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ContraDiktat der Onliner über Nonliner

Von Diana Knezevic / 4. Dezember 2014
picture alliance / imageBROKER | Dmitry Rukhlenko

Von einer Demokratisierung des Fernsehens dank Online-Streaminganbietern können wir nicht sprechen, wenn die jüngere, netzaffine Generation einer alternden Gesellschaft langfristig ihr Nutzungsverhalten diktiert. Nebenbei spähen Unterhaltungsgiganten wie Netflix unsere Sehgewohnheiten für Werbezwecke aus.

Von einer Demokratisierung des Fernsehens dank Online-Streaminganbietern können wir nicht sprechen, wenn die jüngere, netzaffine Generation einer alternden Gesellschaft langfristig ihr Nutzungsverhalten diktiert. Nebenbei spähen Unterhaltungsgiganten wie Netflix unsere Sehgewohnheiten für Werbezwecke aus.

Erst waren es nur wilde Gerüchte, dann wurde das Schicksal einer Medieninstitution besiegelt. Seit Juli 2014 steht fest: Die Verbotene Liebe wird es nach 20 Jahren nicht mehr täglich im TV-Programm geben. Ab Ende Februar 2015 strahlt Das Erste nur noch freitags eine verlängerte Episode der Verbotenen Liebe aus. Treue Fans gucken dann vier Tage enttäuscht in die Röhre.

Ich kenne tatsächlich Menschen, die von montags bis freitags um 17:55 Uhr alles stehen und liegen lassen, um die Seifenoper zuhause an ihren Fernsehern zu schauen. Die Verbotene Liebe steht nicht nur für 20 Jahre konstante Vorabendunterhaltung für ein großes Stammpublikum, sondern für Fernsehen als Ritual.

Diese Ära soll nun vorbei sein, auch, weil es eine neue Zielgruppe gibt. Diese besteht aus etwa 300.000 meist jungen Zuschauern, die sich das Erfolgsformat täglich zeitversetzt in der Mediathek anschauen. Eine weitere, nicht unerheblich große Gruppe klickt zum Teil millionenfach sogenannte Spin-Off-Folgen auf YouTube an.

Mediathek-Nutzer tragen nicht zur Quote bei

Diese netzaffinen Zuschauer fließen aber erst ab 2015 in die Quotenerhebung ein. Die auf traditionelle Weise errechnete Quote der Verbotenen Liebe ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Von durchschnittlich 2,9 Millionen Zuschauern pro Tag im Jahr 1998 blieben 2013 nur noch 1,3 Millionen übrig. Das entspricht einem für diese Sendezeit katastrophalen Wert von 6,8 Prozent.

Für die Werbewirtschaft ist die Soap, die Deutschlands Serienlandschaft im Vorabendprogramm seit 1995 prägte wie keine andere zuvor, deshalb nicht mehr attraktiv. Wer Tütensuppen oder Mobilfunkverträge verkaufen will, wirbt lieber auf RTL, das zur gleichen Zeit durchschnittlich 15 Prozent des zielgruppenrelevanten Publikums anzieht.

Dreh- und Angelpunkt: Werbeeinnahmen

Werbung gilt immer noch als eine große Einnahmequelle der ansonsten Rundfunkgebühr-finanzierten Sender. 20 Sekunden lange Werbespots, die vor, während oder unmittelbar nach einer Folge Verbotene Liebe geschaltet werden, kosten derzeit zwischen 6.600 und 8.800 Euro. Seit große Teile der Zuschauer ins Netz abwandern, kann das zuletzt sehr aufwändig hergestellte Format anscheinend nicht mehr in der Art und in dem Umfang produziert werden wie bisher.

Die Verantwortlichen des Senders sehen allerdings keinen direkten Zusammenhang zwischen Werbeeinnahmen und Ausstrahlungsform. „Das Geld ist nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Umstellung der Daily auf eine wöchentliche Ausstrahlung“, sagt Bernd Möllmann von der ARD-Programmdirektion. „Entscheidend ist die Resonanz des Publikums.“

Die Resonanz des Publikums wird aber immer noch nur vor den herkömmlichen TV-Geräten gemessen, angeblich, „weil es noch kein Messsystem gibt, das tatsächliche „Zuschauer“ inklusive Mediathek-Nutzer erfassen kann“, so Möllmann.

Unterm Strich aber geht es um die folgende Formel: Wo keine Quote, da keine Werbeeinahmen, da keine Finanzierung, da keine Programmvielfalt.

Keine Demokratie

Ist das nun die neue TV-Demokratie? Nein. Denn von einer Demokratisierung des Fernsehens dank Online-Anbietern können wir nicht sprechen, so lange die meist jüngere und netzaffine Generation einer demografisch alternden Gesellschaft langfristig ihr Nutzungsverhalten diktiert.

Das junge Publikum, das vom klassischen Medium Fernsehen zu anderen Plattformen und Endgeräten wechselt, ist also daran Schuld, dass sich das Programm im normalen Fernsehen verändert.

Nicht, dass der Wegfall der Verbotenen Liebe im Vorabendprogramm bundesweite Depressionen rechtfertigen würde. Es ist keineswegs neu, dass TV-Formate in Deutschland abgesetzt werden, sobald die Quote nicht mehr stimmt.

Aber die Sender greifen immer schneller zu diesem Mittel, weil sie das Risiko überhöhter Ausgaben bei zu geringer Quote scheuen. Dabei ist unser viel gescholtenes deutsches Free-TV-Programm immer noch löblich im Vergleich zum Angebot amerikanischer Kabelsender, bei denen jeder Spielfilm unverblümt zur Dauerwerbesendung zerstückelt wird. Das Ergebnis der Trial- und Error-Methode deutscher Produzenten jedoch scheint kontraproduktiv zu sein: Immer mehr Zuschauer wandern ab zu Video-on-Demand-Anbietern und möchten selbst bestimmen, was sie wann sehen.

Ganz weit vorne in der Gunst des Online-Zuschauers stehen amerikanische Serien, die, hochwertig produziert, all das zu verkörpern scheinen, was die deutsche Medienlandschaft mangels Konstanz, Ausdauer und Investitionsbereitschaft nicht zu schaffen vermag: großes Kino mit Millionen Zuschauern weltweit. Dexter, House of Cards oder Breaking Bad – das sind Geschichten, mit denen heute Quoten und Geld gemacht werden. Diese Geschichten funktionieren international, weil sie bereits beim Verfassen der Drehbücher auf den internationalen Markt ausgerichtet sind.

Rituale gehen verloren

Neben der zweifelhaften Auswirkung des Sehverhaltens der Onliner auf die Programmvielfalt für Nonliner ist auch die Nutzung von Streamingdiensten selbst mehr als bedenklich.

Mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Ameise klickt sich der Onliner durch das schier endlose VoD-Angebot. Das rituelle und lineare Fernsehen weicht dem Prinzip der Beliebigkeit. Presse und Nutzer preisen die Unabhängigkeit von Zeit und Ort beim Medienkonsum. So wird das Zuschauerverhalten zum Spiegel unserer beschleunigten Multitasking-Gesellschaft: Wir machen alles gleichzeitig, aber nichts richtig, und im schlimmsten Fall bringen wir keine angefangene Handlung mehr zur Vollendung.

Wer Medien auf eine Art konsumiert, wie man die Schlagzeilen der Tageszeitungen im Kiosk aufsaugt, der geht niemals in die Tiefe, tauscht sich nicht mehr aus und reflektiert das Gesehene nicht mehr, wie es einst Usus war, wenn sich beispielsweise eine Bürogemeinschaft montagmorgens über den Tatort unterhalten hat.

Wir schauen nicht mehr gemeinsam, nicht mehr analog und linear, sondern immer häufiger alleine, digital und non-linear. Deshalb hören wir im Büro neuerdings immer öfter den kryptischen Satz: „Verrate nichts, ich bin noch nicht so weit (in der Staffel)!“

Bye, bye, Lagerfeuer-Romantik

Das ist nur eine soziale Folge der zukunftsträchtigen Technologie, bei der sich die „Lagerfeuer-Romantik“ verflüchtigt, die dem klassischen Fernsehen von Medientheoretiker Marshall McLuhan zugeschrieben worden ist. Viel wichtiger scheint aber die Frage: Welcher der vielen Video-on-Demand-Anbieter in Deutschland setzt sich im Kampf um die Gunst der meisten Zuschauer durch?

Hat dieser dann ein Monopol wie der Versandhändler Amazon, der den Einzelhandel und die Verlage schon jetzt in die Knie zwingt, den Markt manipuliert und unser Kaufverhalten für Werbezwecke analysiert? Wer bestimmt nach der Sondierung des VoD-Marktes, was durch die Glasfaserkabel in unsere Wohnzimmer gestreamt wird?

