns stetig an. Dadurch wächst auch das Publikum, und es verspricht Unterstützung in Zukunft. Als ich anfing, dachten die Menschen, dass man gut Englisch können muss, um Gedichte zu schreiben. Dieser Befürchtung kann man entgegentreten, indem man auch Events veranstaltet, bei denen zum Beispiel auf Swahili, Kinyarwanda und Kirundi vorgetragen wird. So erreicht man noch mehr Menschen, die die Idee unterstützen, und das hilft wiederum dem Fortschritt. 

Was ist persönliches Wachstum?

Wie würdest du persönliches Wachstum definieren? Ich glaube, dass es passiert, wenn man merkt, dass man etwas kann, und daraus die Kraft schöpft, seine Fähigkeiten zum Wohle anderer einzusetzen. Wenn man sieht, dass man heute weiter ist als man es gestern war. Ich komme aus einer Welt der Trauer, Reue, Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung. Jetzt stehe ich hier, stark wie eine Säule, und kann junge Menschen dabei unterstützen, ihre Ängste zu überwinden und das Beste aus sich herauszuholen – indem sie Gedichte schreiben und vortragen. Und das ist etwas Bleibendes.

SAVE THE EARTH

By John Kazadi (DRC)

We have taken away the Earth’s greenery

we are standing on a dying globe

we are crying with our hands in our pocket

it’s like enjoying a cool drink but waiting to

be hit by a rocket

I see a young man walking away from a

burning forest,

billion of trees cut down

million of lives insecure

and many living species vanishing for good

I see a young woman, snapping at rising sea

level

A negligent person is his own devil

I see a young man running

I see a young woman starving

floods have occupied her home

days are warmer and so are the nights

when are minds are colder, no wrong is right we are making of this haven a hell of a paradise

we are our murderers and parasites I am now hiding in a shaking roof

And the sky as red as blood

Who would save us from this plight? there’s a huge storm coming in my direction it’s a storm that took away my home the land now rejects crops

I am as good as a living corpse

we owe the ground an apology

planting more trees can clear the agony and maybe spare the future generations a chance to survive a little bit longer, they say,

recycling help reduce greenhouse gas emissions

but recycling our minds, still stands out as the best solution

(Übersetzung von Bianca Walther, hier das englische Original dieses Beitrags)

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