ProEbenso sinn- wie wertvoll
Die Schule abgeschlossen – also ab an die Universität! Für viele SchulabsolventInnen scheint dies die einzig vernünftige Option für eine stabile Karriere zu sein. Entgegen vieler Vorurteile bieten traditionelle Handwerksausbildungen auch heute wertvolle Möglichkeiten und sichere Perspektiven in der beruflichen Laufbahn.
„Denk doch bloß an deine Zukunft!“ Diesen Satz hören gewiss viele junge Erwachsene, während ihrer Berufswahl. Hat es denn in unserem digitalen Zeitalter noch Sinn, ein Handwerk zu lernen!?
Die Frage, ob ich doch lieber eine Handwerksausbildung anfangen soll, schwirrte mir in den letzten Jahren immer wieder durch den Kopf. Nachdem ich 2017 mein Abitur absolviert hatte, war erstmal klar: Ich werde studieren, denn jetzt habe ich ja die Voraussetzung dafür. Aber welchen Studiengang wählen? Mittlerweile gibt es so eine Fülle an Wahlmöglichkeiten, was mir meine Entscheidung nicht gerade erleichterte. Ich erinnere mich, dass es in der Mittelstufe ausschließlich um das Thema Ausbildungsberufe ging, in der Oberstufe war von der Option Ausbildung dann nicht mehr die Rede, erst recht nicht von einer Handwerksausbildung. Als angehende Abiturienten wurden wir auf ein Studium vorbereitet. Von allen anderen Möglichkeiten, die wir nach unserem Schulabschluss hätten haben sollen, und dass es ebenso sinn- wie wertvoll sein kann, eine Handwerksausbildung einem Studium vorzuziehen, war nie die Rede. Zusammengefasst: Ich habe mich sehr unvorbereitet gefühlt nach der Schule, wusste nicht, was ich machen möchte und welche Wege mir außer einem Studium noch offenstehen. In welchem Berufsfeld sehe ich mich in Zukunft? Was sind meine Fähigkeiten? Und was ist eigentlich mit der finanziellen Sicherheit von der alle reden? Fragen über Fragen.
Studienberechtigt, aber fremdbestimmt
Ich habe mich dann in einigen Berufsfeldern ausprobiert und schlussendlich an der Humboldt Universität für Regionalstudien Asien/Afrika eingeschrieben. Nach zwei Jahren Studium wusste ich immer noch nicht, welche Richtung ich damit einschlagen würde und fühlte mich zunehmend fremd an der Uni. Es brauchte eine Weile, um mir wirklich einzugestehen, dass ich unglücklich und verunsichert war. Zwar fiel es mir leicht, Hausarbeiten zu schreiben und selbstständig mit wissenschaftlichen Texten zu arbeiten. Der akademische Weg würde also schon funktionieren, dachte ich und auch: Ich muss das jetzt einfach durchziehen, dann habe ich zumindest einen Abschluss in der Tasche, schließlich bin ich schon 25.
Aber Moment mal, muss ich wirklich etwas durchhalten, wofür ich gar nicht brenne? Nur um gesellschaftliche Erwartungen zu erfüllen? Und nur weil ich die Berechtigung für ein Studium habe, soll ich diesen Weg auch gehen? Plötzlich lautete die Antwort in mir: Was für ein Quatsch! Ich möchte doch frei entscheiden, mein berufliches Leben nach meinen Fähigkeiten und Vorstellungen gestalten. Ich möchte inspiriert werden und der Arbeit nachgehen, die mein Potential entfaltet und, ja, es klingt pathetisch, mein Feuer entfacht.
Ich ging auf die Suche, fragte: Welche Tätigkeiten habe ich schon immer gerne und ausdauernd ausgeübt? Seit meiner Kindheit habe ich gezeichnet und gebastelt, mit verschiedenen Materialien gearbeitet, häufig meinen eigenen Schmuck hergestellt und es geliebt, die eigenen Hände dafür zu hernehmen. Immer wieder habe ich mit dem Gedanken gespielt, eine Ausbildung zur Goldschmiedin zu absolvieren, zumal mich diverse Praktika und Kurse in Goldschmiedewerkstätten regelrecht begeistert hatten. Dies jedoch beruflich auszuüben, habe ich mich lange nicht getraut. In meinem Kopf hieß es, eine Handwerksausbildung sei nichts für Menschen mit Abitur: perspektivlos und geringe Verdienstmöglichkeiten. Anders mit einem Bachelorabschluss.
Ein Gefühl von Wertschätzung
Meine Mutter hat mich in diesem Entscheidungsprozess unterstützt und ermutigt. Dann war es irgendwann einfach klar: Ich fange eine Ausbildung zur Goldschmiedin an. Und das war eine der besten Entscheidungen, die ich getroffen habe! Jetzt kann ich es gar nicht abwarten, im September mit der Ausbildung zu beginnen und das sogar mit der Aussicht, später von meiner Ausbilderin übernommen zu werden.
Mir gefällt die Abwechslung, die Verknüpfung von Theorie und Praxis im Berufsalltag. In einer Welt, in der wir eh schon so kopflastig und von Stress geprägt sind, tut mir die Verbindung von Kopf- und Handarbeit in einer Handwerksausbildung unglaublich gut. Im Unterschied zu meinem vorherigen Studium kann ich im Goldschmiedehandwerk sofort das Ergebnis meiner Arbeit und meinen Lernprozess sehen. Das aktive Schaffen und Gestalten von Schmuck sowie die Fähigkeit, Schmuckstücken durch Reparaturen und Restauration eine Langlebigkeit zu schenken, bedeutet mir viel. Ich kann mir gut vorstellen, dass es mich mit Zufriedenheit und Stolz erfüllt, mit meiner Tätigkeit anderen Menschen Freude zu bereiten. Besonders wenn es um Erbstücke geht, die den KundInnen am Herzen liegen. Der persönliche Kontakt zu ihnen und die Arbeit in einem kleinen Team geben mir ein Gefühl von Wertschätzung, welches ich im großen Gewimmel an der Uni vermisst hatte.
Und ja, das Handwerk hat in unserer zunehmend digitalen Welt eine Zukunft. Für das Goldschmiedehandwerk reicht wohl ein Blick zur Person gegenüber, um festzustellen, dass sich die Menschen überall auf der Welt schmücken. Es wird immer HandwerkerInnen geben (müssen), die bauen, gestalten und reparieren; nur mit Maschinen und Industrie kommen wir da nicht weit. Bei einem Geigenbauer käme niemand auf die Idee, die Form des Holzes für den richtigen Ton maschinell zu erstellen. Ganz unabhängig davon, dass es ein solches Gerät dafür gar nicht gibt. Nicht zuletzt geht es beim Instrumentenbau und Schmuckdesign auch um Kunst – Kunsthandwerk eben.
Ich wünsche mir sehr, dass die Menschen wieder mehr Perspektiven im Handwerk sehen, die Hände dahinter mehr schätzen und wenn doch irgendwann die Lust auf ein Studium aufkommt, kann man das im Nachhinein immer noch machen. Man lernt ja nie aus.