DebatteWie geil ist das denn?
Von der Vibrator-App bis zum Rodeo-Penis: Sexmessen präsentieren allerhand aus dem Universum unterhalb der Gürtellinie. Richtig was zu begaffen gibt es jedes Jahr auf der „Venus“ in Berlin – doch auch in anderen Ländern versteht man sich auf das Geschäft mit der (Schau-)Lust.
Die erste Erotikmesse der Welt fand 1969 in Kopenhagen statt. Passend zum Jahr – und vermutlich auch der Zweideutigkeit wegen – hieß sie „Sex 69“. Mit 48.000 Schaulustigen kam praktisch eine ganze Stadt, um zu erfahren, wie viel nackte Haut in dem Land zu sehen sein würde, das als erstes die Zensur für Pornographie abgeschafft hatte.
Waren die Dänen demnach das lüsternste Volk Europas? Mitnichten. Die meisten Besucherinnen und Besucher der „Sex 69“ kamen aus Deutschland.
Gefallen hat das nicht jedem. „Soll die Demokratie eines Tages von der ‚Pornokratie‘ abgelöst werden?“, schimpfte etwa der Welt am Sonntag-Redakteur Hans Georg von Studnitz über das große Interesse seiner Landsleute am Sex-Kommerz.
Ausziehen zieht an
Neben den Medien kritisierten auch viele Besucherinnen und Besucher der ersten Sexmesse diese als zu „zu voll“ und „zu laut“. Trotzdem wurde der erotische Messebetrieb in den 1970er Jahren in Deutschland und Österreich fortgeführt. Ironisch mutet es an, dass ausgerechnet in den als prüde geltenden USA laut Markus Franz, Autor des Buchs Pornographie: Die Phantasie zum Anfassen, eine gigantische Industrie entstand, die nach Franz bis heute „Takt und Ton“ in der Sex-Branche vorgebe.
Das Thema „Ausziehen“ zieht Menschen an – spätestens Mitte der ’90er Jahre bestand daran kein Zweifel mehr. Einen Höhepunkt feierte die Erotikbranche 1997, als mit der „Venus“ eine Sexmesse nach Berlin kam. Bis zu 400 Aussteller aus 36 Ländern machen sie bis heute zur weltweit größten ihrer Art.
Führungen für Blinde
Ihrem Rang entsprechend hat die „Venus“, die diesen Oktober zum 22. Mal stattfand, viel zu bieten. Alljährlich versammelt sie auf dem Messegelände am Fernsehturm Stars, Trends und Neuheiten aus der Erotik-Branche. In vier Hallen können Neugierige und Interessierte lustwandeln (sic!): Es gibt Liveshows, Bondage-Bereiche, Preisverleihungen für Porno-Stars, einen „StarWalk“, auf dem Bekanntheiten wie das Model Micaela Schäfer Autogramme geben, eine „Ladies Area“, in der Frauen High Heels shoppen und sich an muskulösen Strippern ergötzen können und sogar spezielle Führungen für Blinde.
Technische Neuerungen hätten auch das Angebot an Sex-Spielzeugen erweitert, so der Pressesprecher der „Venus“, