ProAus „Angst vor“ wird ein „Plädoyer für“
Künstliche Intelligenz bringt zunächst vor allem eines mit sich: Ungewissheit. Dass ihr Einsatz etliche Vorteile verspricht, sieht man oft erst auf den zweiten Blick.
Wie sich meine Angst vor einer künstlichen Intelligenz (KI) in ein Plädoyer für ihren Gebrauch entwickelte? Die Geschichte geht so: „Was magst du am wenigsten?“ lautete eine der Fragen in einem dieser „Freundebücher“, die unter uns Kindern seinerzeit herumgereicht wurden (eine moderne Version der einstigen „Poesiealben“). Ich war neun Jahre alt. Die Beantwortung aller anderen Fragen fiel mir leicht, doch diese überraschte mich, machte mich sogar ratlos. Nach einer Weile aber brachte ich die Wörter „Wirbelstürme“, „KI“ und „Streit“ zu Papier.
Wie ich auf diese Antworten und insbesondere auf den Begriff der KI kam? Nachdem ich Stephen Spielbergs Kinofilm „A.I.“ gesehen hatte, entwickelte ich eine ungeheure Angst vor allem, was mit dieser „künstlichen Intelligenz“ zu tun hatte. Es erschien mir unmenschlich, kalt, emotionslos. Diese Angst hielt einige Jahre an. Ich hoffte dabei inständig, dass diese technische Entwicklung pure Science Fiction bleiben möge. Gleichzeitig wusste ich, das wird Realität werden. Woran ich geradezu verzweifelte.
Nun zähle ich auf die KI hinter ChatGPT
Der Grund für diesen Sinneswandel liegt in der unruhigen Mutlosigkeit, die eine Klausurphase mit sich brachte. Während ich mich darum bemühte, unterschiedlichste Fachbegriffe für eine anstehende Klausur auswendig zu lernen, ohne sie wirklich richtig verstanden und kontextualisiert zu haben, merkte ich, wie die Unsicherheit nicht weniger, sondern immer größer wurde. Ich musste – und ich wollte – verstehen. Und das schnell. Das brachte mich auf die Idee, zu prüfen, was denn die KI namens ChatGPT über die jeweiligen Fachbegriffe zu erzählen hatte.
Millisekunden nachdem ich meine Frage der KI stellte, formulierte sie bereits eine Antwort. Durch das zeilenweise parallele Mitlesen der ChatGPT-Antwort musste ich nicht auf die fertigen Textblöcke warten. Zudem fand ich es überhaupt nicht anstrengend, mich auf das Geschriebene zu konzentrieren. Ohne mühsames Recherchieren erlangte ich so ein grobes Verständnis der entsprechenden Vokabeln. Die Anspannung ließ nach.
Wollte ich mein Wissen noch vertiefen, forderte ich die KI auf, weiterzuschreiben oder mir noch ein Beispiel zu geben. Schon setzte sie ihre Zusammenfassung fort. Das ersparte mir, ganz objektiv, viel Rechercheaufwand, der sowieso nicht garantierte, dass ich den Sachverhalt verinnerlichte. Dadurch gewann ich Zeit, die ich anderweitig nutzen konnte. Für mich entsprach das einer verantwortungsvollen Handhabe meines neu gewonnenen Wissensschatzes.
KI als Inspiration nutzen
Dazu kommt, diese KI kann mehr als bei einer Klausurvorbereitung unterstützen: Sie kann Korrekturen von Texten und Quellcodes übernehmen, diese sogar komplett selbst verfassen. Sie kann Texte transformieren, dergestalt, dass sie Geschriebenes in eine andere Textgattung umwandelt, wobei sogenannte Kreativitätsparameter eingestellt werden können, um Länge oder Abschnitte an die gewünschte Form anzupassen. Selbstredend kann sie alles Verfasste in andere Sprachen übersetzen. Und als “Sprache“ gilt für die KI auch eine Programmiersprache.
Mir ist bewusst, dass es nicht unbedingt sinnvoll und/oder gewünscht ist, Texte, ob fiktional oder nicht fiktional, mit Hilfe von KI erstellen zu lassen. Vielleicht auch, weil man selbst kreativ mit Sprache und Worten umgehen möchte. Aber auch an dieser Stelle kann ChatGPT nützlich sein. Eine Hemmschwelle vor dem leeren Bildschirm? Ich lasse die KI anfangen zu schreiben und nutze dies als Inspiration für meinen eigenen Ansatz.
Alle sollen profitieren können
Ein Aspekt, der oft außer Acht gelassen wird, wenn wir über die Vorteile von ChatGPT und weitere Produkte seines Herstellers OpenAI sprechen, ist, dass diese beim Abbau von Schranken helfen, die zwischen gesellschaftlichen Milieus bestehen und durch unterschiedlichen Zugang zu Bildung entstanden sind. Folgerichtig teilte OpenAI mit, es sei seine Mission, sicherzustellen, dass die gesamte Menschheit von KI profitiert. Das sehen die Nutzer bisher ebenso, wie die Nachfrage beweist.
Damit einhergeht, dass die Nutzung des ChatGPT kostenlos, benutzerfreundlich und 24/7-verfügbar ist. Die Nutzerzahlen werden weiterhin exponentiell steigen, ebenso wie der Lernmechanismus der künstlichen Intelligenz generell. Wahrscheinlich ist auch der letzte Punkt derjenige, der meine Angst im Hinblick auf künstliche Intelligenzen in eine Faszination übergehen ließ. Diese und ähnliche KI sind letzten Endes auf das Lernen des Menschen angewiesen, um optimal funktionieren zu können. Und gleichzeitig entwickeln sie sich stetig weiter.
Na, haben Sie herauslesen können, dass der letzte Absatz von der ChatGPT geschrieben wurde?
Dass die KI ihr eigenes Können und Schaffen nicht kritisch beleuchtet, weist einen großen Mangel auf. Es werden bloß jene Inhalte, obwohl eigenständig, reproduziert, die sie lernt. Tatsachen zu hinterfragen, wie wir Menschen es tun können, funktioniert nicht. Möglicherweise: noch nicht. Man sollte nicht alles, was die KI einem ausspuckt, ihr sofort abkaufen. Inwieweit beispielsweise der erhoffte Abbau an Schranken zwischen einzelnen Milieus voraussetzungslos geschehen kann, bleibt ungewiss. Die KI lässt an der Stelle unerwähnt, dass für die Nutzung des ChatGPT allein schon ein stabiler Zugang zum Internet Voraussetzung ist.
Wahr ist, dass ChatGPT uns viel Zeit und Arbeit sparen kann, aber bis sie sich eine reflektierende “Charaktereigenschaft“ zulegt, müssen wir uns immer noch unseres eigenen Verstandes bedienen und die Werke der KI manuell perfektionieren. Für mich ein Ansporn, an dieser Entwicklung angstfrei mitzuwirken.