DebatteDer Hürdenlauf der Parteien
Nicht jede Partei, die zur Wahl antritt, schafft es auch in die Regierungsparlamente. Das verhindert die Fünf-Prozent-Hürde. Und genau daran scheiden sich die Geister.
Weimarer Republik: Bis zu 17 Parteien sitzen im Parlament – und können einfach nicht miteinander. Zu unterschiedlich sind die Interessen, Konfessionen und Klassenzugehörigkeiten. Kompromisse zwischen den Regierungsparteien gibt es deshalb kaum, Mehrheiten zerfallen rasch wieder. Das Regieren ist eine Sisyphos-Arbeit. So zerbricht 1930 die Große Koalition, weil sich die Regierungsparteien SPD und DVP (Deutsche Volkspartei) nicht auf eine gemeinsame Strategie gegen die durch die Wirtschaftskrise verursachte Massenarbeitslosigkeit einigen können.
Wenige Jahrzehnte später: Die Bundesrepublik ist frisch gegründet. Alles soll besser werden. Um die Arbeitsfähigkeit der Parteien zu sichern, begrenzt fortan die Fünf-Prozent-Hürde ihre Zahl im Parlament. Während des ersten Bundestags im Jahr 1949 gilt sie noch für die Stimmzählung in jedem einzelnen Bundesland. Das ändert sich vier Jahre später, als der Deutsche Bundestag ein neues Bundeswahlgesetz verabschiedet. Von nun an bezieht sich die Fünf-Prozent-Hürde auf alle bundesweit abgegebenen gültigen Stimmen.
Die Regelung und ihre Ausnahmen
Die Fünf-Prozent-Klausel besagt, dass eine Partei bei einer Wahl mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen auf sich vereinen muss, damit ihr im Parlament Sitze zugeteilt werden. Scheitert eine Partei an der Hürde, verliert sie normalerweise alle ihr zugedachten Stimmen. Doch es gibt auch Ausnahmen. So kann eine Partei, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhält, durch ihren Kandidaten per Direktwahl trotzdem noch die Mehrheit der Erststimmen in einem Wahlkreis und damit zumindest ein Mandat gewinnen. Ins Parlament einziehen kann eine Partei, wenn sie – unter Beachtung ihrer Ergebnisse aus der Verhältniswahl – mindestens drei Direktmandate bekommt.
Die Fünf-Prozent-Klausel gilt bei der Bundestags-, den Landtags- und bei einigen Kommunalwahlen. Bis 2009 kam sie auch bei der Europawahl zur Anwendung. Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch 2011, dass die Hürde im Falle der Europawahl nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, weil sie gegen die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verstoße. Die Sonderbehandlung des Europäischen Parlaments war für die Karlsruher Richter legitim, weil es – anders als die Bundesregierung – nicht auf stabile und dauerhafte Mehrheiten angewiesen sei. „Weder wählten die Abgeordneten eine Unionsregierung, noch hinge die EU-Gesetzgebung im selben Maße von ihnen ab. Das Zusammenspiel aus Fraktionen, Koalition und Opposition gebe es so nicht“, erklärt der Journalist Matthias Meisner das Gerichtsurteil.
Neben bestimmten Wahlen sind auch bestimmte Parteien von der Fünf-Prozent-Hürde befreit. In Deutschland sind das der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) und die Lausitzer Allianz (LA). Für beide gilt das Minderheitenwahlrecht. Das soll nationalen Minderheiten die Einflussnahme in politischen Gremien erleichtern. Wer als Minderheit anerkannt wird, ergibt sich aus dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Derzeit vertritt der Südschleswigsche Wählerverband rund 3.600 Friesen und Dänen und die Lausitzer Allianz in Brandenburg etwa 70 Sorben.
Andere Hürden im Ausland
Viele europäische Länder kennen andere Arten von Sperrklauseln. Liechtenstein beispielsweise begrenzt die Anzahl der Parteien für seinen Landtag mit einer Hürde von acht Prozent. Bis 1962 galt in dem Fürstentum sogar eine Klausel von 18 Prozent. Sie sollte extreme Kräfte aus dem Landtag fernhalten. Als sich jedoch zeigte, dass die hohe Sperrklausel keine verfassungsmäßige Grundlage hatte, hob das Staatsgericht sie auf. Heute bilden vier Parteien das liechtensteinische Parlament. Im internationalen Vergleich ist es damit relativ klein.
1991 zählte das polnische Parlament die größte Anzahl an Parteien: 29 waren eingezogen, darunter auch Spaßvögel wie die „Polnische Partei der Bierfreunde“.
In der Schweiz gibt es je nach Kanton unterschiedliche Hürdenhöhen von bis zu zehn Prozent – die höchste Klausel Europas.
In anderen Ländern existieren deutlich niedrigere Sperrklauseln. Spitzenreiter in Sachen „Mini-Hürden“ sind die Niederlande. Hier liegt die Hürde bei den Parlamentswahlen bei 0,67 Prozent. Die Mandate werden unter den Parteien verteilt, die mindestens ein 150stel der gültigen Stimmen erreicht haben. Der Quotient bezieht sich auf die 150 Sitze im Niederländischen Parlament.
In Finnland, Portugal und Mazedonien gibt es dagegen keinerlei gesetzliche Sperrklauseln.
Fast 16 Prozent der Wähler im Parlament nicht vertreten
September 2017: Die Bundestagswahl ist vorbei. Von 42 kandidierenden Parteien haben es sieben in das Parlament geschafft. Wie die Rheinische Post berichtete, ging jede sechste Stimme an eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. 2013 blieben 6,86 Millionen Zweitstimmen und damit jede sechste Stimme durch die Fünf-Prozent-Hürde unberücksichtigt – im Vergleich sind das mehr als die Bevölkerung Hessens und 15,7 Prozent der Gesamtstimmen.
Da zahlreiche Stimmen durch die Fünf-Prozent-Hürde kein Gehör finden, steht die Klausel seit Jahren immer wieder in der Kritik. Jüngst hat der Vorsitzende der Satirepartei Die Partei, Martin Sonneborn, angekündigt, im Oktober gegen die Hürde klagen zu wollen. „Die Sperrklausel ist nicht mehr zeitgemäß und demokratietheoretisch überholt“, sagte Sonneborn.