ProIm Gespräch bleiben
Rechtsextreme sind oft Teil von festen sozialen Strukturen, die sich nicht so leicht aufbrechen lassen. Damit sie den Weg zurück zu demokratischen Einstellungen finden, müssen wir zum Austausch bereit sein.
Unsere Gesellschaft polarisiert sich zunehmend, wir kommen mit unserem Gegenüber in vielen Dingen nicht mehr auf einen Nenner. Solche Meinungsverschiedenheiten beginnen bei Kleinigkeiten im Alltag und reichen bis hin zu politischen Gesinnungen und Ideologien. Hier stellt sich dann mitunterdie Frage: Sollte man sich beispielsweise mit Rechtsextremen austauschen, um sie zum Nachdenken anzuregen und vielleicht sogar umzustimmen?
Meiner Meinung nach: definitiv. Rechtsextremismus ist ein ernstzunehmendes Problem in unserer Gesellschaft. Letztes Jahr wurden laut Statista rund 40.600 Personen in Deutschland als rechtsextrem eingeschätzt; die Anzahl hat sich seit 2018 nahezu verdoppelt (2018 waren es 24.100). Die Tatsache, dass mehr als ein Drittel von ihnen als gewaltorientierte Rechtsextremisten eingestuft werden, verschärft die Situation.
Allerdings ergab die Umfrage des ARD Deutschland Trend, dass der Gesamtanteil der Rechtsextremen in der Bevölkerung per se nicht gestiegen sei. Vor der Gründung der AfD haben wissenschaftliche Studien bereits über Jahre hinweg zeigen können, dass es durchaus einen hohen Anteil an rechtsextremen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung gibt. Diese Erkenntnis spiegelte sich bis dahin nicht in den Wahlergebnissen von rechtsextremen Parteien wider. Durch die Entstehung der AfD und Krisen wie die Flüchtlingskrise in Europa 2015/2016 oder die Corona-Pandemie änderte sich das. Viele würden nun nach ihren Überzeugungen handeln, die sie insgeheim schon länger hatten, so das Ergebnis der Studien. Ein erheblich großer Anteil der AfD-Wähler hat zwar ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, aber es sind bei weitem nicht alle. Rechtsextreme haben häufig ambivalente politische Meinungen und handeln nicht immer so, wie es ihre Überzeugungen vermuten lassen. Dadurch schätzten sich einige Vertreter:innen vor der Gründung der AfD oft als politische Mitte ein und wählten entsprechend. Deshalb macht es durchaus Sinn, trotz verschiedener Meinungen in den Dialog zu treten, zu argumentieren und zu deeskalieren. Vielleicht können wir diese Leute zurückgewinnen.
Rechtsextreme aus ihrer Filterblase holen
Unsere politischen Einstellungen und Orientierungen werden schon in der Kindheit und Jugend durch unser soziales Umfeld geprägt; ob es der Freundeskreis, das Elternhaus oder der Medienkonsum ist. Im Jugendalter sind wir am stärksten beeinflussbar und das machen sich rechtsextreme Gruppen und Parteien zunutze, indem sie Veranstaltungen wie Konzerte oder Partys anbieten. Die Jugendlichen schließen sich den rechtsextremen Gruppen weniger aus politischen Gründen an, vielmehr ist es der Wunsch nach Zugehörigkeit und Orientierung. Durch die darauffolgende gesellschaftliche Ablehnung und Ausgrenzung werden die Jugendlichen noch abhängiger von der Anerkennung dieser Gruppe. Sie würden fast alles tun, um sich deren Unterstützung zu sichern, befürchten Psycholog:innen/ Beobachter:innen(?). Der Weg zurück und ein damit verbundener Ausstieg erscheinen immer schwieriger.
Wenn Rechtsextreme sich nur mit Gleichgesinnten umgeben, befinden sie sich praktisch dauerhaft in einer Filterblase; das gilt nicht nur offline, sondern auch online. Die Algorithmen der sozialen Medien können Rechtsextreme weiter in ihrem Denken bestärken, indem sie passenden Content ausspielen. Gerade deshalb ist der Austausch mit Menschen außerhalb dieser Gruppe essenziell. Durch diesen Meinungsaustausch können bereits kleinste Zweifel bei Rechtsextremen aufkommen, die zum Hinterfragen und Umdenken verleiten.
Unterstützung anbieten
Axel Reitz (bekannt als der „Hitler von Köln“), Manuel Bauer oder Christian Ernst Weißgerber sind nur einige Erfolgsbeispiele dafür, dass der Dialog mit Außenstehenden und Initiativen wie EXIT-Deutschland entscheidend für einen Ausstieg aus der rechtsextremen Szene sein kann. Alle drei schlossen sich in ihrer Jugend, auf der Suche nach Halt und Zugehörigkeit, einer rechtsextremen Gruppe an. Schließlich schafften sie den Ausstieg – aber nur mit Unterstützung. Denn selbst wenn man über einen Ausstieg nachdenkt, benötigt man Hilfe von außen. Meist hat man nicht nur keinen Kontakt mehr zum früheren Umfeld, sondern erfährt auch Druck und Bedrohung durch andere Mitglieder der rechtsextremen Gruppe.
Natürlich gibt es keine Garantie, dass ein solches Gespräch Erfolge nach sich zieht. Aber allein das Aufeinandertreffen verschiedener Meinungen vermittelt Rechtsextremen, dass sie gehört, aber nicht alle ihre Ansichten geteilt werden. Hierdurch wird ihnen die Illusion genommen, ihre Einstellungen entsprächen der der Mehrheit. Ein Dialog sollte idealerweise in einem geschützten Raum stattfinden, in dem beide Seiten respektvoll miteinander umgehen können. Denn Gespräche, die darauf abzielen, extremistisches Denken zu hinterfragen, lösen bei den Beteiligten nicht selten Stress und verbale Aggressionen aus. Daher ist eine professionelle Moderation oder Begleitung durch Expert:innen sinnvoll, um Konflikte zu entschärfen und eine produktive Diskussion zu ermöglichen. Neben dem Dialog sollten auch präventive Maßnahmen ergriffen werden, um die Entstehung von Rechtsextremismus und Radikalisierung zu verhindern. Schulen könnten beispielsweise Programme fördern, die Medienkompetenz stärken und den Umgang mit Fake News und extremistischer Propaganda vermitteln.
Wenn sich eine Person schon längst einer rechtsextremistischen Gruppe angeschlossen hat, sollten beide Seiten offen für ein Gespräch sein. Außenstehende können ehemalige Rechtsextremist:innen bei der Reintegration in die Gesellschaft unterstützen. Schließlich hat jeder das Recht darauf, seine Ansichten über die Zeit hinweg zu ändern.