ProDeutschland – Einwanderungsland!
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse vereinfachen. Gut so, denn für diesen Schritt ist es höchste Zeit. Im Alltag unübersehbar und im Bewusstsein der meisten sowieso längst angekommen: Deutschland ist ein Einwanderungsland
Die 2000er haben Deutschland verändert. In keinem Jahrzehnt zuvor sind laut offiziellen Statistiken so viele Menschen nach Deutschland eingewandert. Das hat mit der Flüchtlingskrise zu tun, aber nicht nur: So bleiben auch immer mehr ausländische Studenten nach ihrem Studium hier. Für Leute wie sie, mit Universitätszertifikaten, und Menschen mit Berufsabschlüssen ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz gedacht und gemacht; sie sollen damit die Anerkennung erhalten, die sie verdienen. Doch wenn Deutschland langfristig seine Renten- und Arbeitsmarktsituation in den Begriff bekommen will – und muss –, darf diese Form der Anerkennung nur der Anfang sein.
Zu Gast bei ungastlichen Menschen?
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vereinfacht es Menschen aus Nicht-EU-Staaten, mit ihrem Berufsabschluss auch in Deutschland ihrer Arbeit nachzugehen – insbesondere wenn sie diese schon im Ausland gefunden haben. Das sind gute Neuigkeiten. Doch in Deutschland angekommen, sehen sich viele mit neuen Schwierigkeiten konfrontiert. Nicht erst seit dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau haben Menschen, die von deutschen Bürgern mit “Kartoffelmentalität“ als ausländisch wahrgenommen werden, das Gefühl, hier nicht anerkannt und schon gar nicht willkommen zu sein.
Während es in Kanada, dem Paradebeispiel für gelingende Einwanderung, neben den staatlichen Stellen auch viele zivile Akteure gibt, die Zugewanderten bei ihrer Ankunft, ihrer Eingliederung in die Gesellschaft und bei der Jobsuche helfen, gibt es in Deutschland oft nur den demütigenden Gang zur wenig einladenden Ausländerbehörde und zur Agentur für Arbeit, um stapelweise Anträge auszufüllen, die den ausländischen Arbeitskräften oft nur für ein paar Monate einen sicheren Aufenthalt garantieren, sie aber ansonsten komplett alleine lassen. Zwar gibt es auch in Kanada eine Liste an Berufszweigen, die bevorzugt werden und in deren Fällen sich schneller eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung ergattern lässt. Aber generell ist das System dort darauf ausgerichtet, Immigranten langfristig in die Gesellschaft aufzunehmen. Den ausländischen Arbeitskräften in Deutschland wird dagegen noch immer vielerorts vermittelt, dass man zwar ihre Arbeitskraft braucht, aber ihre sonstige Anwesenheit und etwa kulturelle Beiträge im Grunde nicht will.
Willkommenskultur wiederbeleben
Neben Gesetzen braucht es ein Umdenken, das nicht nur zwischen den Zeilen zur Geltung kommen darf. Mit der formellen Anerkennung (beruflicher Abschlüsse) allein ist es nicht getan: Es müssen Sprach- und Integrationskurse folgen. Mentoring- und „Buddy“-Programme helfen dabei nicht nur den Menschen, die erstmals nach Deutschland kommen, sondern auch denen, die bereits in Deutschland leben.
Im Jahr 2015 haben wir Deutsche für kurze Zeit gezeigt, dass auch wir gemeinschaftlich das leisten können, was Kanada und andere engagierte Einwanderungsgesellschaften tagtäglich umsetzen: die Schaffung einer positiven Einwanderungskultur. Denn diese ist nicht nur die Grundlage für ein funktionierendes Gesellschaftssystem im 21. Jahrhundert, in Zeiten anhaltender Globalisierung. Sie sollte schlicht im Interesse aller sein, vor allem derer, die auch noch in zehn Jahren staatliche Rente beziehen möchten.
Gäste, die wieder gehen sollen
Zu lange haben wir uns vorgemacht, dass ausländische Arbeiter lediglich Gäste seien. Daher rührt auch der irreführende Begriff der Gastarbeiterschaft. Vielfach war von Gästen die Rede, die genauso schnell, wie sie unserem Ruf zum Arbeiten folgten, auch bitte wieder gehen sollten. Diese Zeiten sind zwar vorbei, doch selbst steigende Geburtenraten und ein immer höheres Renteneintrittsalter können den Mangel an Krankenpflegern, Lehrern und IT-Spezialisten in Deutschland langfristig nicht ausgleichen.
Wenn die bestehende Zuwanderung jetzt nicht in die richtigen Bahnen gelenkt wird, werden auf Dauer immer mehr dysfunktionale Parallelstrukturen geschaffen: Schon heute arbeiten und organisieren sich viele Migranten in informellen Netzwerken mit gleicher ethnischer Herkunft oder gründen Unternehmen und Geschäfte, Cafés oder Supermärkte für Menschen desselben Kulturkreises. Wo man „unter sich“ bleibt und Inklusion von niemandem mehr angestrebt wird. So entstehen nicht nur Parallelgesellschaften und im Zweifel Clangebilde. Es wird auch einfach viel Potential verschenkt, auf das wir laut Gesetzgeber nicht mehr verzichten können.
Potenziale aktivieren
Dabei geht es gar nicht so sehr um einzelne Gesetzestexte. Viel Potential in und für Deutschland liegt derzeit brach, weil wir uns nicht entscheiden können, wer oder was wir sein wollen. Es gibt viele Menschen, die schon lange in Deutschland leben und große Probleme haben, mit ihren ausländischen Abschlüssen an eine entsprechende Arbeitsstelle zu kommen. Sie sind nicht selten dazu verdammt – vor allem, wenn sie einen Flüchtlings- oder Duldungsstatus haben – den ganzen Tag tatenlos herumzusitzen. Ein Paradoxon angesichts der dringend benötigten Arbeitskräfte! Sicher, es gibt erhebliche Sprachbarrieren, denen man mit konkreten Maßnahmen beikommen müsste, bevor an eine berufliche Tätigkeit überhaupt zu denken ist. Aber das Ziel ist offensichtlich: ein angemessener Grundwortschatz. Das Mittel: auf Arbeitsbereiche fokussierte Deutschkurse. Wieso tut sich hier so wenig, wenn die Problemlösung so klar ist?
Zu lange drehte sich das eher biedere (West-)Deutschland seit dem Wirtschaftswunder um sich selbst. Das hat dazu geführt, dass in vielen Wirtschaftsbereichen nicht zukunftsorientiert genug gedacht wurde, man als entwickeltes Land trotz erfolgreicher Industrien vielfach hinterhergehinkt ist. Man schaue sich nur die Mobilfunkversorgung oder die Digitalisierung im Allgemeinen an. Gleiches gilt für die kulturelle Einstellung gegenüber eingewanderten „Gastarbeitern“. Menschen mit anderen Erfahrungen bringen neue Ideen und Herangehensweisen mit – und ja, sie verändern damit die Gesellschaft. Ihnen darum den Stellenwert in der Gesellschaft beizumessen, der ihnen zusteht, heißt, sie nicht nur beruflich anzuerkennen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist dafür ein notwendiger, aber nicht hinreichender erster Schritt.