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DebatteAuslaufmodell Privatsphäre

Von Bettina Ehbauer / 11. September 2014
picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

Die Sorge vor dem Missbrauch persönlicher Informationen ist zwar kein Phänomen der digitalisierten Welt, aber sie ist heute größer denn je. Gleichzeitig gehen viele Menschen im Internet sehr offen mit ihren Daten um. Es ist einer der aufsehenerregendsten in einer ganzen Reihe von Datenschutzskandalen, die in den vergangenen Jahren bekannt geworden sind: Anfang September tauchten […]

Die Sorge vor dem Missbrauch persönlicher Informationen ist zwar kein Phänomen der digitalisierten Welt, aber sie ist heute größer denn je. Gleichzeitig gehen viele Menschen im Internet sehr offen mit ihren Daten um.

Es ist einer der aufsehenerregendsten in einer ganzen Reihe von Datenschutzskandalen, die in den vergangenen Jahren bekannt geworden sind: Anfang September tauchten im Netz intime Fotos zahlreicher US-Prominenter auf. Hacker hatten sich unbefugt Zugang zu den Daten verschafft.

Im digitalen Zeitalter scheint eine absolute Kontrolle über persönliche Daten unmöglich. Trotzdem geben wir heute mehr Details aus unserem Privatleben im Internet preis als je zuvor. Die Möglichkeiten, personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten, sind durch die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahre enorm gewachsen.

Rund 1,3 Milliarden Mitglieder hat das soziale Netzwerk Facebook, das sich in seinen Nutzungsbedingungen das Recht vorbehält, Bilder und Videos weiterzuverwenden – wofür sie verwendet werden, wird nicht erwähnt.

Etwa 40.000 Suchanfragen werden pro Sekunde an Googles Suchmaschine gestellt und zusammen mit Nutzerdaten wie der IP-Adresse gespeichert. Immer mehr Menschen nutzen externe Speicherdienste wie Apples iCloud, um Daten auf die Server von Unternehmen auszulagern und so von jedem beliebigen PC, Tablet oder Smartphone darauf zugreifen zu können.

"Mit dem Thema Datenschutz setzen sich die meisten gar nicht auseinander“, meint Userin Regina Stähle.
„Mit dem Thema Datenschutz setzen sich die meisten gar nicht auseinander“, meint Userin Regina Stähle.

Immer mehr persönliche Daten entlockt

Die Online-Dienste wollen ihren Nutzern immer mehr persönliche Daten entlocken. „In letzter Zeit werde ich auf Facebook immer wieder aufgefordert, meine Adresse und Handynummer anzugeben“, sagt Regina Stähle, die das Netzwerk täglich nutzt. „Ich achte aber sehr darauf, keine wichtigen persönlichen Daten anzugeben.“ Was letztendlich mit ihren Daten passiere, wisse sie nicht, sagt die 18-Jährige.

Weil Google, Twitter, Facebook und Konsorten amerikanische Unternehmen sind, unterliegen sie nicht den deutschen gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz – auch nicht bei der Speicherung und Verarbeitung der Daten deutscher Nutzer.

In den Vereinigten Staaten gibt es kaum staatliche Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre im Netz. Die Dienste können ihre Datenschutzrichtlinien also selbst aufstellen. Wer die Angebote nutzt, stimmt diesen Bedingungen zu.

Der Anteil der Facebook-Mitglieder, die sich die seitenlangen Bestimmungen zur Speicherung und Verwendung ihrer Daten, die sie mit nur einem Klick akzeptieren, wirklich durchgelesen haben, dürfte sehr gering sein, glaubt Regina Stähle. „Für viele zählt dort nur die Menge an Likes und Kommentaren – je mehr, desto besser. Mit dem Thema Datenschutz setzen sich die meisten gar nicht auseinander.“

Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Kiel: „Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht".
Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Kiel: „Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht“.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg erklärte die Privatsphäre bereits 2010 zum Auslaufmodell in der vernetzten Gesellschaft. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Kiel, ist anderer Meinung. „Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, das sich aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitet.“ Als solches werde der Schutz der Privatsphäre auch in Zukunft von großer Bedeutung sein.

