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DebatteSollen Innenstädte für Autos tabu sein?

Von Hannah Jäger / 31. Januar 2023
picture alliance / Jochen Eckel | Jochen Eckel

Stau, Smog und Stress: Immer mehr Autos rollen auf deutschen Straßen und sind vielen ein Dorn im Auge. Bis zum kurzzeitigen Stillstand in der Pandemie. Seitdem wird in immer mehr Städten über autofreie Innenstädte diskutiert.

500 Meter Diskussion. Kein Autolärm, keine Parkplätze, dafür mehr flanierende Menschen, Cafés, Kunstflächen und mehr Grün. Das 500 Meter lange Teilstück der Friedrichstraße in Berlin wurde testweise seit 2020 immer mal wieder für den Autoverkehr gesperrt. Die Landesregierung wollte damit die Mobilitätswende erfahrbar machen. Dann klagte eine ansässige Ladenbesitzerin gegen das Modellprojekt „Flaniermeile Friedrichstraße“ – und bekam Recht. Die Sperrung wurde aufgehoben. Ein Beispiel von vielen Gegenbewegungen zur Verkehrswende. Doch seit dem 30. Januar ist die Straße wieder für Autos gesperrt.

Hitzige Debatte unter Zeitdruck

Die Debatte um autofreie Innenstädte wird hitzig und emotional geführt. Und sie wird gleichzeitig dringlicher, da der Verkehrssektor weit hinter seinem eigenen Ziel zur CO2-Reduzierung bis 2030 zurückliegt. Im Sommer 2021 starteten mehrere Kommunen Versuche, Innenstädte wenigstens autoärmer zu gestalten. Volksbegehren und Initiativen für gänzlich autofreie Innenstädte wurden meist von Gerichten gestoppt.

Städte wie Paris, Barcelona oder Ljubljana machen es vor: Sie verbannen Autos an den Stadtrand und schaffen grüne Innenstädte – lebenswerter für die Einwohner und attraktiv für Touristen, heißt es. Auch in Deutschland gibt es aus Sicht der Auto-Gegner solche Best-Practice-Beispiele wie die Nordseeinseln, die motorfrei sind, und autofreie Viertel in Hamburg, Bielefeld, Berlin oder Wuppertal.

Autoarm ist die Version light der autofreien Stadt

Zur Verkehrswende gehören in Berlin Quartiersgaragen, also gemeinschaftlich genutzte, gebündelte Garagenkomplexe. Anwohner sollen nicht mehr auf der Straße, sondern dort parken können. Aber auch Tempolimits, extra-teure Parkplätze, City-Mauts, ein günstiger öffentlicher Nahverkehr oder Popup-Radwege sollen den Verkehr weg vom privaten Kraftfahrzeug steuern.

Dabei geht es den Verfechtern um viel mehr. Eine Stadt ohne Autoverkehr (bis auf Rettungswagen, Polizei und für Transportmittel für bewegungsbeeinträchtigte Menschen) sei nicht automatisch lebenswerter. Es brauche zusätzlich einen gut ausgebauten Nahverkehr (auch in die meist schlecht angebundenen Vorstädte) und genug Fahrradparkhäuser.

Sicher, grün und eine hohe Lebensqualität

Vor allem Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen fordern, dass Autos künftig aus dem Stadtbild verschwinden sollen. Unterstützt werden sie von den Grünen, der SPD und den Linken. Dabei argumentieren sie mit der Flächengerechtigkeit, die nicht eingehalten werde, weil Autos auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer zu viel Platz bräuchten.

Die Initiative „Berlin autofrei“ betont: „Die Klimakrise rast auf uns zu und es sterben weiterhin viel zu viele Menschen im Straßenverkehr.“ Befürworter beziehen sich auf wissenschaftliche Berechnungen, wie die der Agentur European Environmental Agency, die 2019 an die 300.000 Todesfälle in der EU auf Feinstaub zurückführen konnte. Der Verkehr habe daran einen Anteil von 27 Prozent. Die Schlussfolgerung: Menschen sterben nicht nur im, sondern auch am Straßenverkehr. Weshalb es für die Gesundheit der Bürger und für die Umwelt notwendig sei, den Autoverkehr maßgeblich zu verringern oder gar abzuschaffen.

Verkehrsforscher Weert Canzler erklärt, dass eine Umstellung auf Elektroautos nichts bringe: Sie nähmen trotzdem Platz in Städten weg, obwohl ein Auto im Schnitt täglich nur 50 Minuten bewegt werde. Ann-Kathrin Schneider, Bundesgeschäftsführerin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs fordert: „Das Straßenverkehrsgesetz muss modernisiert werden.“

Ausgrenzendes grünes Elitenprojekt auf Kosten der Wirtschaft

Die Gegenseite der autofreien Stadt, zum Teil vertreten durch CDU/CSU, FDP, AfD und nicht zuletzt die Autolobby, ist medial deutlich lauter unterwegs. Mobilität gilt ihnen als selbstbestimmtes Grundbedürfnis. Sie bezeichnen die „Öko-Utopie“ als ausgrenzendes Elitenprojekt. Ausgrenzend, da Menschen mit Bewegungsbeeinträchtigungen sowie ältere Menschen oft auf das Auto angewiesen sind. So überrascht es nicht, dass in einer repräsentativen Umfrage des Tagesspiegel, vor allem über 65-Jährige sich gegen autofreie Städte positionieren.

Auch Einzelhändler haben Angst, an Kundschaft zu verlieren; Taxifahrer fürchten finanzielle Einbußen. Pendler kritisieren, deutlich mehr Zeit für ihren Arbeitsweg zu brauchen. Handwerker und Transportunternehmer werden ohnehin weiter auf das Auto angewiesen sein, ebenso wie Menschen aus ländlichen Gebieten. Deshalb sieht Berlins regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den Kompromiss in klimafreundlichen Autos. Ein völlig autofreies Berlin sei wirklichkeitsfremd. „Angebote statt Verbote – das muss die Devise sein“, bekräftigte Giffey gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Die Berliner Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) selbst gibt zu bedenken, dass die Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs vor der autofreien Stadt angegangen werden müsse, um Menschen aus den Randgebieten nicht abzuhängen und auszugrenzen.

Ein allgemeingültiges Konzept, das sich auf jede Stadt übertragen ließe, findet sich also noch nicht. Und bislang stellt sich eine knappe Bürgermehrheit gegen autofreie Innenstädte.



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