Ausspähung durch Online-Dienste

Sind wir uns eigentlich bewusst, dass durch die Vernetzung der Videoportale mit Facebook massenhaft Daten von uns gesammelt werden, mit denen Benutzerprofile von uns erstellt werden? Dazu hält der Medienkritiker Sascha Lobo fest, dass Werbung von der Kreativarbeit immer stärker zur technologiegetriebenen Überwachungskunst degeneriert.

Der Video-on-Demand-Anbieter Netflix ist also nicht nur ein Unterhaltungs-Gigant, Netflix ist ebenfalls ein riesiges Technologieunternehmen, bei dem Hunderte von Programmierern unsere Präferenzen analysieren. Das Nutzerverhalten wird genauestens erforscht. Wir können davon ausgehen, dass Netflix nicht nur am monatlichen Beitrag in Höhe von 8,99 Euro interessiert ist, sondern vor allem an den Daten seiner Kunden. Dazu zählt: Was ich gucke, wo ich gucke, wann ich gucke und mit wem ich gucke.

Was also im Gewand der absoluten Unabhängigkeit von Ort und Zeit daherkommt, ist im Prinzip nichts anderes als eine Plattform, um unsere Gewohnheiten immer umfangreicher auszuspähen und uns für den Werbemarkt noch transparenter zu machen, als wir es dank Facebook & Co. ohnehin schon sind.

Konsumorientierte Onliner mögen an personalisierter Werbung nichts zu kritisieren haben. Ich gehöre nicht dazu. Wenn ich bei Facebook etwas mit „Absolut richtig“ kommentiere, bekomme ich am Seitenrand in Sekundenschnelle Absolut-Vodka-Werbung. I don’t like that. Insbesondere, weil ich absolut keinen Wodka trinke.

Diese nutzerorientierte Werbung hat nichts mit meinem Verständnis von einer neuen TV-Demokratie zu tun und grenzt allenfalls an das Diktat, dass Glasfaserkabel offenbar automatisch gläsern machen (müssen).

Am Ende opfern wir wieder unsere Privatsphäre. Und wir opfern Rituale, die eine Gesellschaft nachweislich zusammenhalten. Für Verbotene Liebe-Fans bedeutet dies: Abschiednehmen vom „Lagerfeuer“ zugunsten einer neuen Content- und Konsumkultur. Für unsere älteren, nicht so netzaffinen Mitmenschen bleibt ein Fernsehprogramm, dessen Macher von der Quotenangst getrieben werden, also ein Markt, der aus Trial und Error besteht.

Dabei verfügt kein nicht-kommerzieller Sender der Welt mit etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr über so viel Geld wie unsere öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dank der Zwangs-Rundfunkgebühr von 17,98 Euro pro Monat und Haushalt und dank der Werbeeinnahmen, sowie Ländersubventionen, könnte man hierzulande theoretisch auf Netflix-Niveau produzieren.

Bleibt die Frage, warum wir in diesem Land nicht endlich unsere eigenen Erfolgsgeschichten schreiben, möglichst, bevor es zu spät ist und es zu einer Monopolisierung des Marktes kommt. Denn dann wird schlimmstenfalls aus der viel zitierten Demokratisierung des Fernsehens schlicht das Diktat der Onliner über die Nonliner.



5 Antworten auf „Diktat der Onliner über Nonliner“

  1. Von Sven am 4. Dezember 2014

    Ganz ehrlich, mir wird gerade richtig schlecht von diesem Artikel. Die ARD verliert Quote, und schuld daran sind die Menschen, die ihre Unterhaltung im lieber im Internet suchen. Wie kommt Mensch zu solch einer Ansicht? Es gibt viele Gründe, dass sich Menschen Serien im Internet ansehen. Zum einen ist da die flexibilisierte Arbeit, die es Vielen einfach schlicht unmöglich macht, zu einer bestimmten Zeit eine Serie zu schauen, was ist so schlimm daran, wenn diese Menschen diese Serie dann später schauen, wenn sie die Zeit dazu finden? Wer zur Nachtschicht muss, kann sich nicht um 20:15 einen Film ansehen, genauso wie jemand, der schon um 3 Uhr wieder aus dem Bett fallen muss. Müssen diese Menschen auf Unterhaltung verzichten? Dann kommt auch die Familie dazu, die auch Zeit in Anspruch nimmt, die, zusammen mit den flexiblen Arbeitszeiten, unter einen Dach gebracht werden wollen.

    Sicher gibt es Menschen, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind, die sich damit auch nicht auskennen. Aber das ist noch lange kein Grund die Menschen zu beleidigen, die sich im Internet zu Hause fühlen, die sich ihre Unterhaltung dann holen, wenn die Zeit es zulässt und die sich eben nicht an sture Zeitvorgaben halten können.