Schon in noch weitgehend analogen Zeiten bereitete die Gefahr eines Missbrauchs ihrer Daten vielen Menschen Sorgen. Sie wandten sich gegen die zunehmende Tendenz von Staat und Unternehmen, ihre Daten zu erheben und zu speichern. Vor diesem Hintergrund trat 1977 in Deutschland das Bundesdatenschutzgesetz in Kraft.

Das heute in Deutschland verbreitete Verständnis von Datenschutz geht jedoch maßgeblich auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 zurück, in dessen Rahmen allen Bürgern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zugesprochen wurde, also das Recht, selbst darüber zu verfügen, wem wann welche persönlichen Daten zugänglich sind.

Faktisch keine informationelle Selbstbestimmung

Dieses Recht leiteten die Verfassungsrichter aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Grundrecht der Menschenwürde ab. Die Europäische Union verankerte den Schutz personenbezogener Daten in Artikel 8 ihrer Grundrechtecharta, die seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 für die Mitgliedsstaaten verbindlich gilt.

„Faktisch haben wir derzeit aber kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, sagt Thilo Weichert vor dem Hintergrund der Datenspeicherung durch amerikanische Internetfirmen. Diese sind laut Weichert in der Pflicht, sich an die deutschen und europäischen Standards beim Datenschutz zu halten.

Schutz sensibler Daten existentiell

Weichert warnt unvorsichtige Nutzer: „Wer denkt, dass er nichts zu verbergen hat, der irrt. Der Schutz sensibler Daten kann von existentieller Bedeutung sein.“ Beispielsweise könnten Banken und Versicherungen auf Grund von online verfügbaren Hinweisen und Informationen über die finanziellen Verhältnisse eines potentiellen Kunden diesem einen Kredit- oder Versicherungsvertrag verwehren.

Richtig gefährlich wird es, wenn Passwörter, Identitäts- oder Kontodaten durch gezielte Angriffe und Manipulationen in die Hände von Cyber-Kriminellen gelangen. Im April dieses Jahres wurde der bislang größte Fall von Datendiebstahl im Netz bekannt: Hacker hatten die Zugangsdaten und Passwörter von rund 18 Millionen E-Mail-Accounts geknackt. Auch mehrere Millionen deutsche Nutzer waren betroffen.

Wer in den Besitz solcher Informationen gelangt, kann leicht E-Mails in fremdem Namen verschicken oder sich Zugang zu Online-Shop-Konten verschaffen, in denen sensible Daten wie Bankverbindungen hinterlegt sind.

Es ist fast unmöglich, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Sie agieren technisch meist so geschickt, dass sich die virtuellen Angriffe nicht auf sie zurückführen lassen. Die gesetzlichen Grundlagen sind oft schon jahre- oder jahrzehntealt und damit in der schnelllebigen digitalen Welt nicht mehr zeitgemäß,

Dem möchte die Bundesregierung mit ihrer digitalen Agenda entgegentreten. Die EU plant, mit einer Datenschutz-Grundverordnung die rechtlichen Standards in den Mitgliedsstaaten anzugleichen und zu aktualisieren.

Das Urteil des europäischen Gerichtshofes, das im Mai Google dazu verpflichtete, Verweise auf Seiten mit sensiblen persönlichen Daten aus seinen Suchergebnissen für Anfragen aus Europa zu löschen, ist ein weiteres Signal für das wachsende Bewusstsein über die Problematik des Datenschutzes im Netz.

Den Nutzern selbst stehen immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung, ihre digitalen Spuren im Netz zu verwischen. So gibt es mittlerweile kostenlose Programme zur Verschlüsselung von E-Mails. Durch die Verwendung diskreter Suchmasken wie startpage.com werden Anfragen ohne die Speicherung benutzerbezogener Daten ausgeführt.

Auf die einfachste – und in einer Welt mit Hang zum digitalen Exhibitionismus doch zugleich schwierigste – Maßnahme setzt der Datenschutzexperte Thilo Weichert, wenn er sich nicht gerade dienstlich mit dem Internet auseinandersetzen muss: Datensparsamkeit. Denn persönliche Informationen, die erst gar nicht den Weg ins Netz finden, können dort auch nicht in falsche Hände geraten.



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