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ContraAuch Autos haben eine Daseinsberechtigung

Von Tobias Westphal / 31. Januar 2023
picture alliance / Westend61 | Vasily Pindyurin

Dass Verbrenner schädlich für’s Klima sind und täglich Straßen im Verkehrschaos versinken, liegt auf der Hand. Dennoch sollten wir das Auto nicht per se verteufeln, sondern hinterfragen. Jetzt ist die Gelegenheit, Mobilität für alle zu denken.

Als der deutsche Ingenieur Carl Friedrich Benz das Auto im Jahr 1885 erfand, galt es als die neue Form der Fortbewegung. Erstmalig konnten sich Menschen selbstbestimmt und ohne die Antriebskraft Dritter, eben autonom, fortbewegen. Binnen kürzester Zeit erregte Benz mit seiner Erfindung mediale Aufmerksamkeit, brachte das Auto bis zur Marktreife und schlussendlich auch auf die Straße.

Menschen erlebten, was es heißt, sich jederzeit und eigenständig und über längere Strecken von A nach B bewegen zu können. Schilderungen von der „neuen Freiheit“ waren in aller Munde, sicher auch gezielt durch die Werbung gestreut, und trotzdem hält das Narrativ, eine Fahrerlaubnis bedeute Freiheit, bis heute an. Soll von all diesen Vorteilen heute wirklich nichts mehr übriggeblieben sein?

Verkehr wird individuell

Ein Auto bedeutet Bequemlichkeit. Es bedeutet, einen sicheren Raum zu haben, in dem man sich auf der Straße bewegt. In den man sich auch zurückziehen kann, wenn es regnet oder stürmt. In einem Auto nimmt man seine liebsten Menschen mit, der Kontakt zu allen anderen bleibt weitgehend abgeschirmt. Man kann darin etwas liegen lassen und Schweres und Sperriges transportieren, ohne sich Sorgen um den Platz der anderen machen zu müssen. Alles das sind Aspekte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln so nicht realisiert werden können; es sind zugleich die Punkte, die Menschen, die regelmäßig Auto fahren (müssen), sehr zu schätzen wissen.

Im Grunde genommen sind Auto und Fahrrad gar nicht so verschieden, werden doch beide, wenn alles gut läuft, in der Zukunft ähnliche Klimabilanzen haben. Zumindest im Verbrauch – vergleicht man die Herstellung von Auto und Rad, sieht das natürlich schon wieder anders aus. Carl Benz galt übrigens als überzeugter Velocipedist: Seine erste Kreation sah weniger nach Automobil aus, vielmehr handelte es sich dabei um ein motorisiertes Fahrrad.

Die große Änderung, die seine Erfindung mit sich brachte, war also nicht das Auto selbst. Es war eine Veränderung im Mindset. Auf einmal wollte jede*r unabhängig und eigenständig unterwegs sein. Die Abkehr vom Kollektivverkehr nahm Fahrt auf und das in einem enormen Tempo.

Menschen brauchen Autos, manchmal

Erst im Laufe der Jahre wurden Automobile größer, schwerer und komplizierter. Sie erhielten eine Musikanlage und Getränkehalter, einige sogar Sitzheizungen. Ist das Auto für manche Menschen schlicht Komfort, für andere ist es eine Notwendigkeit. Gerade auf dem Dorf ist der öffentliche Personennahverkehr vielerorts so schlecht ausgebaut, dass ein Alltag ohne Auto für viele Anwohner*innen unvorstellbar ist. Nun könnte man zwar den ÖPNV an diesen Orten ausbauen. Das geht aber nicht von heute auf morgen und: Es kann nicht kosteneffizient sein, jedes abgelegene Feld an den Verkehr anzubinden und zwanzig Mal am Tag anzufahren, wenn nur zwei Mal jemand mitfährt. Der ÖPNV ist in Städten eine zielgerichtete Lösung gegen den Verkehrskollaps, aber kein flächendeckendes Allheilmittel aller Mobilitätsprobleme.

Es wäre möglich, den motorisierten Verkehr zu beschränken und zu regeln, wer in die Innenstadt darf und wer nicht. Die Seniorin, die zu ihrem Hausarzt muss, wird durchgewunken. Der junge und fitte Pendler auf dem Weg zur Arbeit aber solle bitte den Bus nehmen. Kann das wirklich eine praktikable Lösung sein? Ein solches Vorgehen wäre nicht nur schwer umzusetzen und zu kontrollieren, kostenaufwendig und verwirrend, sondern es kann auch schnell zur gesellschaftlichen Spaltung führen.

Auto-mobil sein heißt nicht, Auto besitzen

Klar wird: Manche Menschen brauchen das Auto. Statt es von Grund auf zu verteufeln, sollten wir die Art und Weise überdenken, wie wir im Alltag mit dem Auto umgehen. Wir kennen verschiedene Lösungsvorschläge, wie etwa das Ride-Pooling. Es ist (fast) so individuell wie die Fahrt mit einem eigenen Auto. Alle Verkehrsteilnehmer*innen buchen ihre Fahrten über ein bereitgestelltes System: einmalig oder dauerhaft, mit oder ohne Gepäck. Im Anschluss errechnet ein Algorithmus den besten Weg für einen Sammelbus, der alle Fahrgäste von ihrem individuellen Abfahrtsort abholt und zum gewünschten Zielort bringt. Ride-Pooling ist bequem, sicher, umweltfreundlich und schafft Arbeitsplätze.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Stärkung von Leihangeboten. Zugleich haben viele finanzstarke Unternehmen das nötige Geld, um die E-Ladeinfrastruktur auszubauen. Sie stehen dafür längst in den Startlöchern und warten nur darauf, loszugehen. Carsharing für schwere Transporte in Kombination mit Ride-Pooling-Angeboten würde die Straßen nachhaltig entlasten. Keine Parkplatzsuche mehr für Autofahrer*innen, mehr Platz auf den Straßen für alle anderen. Eine Win-Win-Situation.

Technik nutzen, Konzepte überdenken

Die Ideen sind da, sie werden nur nicht umgesetzt. Was wir daher jetzt brauchen, sind Modellprojekte, die die Lösungsentwürfe in der Praxis erproben. Dabei gibt es sicherlich nicht den einen allumfassenden Ansatz, der für ganz Deutschland zufriedenstellend funktioniert.

Es kann nicht das Ziel sein, den technologischen Fortschritt mehrerer Jahrhunderte aufzugeben, weil eine Interessengruppe gerade lauter kräht als die andere. Mobilität muss grundsätzlich gedacht werden: angepasst an die individuellen Bedürfnisse wirklich aller Menschen und die gegebenen Verhältnisse der Infrastruktur. In Fragen der Mobilität ist Mehrgleisigkeit besser als die Einbahnstraße.



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