ContraMächtig, aber nicht korrupt
Für viele Menschen bedeutet Macht etwas Schlechtes. Wir sind geprägt von Negativschlagzeilen der Presse und übersehen dabei, dass direkt vor unserer Tür zahlreiche Beispiele positiver Machtausübung warten.
Der deutsche Kabarettist Dieter Hildebrandt sagte einmal: „Geld macht nicht korrupt – kein Geld schon eher.“ Geld steht für Reichtum, Macht und Einfluss. Bedeutet Hildebrandts Aussage, dass Macht nicht automatisch dazu führt, dass Menschen korrupt werden, sondern im Gegenteil nur Menschen korrupt werden, die machtlos sind?
Wenn ich an Macht denke, tauchen in meinem Kopf sofort negative Assoziationen auf: Missbrauch, Korruption und Gier. Ich denke an Banken, Wirtschaftslobbyisten und antidemokratische Staatsoberhäupter. Es scheint, als ob sich Negativschlagzeilen wie der FIFA-WM-Betrug oder der VW-Abgasskandal in meinem Kopf festgesetzt haben und Macht sowieso nur missbraucht werden kann.
Dabei spielt Macht nicht nur in der hohen Politik oder bei großen Wirtschaftskonzernen eine Rolle. In unserem alltäglichen Leben hat jeder von uns mit Macht zu tun und übt sie sogar aus – und das ist nicht unbedingt schlecht.
Im Wechselspiel der Gewalten
Der britische Historiker Geoff Eley beschrieb Macht einmal als „Bestandteil der kleinsten und intimsten menschlichen Beziehungen“1. Versteht man sie als solche, wird deutlich, welche Rolle Macht in unserem Alltag spielt. Sie strukturiert unser Zusammenleben, verleiht Verantwortung und führt zu Abhängigkeiten. Jeder, der Macht besitzt, muss mit ihr umgehen können und Entscheidungen treffen.
Macht sei die Möglichkeit, „andere Menschen dazu zu bewegen, dass sie etwas Bestimmtes tun“, erklärt Stefan Werner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie2 – das klingt sehr positiv. Laut Werner gibt es viele Beispiele für eine positive Ausübung von Macht. „Jeder, der in einer leitenden Funktion ist und für die Menschen und für die Sache seine Macht positiv ausübt, kann Kräfte bündeln und Dinge hin zum Positiven bewegen.“ Negativ werde die Machtausübung erst ab dem Punkt, wo man sie für persönliche Interessen oder gegen den Willen anderer missbrauche. Der Mensch ist es also, der Macht erst zu etwas Schlechtem machen kann.
Macht wird in vielen Bereichen im positiven Sinne eingesetzt: Sei es die Hilfe für bedürftige Menschen, die Unterstützung von Projekten oder die Ausübung von demokratisch verliehener Macht durch Politiker. Wer denkt an all diese guten Beispiele?
Im Dschungel der Negativschlagzeilen
Es scheint, als schafften es nur die Missbrauchsskandale in die Schlagzeilen der Medien. Wo aber sind die Berichte über all jene, die nicht der Habgier und der Korruption erlegen sind, und fernab von Arroganz und Überlegenheitsgefühlen ihre Ressourcen für das Wohl anderer einsetzen?
Jene sind beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich trotz heftiger Kritik aus dem In- und Ausland weiterhin für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzt, oder der in Verruf geratene VW-Konzern, der Projekte für Kinder und Jugendliche in Südafrika unterstützt. Wahrscheinlich wird mir jetzt vorgehalten, dass solche „sozialen Projekte“ doch nur der Imageverbesserung dienten.
So etwas macht mich wütend. Ich bin nicht naiv, aber noch weniger möchte ich derartig kritisch gegenüber allem und jedem in der Welt sein. Die Negativschlagzeilen der Presse sollen nicht mein Weltbild bestimmen.
Eine echte schlechte Nachricht gibt es aber doch: Das Potenzial zum Machtmissbrauch steckt in jedem von uns. Ab dem Punkt, an dem das eigene Ego in den Vordergrund einer Handlung tritt, befinden wir uns auf dem Weg zum Missbrauch. „Offenheit, Transparenz, dem anderen zuhören, keine Denkverbote – das alles kann helfen, die Wahrscheinlichkeit zu minimieren“, sagt Stefan Werner.
An diesem Punkt erinnere ich mich zurück an Geoff Eley. Ich denke an meine Jugend, als meine Eltern für mich entschieden, wann ich zuhause sein musste; an meine Lehrer, die meine Schulleistungen bewerteten. Ich denke an die sagwas-Redaktion, die sagen wird, dass dieser Text schon wieder zu lang ist.
All diese Menschen hatten und haben Macht und Einfluss auf mein Leben, aber sie haben diese nicht missbraucht. Sie haben für mich etwas Gutes im Sinn gehabt. Auch wenn ich nicht mit allen Entscheidungen einverstanden gewesen bin, so hatten sie doch oft ihre Berechtigung und stellten sich später oft als sinnvoll heraus.
1 Vgl.: Eley,Geoff: Wie denken wir über Politik? Alltagsgeschichten und die Kategorie des Politischen, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 20.
2 Vgl.: MEDIEN IM FOKUS. Macht, Missbrauch, Ohnmacht. Ein Interview mit Stefan Werner, in: Bischoff Verlag, www.bischoff-verlag.de/public_vfb/pages/de/family/medien_im_fokus/24missbrauchinterview.html
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