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ProDeutscher Geschichtsunterricht ist zu eurozentrisch

Von Lisa Plank / 30. Juni 2021
picture alliance / imageBROKER | photorevolution

Im Geschichtsunterricht wird das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft gebildet. Hier könnten wir lernen, wie die Strukturen, in denen wir leben, entstanden sind und wie wir besser mit ihnen umgehen können. Nur geschieht genau das nicht.

Ende Mai verlautbarte das Bundesaußenministerium den Plan, den Völkermord an den Hereros und Nama in Namibia künftig als solchen zu benennen, sich beim namibischen Volk dafür zu entschuldigen und das Land mit Projekten im Wert von 1,1 Milliarden Euro für die Entwicklung und den Wiederaufbau zu unterstützen. Dieser Vorgang sei als „Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde“ zu verstehen, hieß es bedeutungsvoll. Der Haken dabei: Die wenigsten Deutschen wissen überhaupt von diesem Leid; die deutsche Kolonialgeschichte ist kein Teil unserer Erinnerungskultur.

Wie wenig Ahnung der Großteil der deutschen Bevölkerung über die einstige Kolonialmacht Deutschland hat, zeigt die mediale Aufarbeitung und die gesellschaftliche Debatte in Bezug auf das Versöhnungsabkommen mit Namibia. In journalistischen Artikeln zu dem Thema musste zunächst einmal daran erinnert werden, dass der heutige Staat im Südwesten Afrikas von 1884 bis 1918 als deutsches „Schutzgebiet“ deklariert und damit zu einer deutschen Kolonie degradiert worden war. Ein Blick in die Kommentarspalten sämtlicher sozialer Netzwerke verdeutlichte darüber hinaus vor allem Unwissen und daraus folgendes Unverständnis über die Übereinkunft zwischen beiden Regierungen.

Koloniales Erbe? Keine Ahnung!

Ich habe als Redakteurin bei einer deutschsprachigen Tageszeitung in Namibia gearbeitet und in der namibischen Hauptstadt Windhoek gelebt. Wenn ich Deutschen davon erzähle, fällt die Reaktion immer gleich aus: „Was, in Namibia spricht man Deutsch? Wieso denn das?“ Ja, in Namibia spricht man unter anderem Deutsch. Es gibt eine deutschsprachige Zeitung, deutschsprachige Radiosender und sogar deutsche Schulen. Und auch auf dem jährlichen Karneval oder dem Oktoberfest wird größtenteils Deutsch gesprochen. Das koloniale Erbe kann man in Namibia unmöglich ignorieren.

Dort ist man gezwungen, sich mit dem Kolonialerbe zu befassen. Denn anders als hier hat es sich als unauslöschlicher Teil des kollektiven Gedächtnisses eingebrannt. Dass sich die Deutschen dagegen weder dieser territorialen Machtausübung noch des von deutschen Truppen begangenen Genozids bewusst sind, liegt nicht nur an der geographischen Distanz zwischen beiden Ländern.

Wenn ich an meinen Geschichtsunterricht zurückdenke, kann ich mich nicht erinnern, dass dieser Genozid thematisiert wurde. Generell wurde die deutsche Kolonialgeschichte nur am Rande behandelt. In Bayern, wo ich mein Abitur gemacht habe, ist dieser Teil deutscher Geschichte zumindest kein eigener Punkt auf dem Gymnasiallehrplan. In der achten Jahrgangsstufe wird zwar das deutsche Kaiserreich und dessen imperialistisches Streben behandelt, dabei geht es jedoch mehr um die Situation in und die Auswirkungen auf Deutschland. Der Fokus liegt auf den europäischen kolonialisierenden Staatsmächten. Sofern Lehrkräfte also keine eigenen Schwerpunkte auf die Perspektive der kolonialisierten Gebiete legen, wird diese andere, nicht selten konträre Sichtweise nahezu gänzlich außer Acht gelassen. In anderen Bundesländern und Schulformen sieht es nicht besser aus.

Reduktion auf Selbstbezogenes

Wenig überraschend: Nicht nur in Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte wird im deutschen Geschichtsunterricht ein westlicher, eurozentrischer Blickwinkel eingenommen. Ein weiteres Beispiel für dieses Vorgehen findet sich auch in Bezug auf die Geschichte kommunistischer Regime. Was passierte etwa in China, bevor sich das Land marktwirtschaftlich öffnete? Wie sah das gesellschaftliche und politische Leben in der Sowjetunion abseits vom Wettrüsten des Kalten Krieges aus? Wie lebten die Menschen in Jugoslawien vor dem Krieg und wieso brach das Land zusammen beziehungsweise auseinander?

Der “normale“ Geschichtsunterricht bleibt hier noch immer Antworten schuldig. Über Konfliktfelder wie das Gefälle zwischen globalem Norden und globalem Süden oder zwischen kapitalistischen und kommunistischen Regimen, die nicht auf selbstbezogene Aspekte reduziert werden, muss man sich oft genug nach Schulschluss informieren.

Der deutsche Geschichtsunterricht ist meist zu oberflächlich, weil einseitig strukturiert. Lehrpläne konzentrieren sich häufig auf Geschehnisse in Westeuropa und den USA. Dabei bräuchte es etwa vonseiten der Bundesländer nicht unbedingt viel, um Vielfalt in der Betrachtungsweise historischer Ereignisse wenigstens zu ermöglichen. Denn Lehrpläne werden von den Kultusministerien der einzelnen Länder erstellt. Sie sind Mittel zum Zweck und sollen bildungspolitische Zielvorgaben umsetzen. Doch genutzt wird diese Chance kaum.

Ob aus der mangelhaften Thematisierung bestimmter Inhalte zwangsläufig struktureller Rassismus folgen muss, lässt sich nicht belegen. Die (anderswo) spürbaren Auswirkungen, wie im Fall deutsche Kolonialgeschichte, aber müssen erfahrbar gemacht werden. Vielleicht braucht es dazu mehr als Schulbücher und Dokufilme, mehr Begegnung und eine umsichtigere Auseinandersetzung. Das heißt aber auch: Geschichtsunterricht muss mehr Raum in der schulischen Bildung einnehmen.



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