    „Mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Ameise klickt sich der Onliner durch das schier endlose VoD-Angebot.“

    Ein solcher Satz zeigt eigentlich schon, dass dieser Artikel nur darauf aus ist, die ominösen „Onliner“ schlecht zu machen. Sie für etwas verantwortlich zu machen, wofür andere Verantwortung tragen. Wenn Sender, die durch die GEZ finanziert werden, sich dem Quotendruck hingeben, dann sind genau diese Sender dafür verantwortlich und nicht die Menschen, die sich ihre Zeit einteilen müssen.

    Auch der Vorwurf, dass kein Austausch mehr stattfindet, ist falsch. Der Austausch findet über Twitter, Blogs, Facebook und Foren statt. Nein, dass ist nicht der klassische Smalltalk auf der Arbeitsstelle, aber das ist auch nicht nötig. Es gibt genügend andere Dinge über die man diskutieren kann, da ist nicht das Fernsehprogramm notwendig. Wäre dies der Fall, dann wären wohl auch die Menschen am mangelnden Austausch schuld, die lieber Bücher lesen, als sich vom TV-Programm die Phantasie verstümmeln zu lassen. Oder die lieber einem kreativen Hobby nachgehen. Das ließe sich noch weiter ausbauen…

    Dieser Artikel baut alleine auf Vorurteile auf und darauf, vor möglichen Monopolen Angst zu machen. Monopole die uns dann, weil sie uns personalisierte Werbung einblenden, total Willenlos machen….. – wird das selbst Denken eigentlich durch Werbung gesteuert?

    Als Fazit bleibt eigentlich nur, dass der Artikel mehr als schlecht ist und die Autorin hier versucht irgendwelche „Wir gegen Die“-Thesen aufzubauen, die einfach nicht haltbar sind.

    1. Von onliner am 5. Dezember 2014

      Ich gehe ebenfalls nicht ganz konform mit der Autorin und die Qualität liegt wie immer im Auge des Betrachters. Aber Beleidigungen erlese ich hier keine.

      1. Von Sven am 5. Dezember 2014

        „Aufmerksamkeitsspanne wie eine Ameise“ – Ist keine Beleidigung? Das ist nicht nur eine Beleidigung, sondern auch eine Verallgemeinerung, also ein Vorurteil gegen Menschen, die ihre Unterhaltung online genießen.

  2. Von Anna am 5. Dezember 2014

    Im Gegensatz zu Sven lese ich diesen Artikel eher als Kommentar der Autorin, denn als einen Artikel. So war er doch gemeint?
    Und wo lesen Sie die Beleidigungen heraus?

    Ich gehöre zu den Menschen, die es ebenfalls schade finden, dass die Fernsehkultur verloren geht. Ich mag Rituale.
    Sicherlich möchte auch ich das Angebot der Mediatheken nicht missen, und sei es um eine verpasste Dokumentation auf arte zu sehen.
    Dennoch finde ich das derzeitige Binge-Watching – durch Stramingangebote verursacht – mehr als bedenklich. Wenn Azubis übermüdet in die Arbeit kommen, weil sie in der Nacht unbedingt die ganze Staffel einer neu entdeckten Serie ansehen mussten. Ja, auch ich finde House of Cards eine gute Serie und auch ich habe mehr als eine Folge nacheinander gesehen mit dem Ergebnis, dass ich später gar nicht mehr wusste, was ich alles gesehen hatte.

    Sicherlich ist das alles subjektiv von mir einzig und allein empfunden, doch an dem Kommentar ist etwas Wahres dran. Wie in der Konsumgesellschaft üblich, wird auch nun im Bereich TV über die Maße konsumiert.

    Danke für eine kritische Stimme in dem ganzen VoD-Hype, Frau Knezevic.

    1. Von Sven am 5. Dezember 2014

      Nun, ich sehe im Artikel aber gar keine Kritik am übermäßigen Konsum, sondern eine Kritik an denen, die sich ihre Unterhaltung Online holen. Warum ich das schlecht finde, habe ich im oberen Kommentar schon erwähnt. Sie gibt „Onlinern“ die Schuld, dass im Fernsehen eine Serie abgesetzt wird, sie redet von einer „Aufmerksamkeitsspanne wie eine Ameise“, was für mich schon eine Beleidigung ist und auch eine Verallgemeinerung.

      Themen wie Übermüdung oder zu starker Konsum werden gar nicht angesprochen und somit kann dieser Artikel auch nicht so gemeint sein.

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