ContraLaizismus darf nicht zu Intoleranz führen
In Deutschland gibt es keine Staatskirche. Diese Regelung hat ihren guten Grund. Niemand sollte aufgrund seines Glaubens oder Nichtglaubens Benachteiligung erfahren. Staatliche Neutralität, die in der Verbannung des Glaubens aus dem öffentlichen Raum besteht, ist allerdings kontraproduktiv.
Anfang November fand das G7-Ministertreffen im sogenannten Friedenssaal in Münster statt. Ein symbolträchtiger Ort mitten in Zeiten des Ukrainekriegs. 1648 wurde in diesem Saal der Westfälische Frieden geschlossen, der das Ende des Dreißigjährigen Krieges besiegelte.
Eine Veränderung des Inventars im Vorfeld des Treffens sorgte für Aufsehen: Das Kreuz wurde entfernt. Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich überrascht, die Irritationen bei Bevölkerung und Religionsvertreter:innen waren groß.
Am Friedenssaal wird deutlich: Eine weltanschaulich wenig neutrale Vergangenheit delegitimieren zu wollen, ist ein absurdes Unterfangen. Es gibt keine deutsche Geschichte ohne Religion und Glauben, selbst in der Präambel des Grundgesetzes wird auf Gott verwiesen. Dies auszublenden, erscheint wie eine Geschichtsverleugnung.
Von Kirchensteuer bis zum Religionsunterricht
Wie sieht es in der Gegenwart aus? Der deutsche Staat ist insbesondere mit den Landeskirchen vielfach verwoben. Das Finanzamt erhebt die Steuern für sie. Auch wenn die Kirchen für diesen Service bezahlen, stellt sich die Frage, warum diese Aufgabe beim Staat liegen muss.
Genauso bedenkenswert erscheint, dass der Staat bis heute Entschädigungszahlungen an die Kirchen wegen abgetretener Gebiete Anfang des 19. Jahrhunderts zahlt. Der Geldbetrag hierfür beläuft sich auf ca. eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.
Fakt ist aber auch, dass Kirchen insbesondere durch Diakonie und Caritas viele Leistungen erbringen, die elementar für einen funktionierenden Sozialstaat sind. Ob Obdachlosenwohnheim, Krankenhaus oder Altenheim – die sozialen, kirchlich institutionalisierten Träger erfüllen Funktionen, deren Erhalt im Sinne eines weltanschaulich neutralen, aber eben nicht laizistisch organisierten Staates liegt.
Der Religionsunterricht bildet eine weitere Schnittstelle von Staat und Kirche. Er ist in Artikel 7 des Grundgesetzes als Lehrfach an öffentlichen Schulen vorgeschrieben. Religionslehrer:innen benötigen dafür eine Lehrerlaubnis von der Kirche. Atheist:innen können das kritisch sehen. Andererseits darf kein Kind in Deutschland zum Religionsunterricht gezwungen werden. Zudem ist es realitätsfern anzunehmen, dass es sich bei dieser Form des Unterrichts um eine dogmatische Indoktrinationsveranstaltung handele. Weder hat die Kirche diese Macht noch übt sie sie aus. Religionsunterricht bietet schlicht die Möglichkeit einer Beschäftigung genauso wie die teils kritische Auseinandersetzung mit der eigenen und anderen Religionen.
Der persönliche Glaube ist ein wertvolles Gut
In Deutschland darf grundsätzlich jede:r seinen Glauben selbst bestimmen und sich dazu bekennen. Dies bezeichnet man auch als positive Religionsfreiheit, in Abgrenzung zur negativen Religionsfreiheit. Diese hält fest, dass niemand zu einem Glauben oder zu einer Teilhabe einer Religionsgemeinschaft gezwungen werden darf.
Das Land Berlin schränkte 2005 die positive Religionsfreiheit für Beschäftige im öffentlichen Dienst ein. Das sogenannte Neutralitätsgesetz sieht vor, dass in Bildung, Justiz und bei der Polizei keine religiösen Symbole getragen werden dürfen. Eine Lehrerin darf beispielsweise keine Kette mit einem Kreuz daran tragen oder ein Kopftuch. 2015 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass ein generelles Kopftuchverbot bei muslimischen Lehrer:innen verfassungswidrig sei und man im Einzelfall entscheiden müsse, ob der Schulfrieden durch die Kopfbedeckung gefährdet werde. Wie es mit dem umstrittenen Neutralitätsgesetz weitergeht, wird noch in Karlsruhe entschieden.
Der politisch brisante Fall belegt indes, dass Diskriminierung unter dem Vorsatz der Neutralität eine reale Gefahr bedeutet. Der Staat verhält sich nicht neutral, wenn er weltanschauliche Bekenntnisse unterdrückt. Er sollte sich nicht mit einer Weltanschauung gemein machen, aber er sollte Raum für das öffentliche Koexistieren verschiedener Religionsgemeinschaften bieten.
Glaube prägt die Persönlichkeit und die Identität eines Menschen zutiefst. Der Zwang, seine symbolischen Glaubensbekenntnisse abzulegen, fördert nicht ein Miteinander, in dem Unterschiede als etwas Positives gesehen werden. Vor allem bei Lehrer:innen, die Kinder und Jugendliche zu einem toleranten Umgang in unserer multikulturellen Gesellschaft erziehen sollen, ist es ein falscher Ansatz, ausgerechnet in der Schule einen religionsfreien Raum zu schaffen.
Sonderregeln in Bayern
Weit entfernt von der Berliner Neutralität ist übrigens Bayern. Im Freistaat sind Kruzifixe in Klassenräumen, beim Arzt oder bei Gericht so selbstverständlich wie nirgendwo sonst in der Bundesrepublik.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) setzte eine Verwaltungsvorschrift durch, nach der im Eingangsbereich jedes Dienstgebäudes ein Kreuz anzubringen sei. Söder begründete diesen Schritt mit der „geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“.
Die Lebensrealitäten in Bayern und Berlin könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie zeigen auf jeweils eigene Weise: Es ist weder die Aufgabe des Staates religiös-weltanschauliche Unterschiede auszuradieren noch zu verstärken. Der einzige Auftrag eines toleranten Gemeinwesens besteht darin, diese Unterschiede anzunehmen und wertzuschätzen.