ContraBitte mehr Anspruch
Jeder sollte die gleiche Chance auf Bildung und Entfaltung seiner Fähigkeiten haben. Für Menschen mit Behinderung wird dieses Recht durch Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention unterstrichen. Unterschiedliche Fähigkeiten von Kindern mit und ohne Behinderung setzen aber voraus, dass Schulen wirklich die dafür notwendigen Voraussetzungen bieten.
Für Rollstuhlfahrer mögen es nur Aufzüge sein. Für Kinder mit Lernschwierigkeiten braucht es speziell ausgebildetes Personal und für schwer behinderte Kinder eben Rückzugs-und Therapieräume. Der Idealist sagt: „Inklusion kann nicht warten. Schlechte Ausstattung ist eine Ausrede, um Inklusion aufzuhalten.“ Tatsächlich setzt die UN-Behindertenrechtskonvention voraus, dass „angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden.”
„Team Teaching“ in kleinen Klassen
Klassen an Regelschulen sind jedoch bereits jetzt mit durchschnittlich 25-30 Schülern zu groß. Ein Lehrer kann die „Bedürfnisse des Einzelnen“ nicht angemessen berücksichtigen. Sitzen Kinder mit Förderbedarf in einer überfüllten Klasse, kommt gerade bei ihnen die notwendige Unterstützung zu kurz.
Auch die sporadische Anwesenheit eines zusätzlichen Sonderpädagogen in manchen Unterrichtsstunden kann dieses Defizit nicht kompensieren. „Team Teaching“ sollte deshalb in integrativen Klassen Standard in jeder Unterrichtsstunde sein. Wenn in jeder Stunde und jeder Klasse ein Lehrer und ein Sonderpädagoge unterrichten würden, könnte der Sonderpädagoge die Kinder unterstützen, die eine Aufbereitung des Unterrichtsinhalts benötigen. Ebenso könnte die zweite Lehrkraft förderbedürftige Schülerinnen und Schüler bei komplexen Themen separat anleiten und ihnen den Inhalt auf einem geeigneten Niveau darlegen. Begleitet ein Sonderpädagoge eine Klasse aber nur in manchen statt in allen Stunden, kommt der Förderbedarf in seiner Abwesenheit wieder zu kurz.
Damit die Methode „Team Teaching“ Standard werden kann, müssen allerdings ausreichend ausgebildete Sonderpädagogen zur Verfügung stehen. Und das ist bisher längst nicht der Fall.
Neue Räume schaffen
Geht man von optimaler Integration aus, lernen Kinder mit und ohne Behinderung in einem Raum. Kinder mit Behinderung und altersgemäßem kognitiven Stand können das. Doch Kinder mit kognitivem Förderbedarf müssen ein Thema anders dargelegt bekommen, um es zu verstehen. Dies zeitgleich in einem Raum unter hohem qualitativem Anspruch zu gewährleisten ist nahezu unmöglich. Kinder mit und ohne Behinderung lassen sich viel zu leicht durch äußere Einflüsse ablenken und in ihrer Konzentration beeinträchtigen.
Integrative Schulen brauchen deshalb Raumkonzepte, die auch separates Lernen möglich machen. Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft beschreibt beispielsweise im Handbuch „Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse“ nötige Räume und mögliche Gestaltungsideen. Seit 2016 begleitet sie zudem fünf Pilotprojekte in Deutschland beim Umbau zur Integrationsschule.
Unterschiedliche „lebenspraktische Fertigkeiten“
Eine weitere Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention stellt im Grunde eine Erwartungshaltung dar. Es sollen „lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen” erworben werden, die „gleichberechtigte Teilhabe an Bildung und Gemeinschaft” ermöglichen.
Speziell spricht der Paragraph davon, das Kommunikationsformen wie Brailleschrift oder Gebärdensprache von Menschen mit entsprechender Behinderung erlernt werden müssen. Das setzt voraus, dass Lehrer Brailleschrift und Gebärdensprache vermitteln können. Solange aber kein Lehrer der Regelschule diese Kompetenzen hat, wird Integration nicht gelingen.
Denkt man weiter, erkennt man, dass „lebenspraktische Fertigkeiten“ je nach Fähigkeit und Behinderung etwas anderes bedeuten. Gerade für die „gleichberechtigte Teilhabe an der Gemeinschaft” sollte es für Menschen mit mancher Form der Behinderung ein Ziel sein, sie zu einem selbstständigen Leben zu befähigen. Während es für den einen eine große Leistung ist, die DNA-Replikation zu beherrschen, ist es für den anderen eine ebenso große Leistung, sich selbstständig anziehen zu können. Schulstunden könnten dann durch lebenspraktischeren Unterricht als Mathematik oder Biologie sinnvoller genutzt werden. Sozialkompetenzen, die Kinder im integrativen Unterricht erwerben, könnten stattdessen auch durch integrative Schulprojekte gefördert werden.
Contra schlechte Ausstattung
Eine Integrationsschule könnte also bei entsprechender Ausstattung und entsprechendem Personal optimal für das Anliegen des Einzelnen geeignet sein. Eine Schule aber, die sich Integration auf die Fahne geschrieben hat, dafür aber nicht ausgestattet ist, kann diesem hochgesteckten Ziel auf Dauer nicht gerecht werden. Vielmehr verschenkt sie Potentiale der Lernenden, die aufgrund mangelnder Betreuung nicht ausreichend gefördert werden.
Wir brauchen Inklusion. Aber wir brauchen nicht (noch) mehr Integrationsschulen, die durch überstürzte Projekte ihren schutzbefohlenen Kindern nur unzureichend gerecht wird. Wir brauchen gut geplante Integrationsangebote an Schulen, dann erst das Label. Aber wir müssen es auch akzeptieren, wenn eine Förderschule, die Entfaltung der Fähigkeiten besser fördern kann, als eine schlecht ausgestattete Integrationsschule.
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So la, la.