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ContraStaatliche Instanzen sind nicht frei, sondern verantwortlich

Von Sebastian Krieger / 29. Dezember 2023
picture alliance | CHROMORANGE / Christian Ohde

Staaten sind keine Individuen. Weil Geheimnisse staatlicher Akteure zwangsläufig das Vertrauen der Bürger*innen in die Institutionen beschädigen, braucht es für Ausnahmen sehr gute Begründungen.

Wenn Menschen Geheimnisse vor dem Staat haben dürfen, darf der Staat auch Geheimnisse vor den Bürger*innen haben und die Bevölkerung über sensible Sachverhalte zum „Wohle des Staates“ täuschen oder gar belügen? Eine Frage, die sich nicht wenige Leute angesichts dieser krisenhaften Zeit stellen. Die Antwort darauf ist aber gar nicht so schwer.

Für Staaten gelten andere Maßstäbe

Es stimmt: Das individuelle Recht von Bürger*innen, Geheimnisse vor dem Staat haben zu dürfen, ist ein wichtiger Grundsatz liberaler Gesellschaften. Nur folgt daraus nicht, dass dies auch umgekehrt gilt. Staaten sind keine Individuen, wir stellen andere Anforderungen und Ansprüche an sie.

Für demokratische Staaten ist das Vertrauen in seine Institutionen und ausführenden Organe von elementarer Bedeutung. Ohne dieses Grundvertrauen erodiert die Voraussetzung für das Einhalten gesellschaftlicher Regeln, Normen und Gesetze. Wem das zu abstrakt klingt, der möge einfach kurz an Korruption denken: Wenn Bürger*innen (oder Unternehmen), die das Gesetz brechen, sich bei einer korrupten Polizei, einer korrupten Politik freikaufen könnten – wer vertraute dann noch diesen Institutionen?

Gibt es das, ein „gutes“ Staatsgeheimnis?

Deshalb fällt es schwer, sich konkrete Beispiele vorzustellen, die für staatliche Geheimnisse sprechen würden.

Ganz abstrakt lässt sich argumentieren, dass Regierungen unter dem Radar der Öffentlichkeit Angelegenheiten vorbereiten und planen müssen, weil Staaten in Konkurrenz zu anderen Staaten stehen. Wer allerdings mit offenen Karten am Pokertisch mitspielen will, der geht ohne Geld nach Hause. Juristisch gesprochen im Fall Deutschlands heißt es: „Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden“.

Aber wie lässt sich diese Norm auf konkretes staatliches Handeln anwenden?

Geheimnisse zwischen Konzernen und Regierungen sind immer „shady“

Wirtschaftliche Interessen privatwirtschaftlicher Akteure können nicht zur Rechtfertigung von Geheimnissen staatlicher Akteure gegenüber den Bürger*innen herangezogen werden. Demokratische Staaten sind wertebasiert, also Idealen, die sich mit Geld nicht aufwiegen lassen. Im September berichtete das Essener Recherchezentrum Correctiv: „Verschmutztes Wasser. Kohlekonzern zahlt Schweigegeld“. Der Bürgermeister von Frankfurt/Oder hatte mit dem Kohlekonzern LEAG einen Vergleich geschlossen, wonach er nicht mehr öffentlich über die Gefahren des Bergbaus für das Trinkwasser seiner Stadt sprechen darf. Involviert waren auch andere Städte und die Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft, die zu 90 Prozent der Stadt Frankfurt/Oder gehört.

Das Vertrauen in die Staatsmacht geht verloren, wenn die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz nicht kontrolliert werden kann. Der prominenteste Fall ist vermutlich der sogenannte NSU-Komplex. Rechtsextreme mordeten jahrelang, der Verfassungsschutz war irgendwie involviert. Die Akten der Aufarbeitung sollten eigentlich 120 Jahre lang unter Verschluss bleiben. Was bedeutet hätte: Kein jetzt lebender Mensch, kein Nachfahre der zehn Mordopfer sollte wissen dürfen, welche Rolle staatliche Institutionen in diesem Fall von Terrorismus gespielt haben. Diese Zurückhaltung von Informationen verhindert selbst ein Mindestmaß an Transparenz für die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Und ohne Kontrollmöglichkeit ist Vertrauen blind. Öffentlich gemacht wurden die „NSU-Akten“ vor einem Jahr dann doch – von FragDenStaat und dem ZDF Magazin Royale.

Die Debatte „Freiheit versus Sicherheit“ hatte einen Höhepunkt, als herauskam, wie umfassend die Überwachung durch die amerikanische NSA ist. Dürfen Staaten ihre eigenen Bürger*innen ausspionieren oder zulassen, dass andere Staaten die eigenen Bürger*innen überwachen? Es ist doch gut, wenn durch entsprechende Hinweise beispielsweise geplante Terroranschläge wie im Oktober in Duisburg verhindert werden können, oder nicht? Nur ist es so: Sind Daten einmal da, werden sie auch genutzt – erst zur Terrorabwehr, später vielleicht aber auch für weniger wichtige Zwecke. Derartige „Slippery-Slope“-Argumente sind zwar theoretisch schwach, weil sie nur auf potenzielle künftige Nachteile verweisen. Wie schnell es geht, dass aus Klimaaktivist*innen im politischen Sprachgebrauch zunächst „Klimakleber“ und dann „Klima-RAF“ wird, hat dieses Jahr auch gezeigt, Telefonüberwachung von Fridays for Future inklusive.

Wer im staatlichen Auftrag handelt, hat viel Macht. Und seit „Spiderman“ wissen wir alle: Mit großer Macht kommt große Verantwortung. Geheimniskrämerei passt nicht dazu, denn der Staat muss verantwortlich gemacht werden können und dafür ist Transparenz vonnöten. Deutlich wird das vor Gericht. Der Öffentlichkeitsgrundsatz dort wird schwer gewichtet. Wenn nur einer Person zu Unrecht der Zugang zu einer Verhandlung verwehrt wird, muss diese wiederholt werden.

Wenn Staaten also ihr Handeln geheim halten, entziehen sie ihren Bürger*innen die Möglichkeit zur Kontrolle. Blindes Vertrauen aber ist keine stabile Beziehungsform zwischen Bürger*innen und staatlichen Akteuren. Deswegen bräuchte es sehr gute Gründe für Staaten, Geheimnisse zu haben. Entsprechend dürfte der legitime Anwendungsbereich sehr eng sein und zeitlich begrenzt.



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