DebatteDie Macht der Meinungsforscher
„Wir wollen die Wahlen gewinnen, nicht die Umfragen.“ Wenn es für die eigene Partei einmal nicht so gut läuft, sagen Politiker gerne diesen Satz. Außer Acht lassen sie Statistiken wie die des ARD-Deutschlandtrends oder des ZDF-Politbarometers deshalb noch lange nicht – erst recht nicht im Wahlkampf. Durchgeführt werden solche Wahlumfragen von rund 140 Markt- und […]
„Wir wollen die Wahlen gewinnen, nicht die Umfragen.“ Wenn es für die eigene Partei einmal nicht so gut läuft, sagen Politiker gerne diesen Satz. Außer Acht lassen sie Statistiken wie die des ARD-Deutschlandtrends oder des ZDF-Politbarometers deshalb noch lange nicht – erst recht nicht im Wahlkampf. Durchgeführt werden solche Wahlumfragen von rund 140 Markt- und Sozialforschungsinstituten in Deutschland. Die bekanntesten sind die Forschungsgruppe Wahlen, infratest dimap, TNS Emnid, Forsa und das Institut für Demoskopie Allensbach. Den größten Teil ihres Umsatzes erwirtschaften die Institute mit Marktforschung. Politische Umfragen machen nur rund zehn Prozent aus.
„Meinungsforschung ist für eine Demokratie sehr wichtig“, sagt Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim. „Sie bietet eine Möglichkeit, auch zwischen den Wahlen deutlich zu machen, wie die Bevölkerung zu bestimmten politischen Sachfragen denkt.“ Wichtig sei, dass die Umfragen nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt würden, also objektiv, nachvollziehbar und wiederholbar seien.
Wissenschaftliche Methoden
„Die Methode der Datensammlung ist wissenschaftlich“, sagt Rüdiger Schmitt-Beck, Politologe an der Universität Mannheim. Das treffe zumindest für die großen Institute zu. Auch die Fragestellungen entsprächen im Großen und Ganzen den wissenschaftlichen Standards. Allerdings sei die Zielsetzung der kommerziellen Meinungsforschungsinstitute anders als die der universitären Sozialforschung. Forscher an Universitäten wollten die Daten vor allem erklären und interpretieren. „Den kommerziellen Instituten geht es hauptsächlich darum, Daten in die öffentliche Diskussion zurückzuspeisen“, so Schmitt-Beck. Die Hauptauftraggeber für politische Umfragen seien in erster Linie die Medien. Und denen gehe es vor allem um schlagzeilenwürdige Zahlen. „Kommerzielle Meinungsforschung ist letzten Endes ein Teil des Mediensystems.“
Unberechenbare Wähler
Das Interesse an Wahlprognosen und politischen Umfragen ist groß. Das zeigen die Einschaltquoten, die Sendungen wie ARD-Deutschlandtrend und ZDF-Politbarometer (zuletzt etwa 13 Prozent) erzielen. Auch Onlinemedien, die entsprechende Statistiken anbieten, werden stärker nachgefragt. Trotzdem steht Meinungsforschung immer wieder in der Kritik.
Bei der Bundestagswahl 2005 lagen die Demoskopen mit ihren umfragebasierten Vorhersagen weit daneben. Die führenden Institute sahen die CDU/CSU als stärkste Fraktion bei mehr als 40 Prozent. Tatsächlich kam die Union bei der Wahl nur auf 35,1 Prozent der Wählerstimmen. Den Grund für die Abweichungen sehen Demoskopen im sogenannten Last-Swing-Effekt. Der Anteil der Wähler, die sich erst im letzten Moment entscheiden, war 2005 besonders hoch. Das Wahlverhalten dieser unentschiedenen Wähler lässt sich durch Meinungsumfragen schlecht voraussagen. „Die Wählerinnen und Wähler haben sich enorm gewandelt in den letzten Jahren“, sagt Frank Brettschneider. „Der Anteil der Wähler mit einer langfristigen Parteibindung ist deutlich zurückgegangen. Von Wahl zu Wahl wird der Anteil derjenigen, die sich erst in den letzten drei, vier Tagen entscheiden, immer größer.“ Bei der vergangenen Bundestagswahl reagierte das ZDF auf diesen Trend und veröffentlichte drei Tage vor der Wahl die letzten Umfrageergebnisse. Ein Schritt in die richtige Richtung, meint Brettschneider.
Umfragen beeinflussen Politiker
Manche Kritiker befürchten, dass Meinungsumfragen die Wähler beeinflussen könnten – besonders, wenn sie kurz vor der Wahl veröffentlicht werden. Der Leiter des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, ist anderer Meinung. „Veröffentlichte Umfragewerte haben keinen Einfluss auf die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse der großen Mehrheit der Bürger. Die Bürger gehen mit dem Stimmzettel extrem souverän um – gleichgültig wie die Werte der einzelnen Parteien in Umfragen sind.“ Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim sieht das ähnlich. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich unentschlossene Wähler nicht aufgrund von Umfrageergebnissen auf die Seite einer bestimmten Partei schlagen. Umfrageergebnisse könnten jedoch sehr wohl Einfluss auf wahltaktische Entscheidungen haben. „Ein CDU-Anhänger präferiert eine bürgerliche Koalition und sieht beispielsweise, dass die FDP in den Umfragen mit etwa fünf Prozent abschneidet. Statt der CDU wählt er dann die FDP, um insgesamt die Koalitionsmehrheit hinzubekommen, die er sich wünscht“, erklärt Brettschneider. Diesen Effekt habe es bereits bei einigen Wahlengegeben.
Umfrageergebnisse können auch Politiker beeinflussen. Dann kann es passieren, dass Parteien ihr Programm an Beliebtheitswerte anpassen. Einen generellen Trend zu mehr Populismus in Deutschland sieht Frank Brettschneider allerdings nicht. „Demokratie ist beides – auf der einen Seite das Folgen der Abgeordneten gegenüber der Bevölkerung, und auf der anderen Seite aber auch das ‚Führen’, also das Überzeugen, für eine Position eintreten, auch wenn sie unpopulär ist.“