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ContraGesundheitlich und sozial gefährlich

Von Luan J. Kreutschmann / 9. April 2015
picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Es gibt es viele gute Gründe, eine gesetzliche Impfpflicht abzulehnen. Unter bestimmten Umständen wäre diese Maßnahme der Gesundheit vieler Bürger sogar abträglich.

Seit dem Ausbruch der aktuellen Masern-Epidemie wird einmal mehr die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland diskutiert. Dabei fallen Schlagwörter wie körperliche Unversehrtheit, Allgemeinwohl und Selbstbestimmungsrecht.

Die allgemeine Impfpflicht ist eine Möglichkeit, schnell, effektiv und flächendeckend für eine hohe Impfquote zu sorgen. Diese ist notwendig, um ansteckende Infektionskrankheiten wie beispielsweise Masern auszurotten beziehungsweise auf die geringste denkbare Verbreitung in der Bevölkerung zu minimieren.

Dreh- und Angelpunkt der Diskussion besteht darin, dass das Impfen nicht allein der Immunisierung der Geimpften selbst dient. Indirekt werden Personengruppen, die selbst keine Impfung bekommen können, beispielsweise Babys im ersten Lebensjahr oder Menschen, bei denen dies aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen ist, vor eventuell komplikationsreich oder tödlich verlaufenden Infektionen geschützt.

Pocken-Impfung ist kein Argument für eine Impfpflicht

Dabei ist eine Impfpflicht für diese Zwecke gar nicht notwendig. Derzeit sind etwa 90 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft, Tendenz steigend. Angesichts dieser hohen, freiwillig erzielten Quote scheint eine Pflicht für die nach wissenschaftlichen Standards zur vollständigen Ausrottung nötigen 95 Prozent überflüssig. Es besteht außerdem Grund zu der Vermutung, dass Erwachsene mit unbekanntem oder nie aufgefrischtem Impfstatus eine größere Infektionsgefahr darstellen als ungeimpfte Kinder. Erkrankungen wie Polio sind ganz ohne Zwangsimpfung ausgerottet worden.

Ein anderes Argument gegen die Impfpflicht ist, dass sie gegenüber dem möglichen Nutzen unverhältnismäßig ist. In der Bundesrepublik bestand in den Jahren 1949 bis 1975 eine allgemeine Pflichtimpfung gegen die Pocken. Dass diese verpflichtende Impfung maßgeblich zur Ausrottung einer hoch infektiösen Krankheit mit hoher Letalität und Komplikationsrate beigetragen hat, wird häufig als tragfähige Begründung für eine Impfpflicht angesehen.

Bei Masern und anderen „Kinderkrankheiten“ handelt es sich um ungefährliche, selten mit Komplikationen und noch seltener tödlich verlaufende Erkrankungen.

Der absolute Nutzen einer Masern- gegenüber einer Pocken-Impfung ist abzuwägen. Bezieht man in diese Überlegung auch das Verhältnis zwischen Nutzen und möglichen Kosten – gesundheitliche, aber z.B. auch immaterielle Kosten durch eingeschränkte Entscheidungsfreiheit – mit ein, ist dieser Vergleich kein Argument für eine Impfpflicht mehr.

Würde die Masern-Pflichtimpfung tatsächlich umgesetzt werden, würde dies zwangsläufig im Kontext der historischen Pocken-Pflichtimpfung diskutiert werden. Gerade weil dieser Vergleich hinsichtlich der Gefährlichkeit und Verbreitung der Infektionen unangebracht ist, könnten Menschen dadurch unbegründeterweise in Panik verfallen. Alles in allem überwiegen deshalb die möglicherweise entstehenden sozialen, finanziellen und gesundheitlichen Schäden dem Nutzen einer präventiven Impfung.

Impfpflichtbefürworter verweisen darauf, dass in anderen Ländern ebenfalls eine Impfpflicht bestehe, unter anderem in Belgien gegen Kinderlähmung. Das stimmt zwar, lässt aber keine Schlussfolgerung für den Fall von Masern in Deutschland zu.

Des Weiteren hätte eine Impfpflicht möglicherweise bedenkliche soziale Folgen. Zwang ersetzt keine Aufklärung, sondern könnte hingegen zur Stärkung und Verbreitung ideologischer Auffassungen beitragen, die wiederum die Akzeptanz in der Bevölkerung für eine staatliche Fürsorge zur Eindämmung künftiger, schwerwiegenderer Erkrankungen fahrlässig unterminieren.

Hürden einer Realisierung

Der derzeit wohl am häufigsten diskutierte Vorschlag, wie eine Impfpflicht praktisch umgesetzt werden könnte, ist eine obligatorische Bestätigung entweder vor Anmeldung im Kindergarten oder vor Schuleintritt des Kindes. Durch diese Kontrolle und Sanktionierung der gesetzlich realisierten Maßnahme werden Ressourcen gebunden, die für andere soziale und gesundheitspolitische Vorhaben dringender benötigt werden.

Außerdem ist nicht sicher, ob mit einer in der Schule kontrollierten Impfpflicht überhaupt die relevanten Bevölkerungsgruppen erreicht werden. Dafür müsste eine Erhebung stattfinden, wie sich die Schnittmenge zwischen denen, die ihre Kinder bewusst nicht impfen lassen, und denen, die ihre Kinder bewusst zu Hause erziehen und an privaten Schulen unterrichten lassen, verhält.

Wird die Impfung zur Bedingung, Bildungseinrichtungen nutzen zu dürfen, hat das nicht nur eine bedenkliche Signalwirkung. Versteht man Impfungen als Mittel, Gesundheit in Form einer individuellen körperlichen Unversehrtheit zu erhalten, und versteht man überdies optimale Möglichkeiten zu sozialer Teilhabe als Teil körperlicher Unversehrtheit, würde eine verpflichtende Impfung ihren Zweck verfehlen. So sinnvoll eine Impfung also zur Erhaltung der Gesundheit mancher Personen beitragen kann, so schädlich kann sie sich auf die Gesundheit anderer auswirken.

Pflichtimpfungen widersprechen dem Allgemeinwohl

Eine gesetzliche Impfpflicht würde, egal in welcher Umsetzung, dazu führen, dass Teile der Bevölkerung von sozialen oder gesundheitlichen Leistungen und Möglichkeiten ausgeschlossen werden. So kann keine Rede davon sein, dass Impfungen dem Allgemeinwohl dienen, noch nicht einmal nur dem gesundheitlichen Gesamtinteresse einer Bevölkerung.

Formen der physischen und der psychosozialen Gesundheit können kaum und sollten nicht gegeneinander aufgewogen werden. Insbesondere nicht durch den Staat, der den Rechten und Bedürfnissen aller seiner Bürger gleichermaßen und gleichberechtigt verpflichtet ist.

Wie für die Gesundheit einer Bevölkerung Sorge getragen werden kann, wenn hoch ansteckende und gefährliche Infektionskrankheiten auftreten, bedarf einer anderen Lösung.

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