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DebatteSind demokratische Protestformen passé?

Von Helen Arling / 30. November 2023
picture alliance / NurPhoto | John Nacion

Proteste, wohin man nur blickt. Die Klimabewegung setzt auf zivilen Ungehorsam, Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt werden von Ausschreitungen begleitet und moderne Kommunikationsmittel ermöglichen eine immer größere Vielfalt an Protestformen. Leben wir in einem neuen Protestzeitalter?

Ob Gewerkschaftsstreiks oder Klimademos: Protest ist ein Spiegel wichtiger Themen unserer Zeit. In einer demokratischen Gesellschaft hat er einen hohen Stellenwert. Nicht umsonst ist die Versammlungsfreiheit in Artikel 8 unseres Grundgesetzes verankert.

Doch demokratischer Protest hat viele Gesichter. Neben den klassischen Demonstrationen fallen Aktionen wie Kundgebungen oder Unterschriftensammlungen darunter. Zuletzt waren Auslöser medienwirksamer Proteste in Deutschland vor allem Maßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie, das Regierungsverhalten in Bezug auf den Klimawandel, immigrationsbezogene Themen und die Black Lives Matter-Bewegung. Auch der Nahostkonflikt bietet aktuell Anlass zu Protesten, welche nicht immer friedlich verlaufen.

Deutschlands Protestbewegungen im letzten Jahrhundert

Aus historischer Sicht waren die 1960er-Jahre eine besonders bedeutsame Zeit für die deutsche Demonstrationskultur. Zu dieser Zeit gingen weltweit insbesondere Studierende gegen den Vietnamkrieg auf die Straße. Die deutsche Studentenbewegung der 60er kritisierte daneben die fehlende politische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. In den 70er Jahren standen Frauenrechte ganz oben auf der Agenda. Rund ein Jahrzehnt später wurden Atomkraft und Nachrüstung im Kalten Krieg Gegenstand einer neuen Welle an Protesten.

Der Fall der Mauer zwischen West- und Ostdeutschland im November 1989 war ebenfalls gewissermaßen die Konsequenz einer Protestbewegung. Vom 4. September desselben Jahres bis zum Datum des Mauerfalls fanden wöchentlich die sogenannten Montagsdemonstrationen statt. Tausende DDR-Bürger*innen demonstrierten für Reisefreiheit und ein Ende der SED-Herrschaft. Es kam zu einem friedlichen Umschwung – und schließlich zur Wiedervereinigung.

Auch außerhalb Deutschlands schrieb so mancher Protest Geschichte. Man denke an die Französische Revolution oder Rosa Parks Busboykott von Montgomery für die schwarze Bürgerrechtsbewegung und an den Arabischen Frühling oder die momentanen Proteste im Iran.

Wer protestiert wie und wofür?

Bilder und Berichte von Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Demonstrationen kursieren überall. Werden Proteste insgesamt immer gewalttätiger? Die Studienlage für Deutschland spricht dagegen. Laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung gehen konfrontative und gewaltförmige Proteste seit Ende der 1990er Jahre zurück.

Inhaltlich dreht sich politischer Protest seit circa einem Vierteljahrhundert um das Thema Immigration. Doch gewinnen Umweltthemen maßgeblich an Bedeutung.

Nicht nur die thematischen Schwerpunkte der Demonstrationen in Deutschland haben sich mit der Zeit gewandelt, sondern auch deren Akteur*innen. Mit der Friedensbewegung der 1980er wurde politischer Protest erstmals Sache der breiten Masse. Im Rahmen der Fridays for Future-Bewegung spiegelt sich dieser Trend wider. Hier gehen Schüler*innen Seite an Seite mit den Omas for Future auf die Straße.

Digitaler Protest befindet sich ebenfalls im Aufschwung: von Petitionen bis zu Shitstorms in den sozialen Medien. Ersetzen wird er die Straßenproteste eher nicht – dafür hat sich diese Protestkultur zu sehr durch ihr Potenzial zur Aufmerksamkeitserregung etabliert.

Wie weit darf demokratischer Protest gehen?

Doch wo ist die Grenze des demokratischen Protestes erreicht? Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt.

Ziviler Ungehorsam, also bewusster Bruch rechtlicher Normen als Zeichen des Widerstands, hat zuletzt im Rahmen von Klimaprotesten neuen Aufwind erlebt. Insbesondere die Blockadeaktionen der Letzten Generation wurden vielerorts diskutiert. Über deren Rechtswidrigkeit urteilten Gerichte teils unterschiedlich. Laut Statista heißen in Deutschland nur 18 Prozent der Bürger*innen Straßenblockaden als Demonstrationsmittel gut. Kritiker*innen befinden: Klimaproteste wie die der Letzten Generation träfen die Falschen und trügen zu einer Spaltung der Gesellschaft bei.

Politikwissenschaftler Christian Volk hingegen erklärte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass zukünftige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu führen könnten, dass derartige Formen des zivilen Ungehorsams als gerechtfertigt gelten. Und ein Blog-Beitrag der Letzten Generation stimmt ein. Überschrift einer Streitschrift: „Wie ziviler Ungehorsam zur Identitätsbildung mündiger Bürger*innen beiträgt“.

Bereits im Rahmen der Covid-19-Pandemie galt es, die Tragweite der Versammlungsfreiheit immer wieder neu auszuloten. Ein pauschales Versammlungsverbot kam hier rechtlich nicht in Frage, schwierige Einzelfallabwägungen beschäftigten Justiz und Verwaltung umso mehr.

Am Ende steht fest: Protest und Protestformen entwickeln sich und müssen immer wieder neu gesellschaftlich verhandelt werden. Protest macht auf Missstände aufmerksam, er kann zusammenschweißen, aber in jedem Fall beeinflusst er Politik und Gesellschaft.



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