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ContraDem Druck nicht nachgeben

Von Hannah Rotthaus / 28. März 2024
picture alliance / imageBROKER | Lacz Gerard

Stimmt leider viel zu oft: „Mit den Händen zu arbeiten, lohnt sich nicht.“ Ja, könnte man sagen. Oder eigentlich: Mit den Händen zu arbeiten ist toll und sollte sich lohnen!

Ich schreibe diesen Text als Tischlermeisterin, die in diesem Beruf arbeitet. Dass ich auf die Streitfrage „Lohnt sich ein Handwerksberuf noch?“ mit „Nein“ antworte, ist vielleicht auf den ersten Blick erstaunlich. Ich übe meinen Beruf mit großer Freude aus und finde gerade deshalb, dass es Veränderungen bedarf, um mehr Menschen von einem Weg ins Handwerk zu überzeugen.

Für mich selbst war das Handwerk erst einmal keine Option, als ich nach dem Abitur über meine Zukunft nachdachte. Ein Studium erschien mir alternativlos und so nahm ich ein solches auf, wenn auch mit wenig Begeisterung. Erst nach dem Abschluss und der Frage, wie es nun weitergehen sollte (der Gedanke an einen studienentsprechenden Bürojob löst immer noch wenig Enthusiasmus aus), kam ich auf diese Idee… die Idee, eine Ausbildung zur Tischlerin zu machen.

Als Tischlerin mit Händen zu arbeiten, ist ein toller Beruf mit vielen Nischen und Möglichkeiten. Mittlerweile arbeite ich selbständig als Möbeltischlerin, aber ich hätte mich auch für eine Stelle im Projektmanagement einer großen Tischlerei entscheiden können oder für eine Fortbildung zur Restauratorin. Es ist auch ein Beruf, der viel nachgefragt wird – vielleicht habt ihr, haben Sie schon einmal nach einer Tischlerei gesucht? Was soll ich sagen? Die Wartezeiten sind sehr lang.

Gute Lehrjahre, aber nicht gut genug

Ich verstehe dennoch, dass sich eine Person auf der Suche nach ihrem beruflichen Lebensweg nicht voller Begeisterung auf das Handwerk stürzt. Es ist trotz der hohen Nachfrage eine der weniger gut bezahlten Berufsoptionen: Ich habe in meinem Nebenjob während der Ausbildung pro Stunde mehr verdient als in meiner ersten Anstellung als Gesellin. Ebenso kann ich auch gut nachvollziehen, dass bei der (überspitzt formuliert) „Wahl“ zwischen einem sehr schlecht bezahlten „Vollzeitjob“ als Azubi, inklusive 7-Uhr-Arbeitsbeginn und eintönigen Hilfsarbeiten, oder einem BaföG-finanzierten Studium inklusive Wahlfreiheit und Semesterferien, das Studium definitiv gewinnt.

Es gibt dieses vielzitierte Sprichwort über die „Lehrjahre“, das viel Wahrheit enthält. Ich habe mich aber nach drei Jahren Ausbildung so qualifiziert für meinen Beruf gefühlt wie nicht ansatzweise nach den drei Jahren Studium.

Eine Zeit lang habe ich mich unwohl gefühlt in meiner neuen Rolle als Handwerkerin. Ich hatte Vorurteile und Stereotype im Hinterkopf, die ich mit meiner Selbstwahrnehmung nur schwer in Übereinkunft bringen konnte. Das Tragen von Arbeitskleidung ist mir bis heute manchmal unangenehm. Das Handwerk hat ein Imageproblem, das sich in der Zuschreibung von monetärem Wert und in mangelnder persönlicher Wertschätzung niederschlägt. Oft höre ich Bemerkungen über die „teuren Handwerker:innen“. Ich erkläre in den Angeboten, die ich abgebe, prophylaktisch meist detailliert, wie ein Preis zustande kommt. Und frage mich selbst wiederum, woher die Verwunderung kommt? Es ist doch logisch, dass Arbeitszeit, Werkstatt, Maschinen und Material bezahlt werden müssen.

Ich glaube, dass, anders als die tatsächliche Fähigkeit für eine Tischlerarbeit zu bezahlen, das Verständnis für den Wert einer solchen wenig mit der Höhe des Einkommens zu tun hat. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Eltern dem Heizungstechniker nach der Überprüfung des Boilers ein Trinkgeld geben, anstatt sich über den Dreck auf dem Küchenboden zu beschweren. Andererseits lässt sich so vielleicht erklären, warum der alte Bauernschrank mit handgefertigten Schwalbenschwanz-Verbindungen seit Jahrzehnten mit umzieht.

Contra light – nicht mehr in Australien

„Mit den Händen zu arbeiten“ wird oft missverstanden als das Gegenteil von „mit dem Kopf zu arbeiten“, was so klingt als nutzten Handwerker:innen ihr Gehirn nicht, was wiederum so klingt als hätten sie keines. Dass Handarbeit weniger wertgeschätzt wird als Kopfarbeit, ist ganz offensichtlich, siehe Pflegeberufe. Das ist furchtbar schade, denn zum einen ist es natürlich nicht wahr und zum anderen ist es zu großen Teilen die Handarbeit, die das erschafft, worauf die Menschen am meisten angewiesen sind: Häuser, Essen, Elektrizität und vieles mehr. Es sollte schlicht und einfach besser bezahlt werden, dann ändert sich das auch mit dem anhaltenden Widerstand gegen diese Berufswahl und der gefühlt geringen Wertschätzung. In manchen Ländern ist das schon so, zum Beispiel in Australien.

Ich werde oft angesprochen von Menschen, die mir meinen Beruf neiden und wünschten, sie säßen nicht „den ganzen Tag am Schreibtisch“.  Sie romantisieren den Geruch des Holzes und die Rückbesinnung auf das Analoge. Manchmal fühle ich mich dann bemüßigt, sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Im Handwerk sind halbe Sachen gar nichts. Entweder das Erstellte besteht seine Prüfung oder alles beginnt von vorne. Es gibt einfachere Berufe, die Fehler verzeihen.

Zurück zu der berufswählenden Person. Ich verstehe, dass viele andere Berufe attraktiver wirken: weniger Schmutz, schönere Kleidung, vor der Arbeit noch Zeit für Sport, mehr Geld. Trotz allem würde ich raten, probier’s mal aus! Der Arbeitsalltag im Handwerk kann großen Spaß machen. In wenigen anderen Berufen hast du am Ende des Tages das Ergebnis und den Wert deiner Arbeit so klar vor Augen. Um möglichst pathetisch zu schließen: Für mich ist das der Lohn, der am meisten zählt.



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