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DebatteDauerstress als Klassenphänomen?

Von Angelina Scholz / 28. Juni 2024
picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Stress betrifft uns mehr oder weniger alle. Er beeinflusst unser Denken und Handeln. Dennoch wird zu wenig darüber gesprochen, wie sich Gestresstsein auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auswirkt.

Was sind die Ursachen unseres Gestresstseins? Warnsignale und mögliche Folgen werden immer wieder thematisiert. Ebenso Möglichkeiten zur Prävention. Weniger im Fokus stehen die Betroffenengruppen selbst. Dabei sind die Ursachen für Stress durchaus individuell auszumachen: ein wichtiges Geschäftstreffen, eine anspruchsvolle Klausur oder vielleicht auch ein ausgefallener Wecker, was zu einem hektischen Morgen führen kann. 

Doch vielen sind die Folgen von Dauerstress nicht bewusst und manche verdrängen sie wiederum. Anspannung und Belastung werden eventuell sogar vor anderen und sich selbst heruntergespielt, um im Alltag zu funktionieren.

Mehrere Faktoren beeinflussen unsere Reaktion auf Stresssituationen; zum einen die Einstellung zum Stressor und zum anderen die Einstellung zu uns selbst. Wenn man also eine wichtige Prüfung vor sich hat und an seinen Fähigkeiten zweifelt, wird der Stress, den man angesichts der Prüfung ohnehin schon empfindet, weiter verstärkt. Und da wir solchen oder ähnlichen Situationen immer wieder ausgesetzt sind, kommt es auf den richtigen Umgang an, um mögliche negative Folgen unter bestimmten Umständen zu vermeiden.

Sozialer Stress

Verbunden sind diese unterschiedlichen Wahrnehmungen über die individuelle Einstellung hinaus mit der sozialen Umgebung, in der sich Personen befinden. Forschungsarbeiten wie die von Matthias Dietrich von der Hochschule Darmstadt kommen zu dem Ergebnis, dass etwa eine „urbane Umgebung insbesondere durch eine erhöhte Einkommensdisparität, eine verminderte soziale Integration und eine erhöhte Bevölkerungsdichte stärker von sozialem Stress betroffen ist beziehungsweise ein erhöhtes Stresspotenzial aufweist“.

Außerdem zeige sich, „dass bestimmte Personengruppen[,] wie ältere oder arme Menschen[,] sowie Migranten, in einer Stadt einem erhöhten Risiko von sozialer Isolation und Armut ausgesetzt sind, was wiederum sozialen Stress fördert“. Daraus kann chronischer Stress entstehen, der langfristige Folgen aufweist, die sich wieder wechselseitig beeinflussen können. Angefangen mit der beispielsweise noch eher „harmlos“ erscheinenden Gewichtszunahme: Durch die Ausschüttung von Stresshormonen können der Fett- und Zuckerstoffwechsel gestört werden, was wiederum zu mehr Körpergewicht führt. So sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien deutlich häufiger dick, wie 2018 aus einer Studie des Robert-Koch-Instituts hervorging. Ein hoher Cortisolwert kann aber auch die Gedächtnisleistung beeinträchtigen und die Funktionen des Immunsystems einschränken. Mit der Folge, dass die Konzentrationsfähigkeit deutlich nachlässt und betroffene Kinder anfälliger für Infektionskrankheiten werden.

Menschen, die in der Stadt wohnen, sind aus Sicht der Stressforschung demnach vielfältigen Risiken ausgesetzt. Nicht nur die körperliche Gesundheit wird zum Beispiel aufgrund von schlechterer Luftqualität angegriffen, sondern auch die mentale; angefangen bei einem erhöhten Risiko für Depressionen, die Entstehung von Angst- und Panikattacken bis hin zu Burnout. Psychologisch bedingter Stress fördert auch ungesunde Gewohnheiten und Lebensstile: eine ungesunde Ernährung, Alkohol- und Drogenkonsum, Rauchen, und (chronischer) Schlafmangel. Essentiell für die Bedeutung von sozialem Stress ist die Beziehung von Individuum mit seiner sozialen Umwelt.

Alles reine Kopfsache?

Die Frage des Umgangs mit Stress, ist von immenser Bedeutung. Die zwei Lösungsansätze, die man laut Forschung am besten kombinieren sollte, heißen Stressprävention und Stressabbau. Zentral für die Stressprävention sind regelmäßige Pausen und Erholungsphasen, um ein dauerndes Gestresstsein gar nicht erst entstehen zu lassen. Ob ein gemütlicher Spaziergang an der frischen Luft, sich sportlich auspowern oder einfach mal ein gutes Buch zur Hand nehmen – hier sollte man auf seine eigenen Bedürfnisse hören, was einem dabei hilft, sich zu entspannen.

Für all das aber braucht es insbesondere finanzielle Ressourcen: Einen Arbeitsplatz, der Zeit lässt für Freizeit oder ein ausreichendes Gehalt für den Eintritt im Fitnessstudio. Doch den wissenschaftlich erforschten Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit, Armut und psychischer Gesundheit begleiten auch Zweifel.

Zwar lassen sich regelmäßig Anstiege bei Depressionen und Suiziden infolge von Finanzkrisen oder hoher Arbeitslosigkeit beobachten. Dauerstress auslösen können allerdings auch genetische Veranlagung, Erziehung sowie politische und gesellschaftliche Vorgänge. In akuten Stresssituationen spiele sich vieles nur in unserem Kopf ab, heißt es, weshalb man sich zunächst nach dem Grund für das Gefühl von Stress fragen sollte. Wichtige Überlegungen sind dann vor allem: Kann man selbst etwas (zukünftig) daran ändern? Was könnte im schlimmsten und im besten Fall passieren? Gibt es jemanden, den man um Hilfe bitten kann? Mit Blick auf die eigene Verantwortung, ließe sich, zumindest laut dem aktuellen Stand der Physiotherapie, Stress bereits durch die richtigen Atemübungen auch wortwörtlich „wegatmen“.



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