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DebatteBilde aus, wer kann?

Von Miriam Schaan / 28. März 2024
picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

In Deutschland studieren heute deutlich mehr Menschen als noch vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig haben handwerkliche Ausbildungsberufe an Zulauf verloren. Die Folge: volle Hörsäle und massenhaft unbesetzte Ausbildungsplätze.

Bildung ist ein wichtiger Baustein für gesellschaftlichen Aufstieg. Mehr Bildung bedeutet mehr Chancen in der Arbeitswelt, bessere Entlohnung, mehr gesellschaftliche Teilhabe und mehr Lebensqualität. Die verschiedenen Bildungswege werden allerdings in der Gesellschaft unterschiedlich bewertet. Das zeigt sich nicht nur an den öffentlich geführten Debatten.

In der Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte lag ein besonderer Fokus darauf, die Möglichkeit zum Studium einer breiten Masse zugänglich zu machen. Mit der 2008 von Bund und Ländern beschlossenen Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ sollte erreicht werden, dass mehr, deutlich mehr junge Menschen nach dem Schulabschluss ein Studium anfangen. Mit Erfolg: Während die Studienanfängerquote im Jahr 2000 noch bei 37 Prozent eines Jahrgangs lag, betrug sie 2013 ganze 51,7 Prozent, heute liegt sie bei etwa 45 Prozent. Während die absoluten Studierendenzahlen wegen des demografischen Wandels und als Folge der Coronapandemie derzeit rückläufig sind, bleibt der Trend zum Erwerb höherer Schulabschlüsse bestehen, wie es im Berufsbildungsbericht 2023 des Bundesbildungsministeriums heißt.

Diese Entwicklung kommt Menschen aus bildungsfernen Haushalten zugute, das ist Konsens. Wenn höhere Bildungswege generell mehr Menschen offenstehen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen, die nicht aus Akademikerfamilien kommen, höhere Schulabschlüsse erwerben und die Chance zum Studium bekommen, also zu beruflichem und sozialem Aufstieg.

Ausbleibende Einigkeit über die Entwicklung

Die deutsche Bildungspolitik wurde scharf kritisiert, unter anderem vom Philosophen und ehemaligen Politiker Julian Nida-Rümelin, der 2014 ein Buch mit dem Titel „Akademisierungswahn“ schrieb und damit ein zentrales Schlagwort prägte, das bis heute durch die Debatte geistert. Der Vorwurf: Die berufliche Bildung sei in Deutschland vernachlässigt worden. Nida-Rümelin sieht die Anerkennung und den Respekt vor dem dualen Ausbildungssystem, „um das Deutschland in der ganzen Welt beneidet wird“, immer mehr schwinden.

Tatsächlich verzeichnen die Hochschulen großen Zulauf. Währenddessen sieht es im Bereich beruflicher Ausbildungen alles andere als rosig aus: Einer Schätzung des Instituts für deutsche Wirtschaft zufolge seien 40 Prozent aller Ausbildungsplätze 2022 unbesetzt geblieben. Das betrifft auch das Handwerk: Ende 2022 sprach Dr. Volker Born, Leiter der Abteilung Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks, von 20.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen im Handwerk.

Die Lücke zwischen Ausbildungsangebot und Nachfrage allein auf die gestiegene Neigung zum Studium zurückzuführen, halten viele für zu kurz gedacht. Für sie spielt der demografische Wandel eine ebenso große Rolle wie die Nachwirkungen der Pandemie. Doch unabhängig von den Gründen für den Nachwuchsmangel im Handwerk ist offensichtlich: Ein schlechtes öffentliches Image trägt nicht zur Lösung des Problems bei.

Notnagel Ausbildung?

Das Ansehen handwerklicher Berufe hat nachweislich gelitten und damit ihre Attraktivität für junge Menschen. Entsteht der Eindruck, ein Studium sei für ein gelungenes Berufsleben unabdingbar, wirkt die Entscheidung für eine berufliche Ausbildung – gar für einen Handwerksberuf – als Notlösung, die man besser meiden sollte.

Diesen Eindruck teilt auch Uschi Knieling, die als Deutschlands erste Azubi-Headhunterin Jugendliche aus Gesamt- und Realschulen an passende Ausbildungsbetriebe vermittelt. Knieling hat selbst die Hauptschule nach der 9. Klasse abgeschlossen, wofür sie sich lange Jahre schämte. „Heute bin ich stolz auf meinen Weg.“ Vierzig Jahre lang war sie als Zahntechnikerin tätig, bis sie sich als „Kopfgeldjägerin für Azubis“ neu erfand.

In ihrer Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, für die das Abitur und ein Studium keine Option sind, stößt Knieling auf den weitverbreiteten Gedanken: „Ich kann ja nichts“. Plan- und orientierungslos seien viele Jugendliche, wenn es an die Berufswahl gehe. In ihren Workshops hilft Knieling jungen Menschen dabei, eigene Stärken und Schwächen zu erkunden. Anschließend versucht sie, die Jugendlichen mit möglichen Berufsbildern in Verbindung zu bringen.

„Da liegen meine Interessen, aber da verdiene ich nicht so viel Geld.“ So lautet die häufigste Reaktion auf Seite der Jungen. Die Tendenz, mit der Schule weiterzumachen, kommt oft von den Eltern und wird von dem Wunsch nach Prestige und vermeintlichen Vorteilen geleitet.

Dabei werden die Stärken von Handwerksberufen laut Knieling oft übersehen: „Jeden Tag zu sehen, was man mit den eigenen Händen geschaffen hat“, ist für sie der große Vorteil handwerklicher Tätigkeiten. „Ob das der Heizungsbauer im Keller oder der Dachdecker auf dem Dach ist – am Ende des Tages sehe ich, was ich gemacht habe.“ Dazu seien die Aufstiegsmöglichkeiten im Handwerk „ungebremst“. Wer im Handwerk seinen Meister oder Techniker macht, könne später ja noch studieren.



2 Antworten auf „Bilde aus, wer kann?“

  1. Von Uschi Knieling am 28. März 2024

    Liebe Frau Schaan, danke für diesen wunderbaren und ehrlichen Bericht. Denn genauso ist es, leider hat das Umdenken noch nicht stattgefunden. Wie wichtig und wertvoll das Handwerk tagtäglich ist fängt in der Bäckerei an, geht beim Auto Mechatroniker weiter wehe das Auto streikt. Tankstelkenpersonal,Lokführer und Busfahrerinnen, Supermarktverkäufer, Elektriker, Sanitär, Zahnmedizinische& allgemein ärztliche Fachangestelte, Müllabfuhr.. So hört es noch lange nicht auf. Wenn jeder Einzelne von uns zählt wieviel Handwerks und Dienstleistungen wir an jedem Tag selbstverständlich in Kauf nehmen.Das ist so wichtig. Woher kommen die Nudeln, das Gemüse. Wer brät die Stadion Bratwurst und wer schenkt das Bier aus. Ich könnte ewig weitere Aufzählungen anbringen. Handwerk und Dienstleistung unterschätzt aber richtig wertvoll! 🏆

  2. Von Nicola am 26. April 2024

    Sandra Maischberger: „Die Wirtschaft sagt, sie braucht Fachkräfte in Deutschland.“
    Helmut Schmidt: „Dann soll sie sie gefälligst ausbilden!“

    https://www.tiktok.com/@dardania_sacra/video/7313887719082511649

    Bester Kommentar zum Fachkräftemangel und schon knapp zehn Jahre her.

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