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ContraHart, aber fair

Von Julia Harmeling / 29. September 2017
picture alliance / Zoonar | mt KANG

Von den Großen geschätzt, von den Kleinen gehasst: Die Fünf-Prozent-Hürde steht in der Kritik, etablierte Parteien zu bevorzugen und kleinen Newcomer-Parteien unnötige Steine in den Weg zu legen. Die Bundestagswahl hat jedoch Gegenteiliges bewiesen.

Der Souverän hat entschieden: Der neue Bundestag wird künftig aus zwei weiteren Parteien bestehen – und ist damit so groß wie noch nie zuvor. Während die AfD 2013 noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, zieht sie nun als drittstärkste Partei ins Parlament. Auch der FDP gelang nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition der Wiedereinzug in den Bundestag.

Im Vorfeld jeder Wahl werden Stimmen laut, welche die Streichung der Sperrklausel fordern – sie sei undemokratisch, ungerecht und unzeitgemäß. Undemokratisch, weil der Grundsatz der Stimmengleichheit eingeschränkt sei. Ungerecht, weil etablierte Parteien begünstigt und kleine Parteien benachteiligt und so ein Parteienkartell zementiert würde. Und unzeitgemäß, weil das Bundesverfassungsgericht 2014 die Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht für verfassungswidrig erklärte. Es begründete damals, der schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien sei durch nichts zu rechtfertigen.

Keine politische Starre

Dieses Argument ist jedoch nicht einfach auf die Bundestagswahl übertragbar. Im Europäischen Parlament fehlt der typische Gegensatz zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Die Fraktionen, welche sich aus rund 160 nationalen Parteien zusammensetzen, bilden je nach Abstimmungsthema wechselnde Mehrheiten.

Anders ist es im Bundestag, wo der Zweck einer Wahl auch darin besteht, ein Parlament zu schaffen, welches eine handlungsfähige und verantwortungsbewusste Regierung hervorbringen kann. Wie der Wahlausgang gezeigt hat, geht eine große Parteienpartizipation mit der Einschränkung einher, dass regierungsfähige Mehrheiten schwerer zu bilden sind. Das kann im Extremfall dazu führen, dass eine Minderheitenregierung eingesetzt werden muss oder eine Große Koalition auf die andere folgt oder das Parlament stark fragmentiert ist.

Diese und auch vergangene Wahlen haben zudem gezeigt, dass sehr wohl auch kleinen und neuen Parteien der Einzug ins Parlament gelingen kann, man nehme nur die Grünen und die AfD auf Bundesebene und die Republikaner, NPD und Piraten auf Landesebene.

Die Bundestagswahl 2013 hat außerdem verdeutlicht, dass die scheinbar etablierte und zu den alteingesessenen Parteien zählende FDP sich die Frage nach ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz gefallen lassen muss. In den vergangenen vier Jahren konnten die Liberalen offensichtlich ihr Profil schärfen und ihre Daseinsberechtigung verteidigen.

Die Sperrklausel führt also nicht zwangsläufig zu einem Erstarren politischer Verhältnisse. Fünf Prozent sind nicht so niedrig, dass jede Splitterpartei sie leicht überwinden kann, aber auch nicht so hoch, dass alle Ambitionen neuer Parteien von vornherein zum Scheitern verurteilt wären.

Nur wenige Stimmen gehen „verloren“

Gegner der Klausel argumentieren, dass bei jeder Wahl Millionen von Stimmen „verloren“ gehen, weil die gewählte Partei die prozentualen Mindestanforderungen nicht erfüllt hat. Doch betrachtet man den Anteil der „sonstigen Parteien“ bei der Bundestagswahl, kommen diese gesammelt gerade einmal auf fünf Prozent der abgegebenen Stimmen; wobei die Freien Wähler mit rund einem Prozent der Stimmen noch die größte Gruppe bilden. Nicht einmal im Zusammenschluss hätten also die 35 übrigen kandidierenden Parteien die Sperrklausel überwinden können. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass kleinere Parteien nicht zwangsläufig aus Überzeugung gewählt werden, sondern vor allem auch aus Protest.

