ContraEine Vier-Tage-Woche ist illusorisch
Ein neues Gesetz einzuführen, das einen Werktag herauskürzt, ist unrealistisch. Denn die deutsche Industrie befindet sich in einem Rekordtief.
Die Deutschen verstehen unter einer Vier-Tage-Woche das Arbeitszeitmodell, das die üblichen acht Stunden Arbeitszeit nur noch an vier Werktagen einfordert. In einem so verstandenen Fall würden Arbeitnehmer 32-Stunden pro Woche arbeiten: Weiterhin acht Stunden täglich, aber eben nur an vier Tagen. Dieses Modell, sagen Experten verschiedener Richtungen, wird nicht funktionieren. Hauptsächlich, weil viele Wirtschaftszweige, insbesondere die produzierende Industrie, immense Gewinneinbußen verkraften müssten. Zusätzlich auch, weil es Berufe wie den Pflegeberuf, die Polizei oder die Krankenhausbelegschaft gibt, die an sieben Tagen pro Woche verfügbar bleiben müssen – und sich ungerecht behandelt fühlen würden. Denn für sie wäre wegen des Fachkräftemangels eine Vier-Tage-Woche sehr schwer umzusetzen.
Eine andere Möglichkeit wäre, die Vier-Tage-Woche so zu definieren, dass dieselbe Arbeitszeit – sagen wir nach wie vor 40 Stunden – eben an vier Tagen erbracht wird. An drei Tagen stünden dann Erholung, liegengebliebener Haushalt und Zeit für Beziehungen an. Eine schöne Vorstellung, doch auch das ist aktuell nicht mit der wirtschaftlichen Realität zu vereinbaren. Denn die Wirtschaft in Deutschland stagniert. Deswegen braucht Deutschland mehr und nicht weniger Arbeitsstunden.
Die Wirtschaft wächst seit 30 Jahren nur minimal
Beim Blick auf die Daten des Statistischen Bundesamts vom 1. Juni 2023 gilt: „Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ist von 1950 bis 2022 im Durchschnitt 3,1 Prozent pro Jahr gewachsen.“ In der dazugehörigen Grafik zum Wirtschaftswachstum erkennt der Beobachter schnell: In den letzten 30 Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft im Durchschnitt nur noch rund 1,5 Prozent pro Jahr – davor hatte das Amt die phänomenalen Wachstumsraten der 1950er und ‘60er Jahre einkalkuliert.
Gemessen am preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) gilt also ein deutsches Wirtschaftswachstum von Pi mal Daumen 1,5 Prozent – das weiter sinkt. Zur Verdeutlichung eine Aufzählung des BIP der vergangenen Jahre: 2018 und 2019 lagen sie bei den für diese Dekade üblichen 1 Prozent und 1,1 Prozent – und die vergangenen beiden Jahre sogar bloß bei minus 0,3 Prozent und minus 0,2 Prozent.
Seit Staatsgründung erstmals strauchelnde Industrie
Derzeit zeigt der Blick auf die deutsche Industrie, die als Flaggschiff für deutschen Wohlstand gilt, zahlreiche Massenentlassungen bei Großkonzernen. Es wackeln unter anderem Bosch, Miele, Thyssenkrupp Steel, VW- und Tesla-Stellen in Deutschland. Bei jedem dieser Konzerne droht bis zu 10.000 Mitarbeitenden eine Kündigung. Zur Klärung: Das deutsche Wirtschaftswachstum beruhte in den (letzten?) 30 Jahren zu immerhin 30 Prozent auf Erträgen aus dem Industriesektor. Und gerade im Industriesektor würde eine Vier-Tage-Woche bei den meisten Fließband-Unternehmen katastrophal zu Buche schlagen. Denn weniger Stunden am Fließband bedeutet automatisch weniger industrielle Produkte – ungleich dem Dienstleistungssektor, in dem Kunden einfach an vier Tagen statt an fünf Tagen eingebucht würden.
Überdies ringt der industrielle Sektor mit Chinas Aufstieg: In Fernost ist man eher auf E-Mobilität, günstigere Chips, billigere Espressomaschinen etc. umgestiegen, überdies ist der Nachfragemarkt mit über 1,4 Milliarden Menschen (Stand: 2018) dort fast dreimal so groß wie in Europa, das nur 448 Millionen Einwohner zählt (Stand: 2023). Kein ernstzunehmender Industrieller wäre wohl in diesem Jahrzehnt bereit, eine Vier-Tage-Woche einzuführen.
Diskussionen um eine Vier-Tage-Woche vernachlässigen die Praxis
Es klingt zudem schön und gut: Durch eine Vier-Tage-Woche könnten zahlreiche Unternehmen mehr Fachkräfte anlocken. Die Fehltage würden reduziert. Die Erkrankungen der Mitarbeitenden – Burnout, Rückenprobleme, Depressionen – gingen vermutlich zurück. Weniger Ausgaben für die Kinderbetreuung und das Pendeln fielen an. Und tatsächlich: Eine Stellenanzeige mit dem Schlagwort „Vier-Tage-Woche“ scheint laut Informationen des Journalisten Jan Klauth tatsächlich eine Versechsfachung an Bewerbern zu bewirken (Stand: 2023). Doch dieses Lockmittel geht wohl an der Praxis vorbei: Siemens berichtete, dass das bestehende Modell zur Vier-Tage-Woche wenig genutzt werde. Grund könnte unter anderem sein, dass Feiertage, die auf einen arbeitsfreien Tag fallen, nicht ausgeglichen und (sogar mit Zuschuss) bezahlt werden. Ähnlich gibt es bei weniger Arbeitstagen in der Regel auch weniger bezahlte Urlaubstage. Arbeitnehmer müssten also Gehaltseinbußen in Kauf nehmen, die sich viele nicht leisten können.
Der Arbeitgeberverband Stahl gibt beispielsweise an, bereits kürzeste Arbeitszeiten bei, nach eigenen Angaben, höchst möglichem Lohn zu bieten – und bei aktuellem wirtschaftlichem Tiefstand eine solche anhaltende Debatte nicht nachvollziehen zu können, so Verbandsprecher Gerhard Erdmann.
Bislang fragwürdige Unternehmenstests
Auch zeigten bisherige Versuche zur Vier-Tage-Woche in anderen Ländern keine aussagekräftigen(?)Studienergebnisse. Es handelte sich überwiegend um lose Versuche ohne glaubhafte Kontrollgruppe. Methodisch geben einzelne Versuchsautoren sogar zu, keine Kontrollgruppe geführt zu haben und auf ein an der Studie nicht-teilnehmendes Unternehmen als Vergleichsgruppe ausgewichen zu sein. Wie aussagekräftig ist solch ein Vorgehen? Zum anderen scheinen die Versuche weltweit von einem Unternehmer-Duo, Andrew Barnes und Charlotte Lockart, initiiert zu werden. Der eine ist Investmentunternehmer, die andere führt eine Spendenplattform und Weinhandlungen. Keine gute Kooperationslage für Studien, die die Universität Cambridge und das Boston College als „ausführende“ Forschungszentren angeben. Ohne profunde Studienergebnisse wäre eine Vier-Tage-Woche in Deutschland ein gewagter Blindflug. Insgesamt ist die Vier-Tage-Woche also illusorisch.