Verglichen mit dem Mehrheitswahlsystem, bei dem faktisch fast die Hälfte der Stimmen verloren geht und das weite Gruppen von Wählern von der politischen Mitbestimmung ausschließt, wird durch unser personalisiertes Verhältniswahlrecht ein größtmöglicher Wählerwille erreicht.

Parlament muss kein exakter Spiegel sein

Schließlich kann der Sinn einer Wahl nicht einzig und allein darin bestehen, im Parlament ein exaktes Spiegelbild von Meinungen und Interessen der Bevölkerung abzubilden. Vielmehr müssen Parlamente auch davor geschützt werden können, dass demokratiefeindliche oder diskriminierende Minderheitenpositionen Einfluss auf die Gesetzgebung haben könnten.

Stark polarisierende Parteien sind in unserer Mediendemokratie zudem keinesfalls aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen, im Gegenteil. Oftmals sind politische Randbewegungen überproportional häufig in der Berichterstattung und in Talkshows vertreten.

Statt der Sperrklausel sollte uns besorgt stimmen, dass Nichtwählende weiterhin die zweitgrößte Gruppe der Wahlberechtigen darstellten.

Ohne die Fünf-Prozent-Hürde wäre die AfD bereits seit vier Jahren dort vertreten. Die anderen und „sonstigen“ Parteien werden diese Legislaturperiode nutzen müssen, um sich noch klarer gegen rechts zu positionieren und die Rechtspopulisten mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln zu enttarnen. In diesen instabilen politischen Zeiten brauchen wir die Fünf-Prozent-Klausel mehr denn je.



2 Antworten auf „Hart, aber fair“

  1. Von Frank am 12. Oktober 2017

    Hallo,

    ich sehe auch das Problem der stabilen Mehrheitsfindung, sollte die 5%-Hürde fallen. Zu viele verschiedene Standpunkte sind kaum noch unter einen Hut zu bringen. Und wie die Beispiele der Grünen, Piraten und nun auch der AfD zeigen, hat sich grad in den letzten Jahren einiges in den verschiedenen Parlamenten bewegt. Man kann zwar argumentieren, dass wir heute eine wesentlich stabilere Demokratie haben, aber grad deshalb sollte man die Weimarer Fehler nicht wiederholen.

  2. Von Luise am 15. Oktober 2017

    Hallo,
    im Wesentlichen stimme ich der Argumentation zu, allerdings denke ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen, die eine „kleine“ Partei wählen, dies aus Protest tun.
    In vielen Fällen findet sich dahinter sicher auch eine politische Überzeugung und man kann auch größere Parteien aus Protest wählen.
    Außerdem hemmt die Hürde auch einen Wandel im Parlament, viele Menschen wählen eher eine etablierte Partei als zu riskieren, dass ihre Stimme nicht berücksichtigt wird.
    Daher sollte es auf jeden Fall so etwas wie eine „Alternativstimme“ geben, mit der man im Falle des Nichtüberschreitens der Hürde einer anderen Partei seine Stimme gibt.
    Denn ja, die Abbildung des Volkswillens ist nicht die einzige Aufgabe eines Parlamentes, aber dennoch eine der wichtigsten.
    Und durch einen dadurch vielleicht herbeigeführten politischen Wandel kann den Menschen vielleicht auch gezeigt werden, dass ihre Stimme etwas verändert, was sicherlich mehr Menschen zur Wahlurne treiben würde.
    Außerdem greift ihre Argumentation zum Thema des geringen Anteils der verfallenden Stimmen nicht, 2013 wurden auf diese Weise über 15% der Stimmen nicht berücksichtigt, ein Zusammenschluss all dieser Parteien wäre also drittstärkste Kraft nach der SPD geworden.

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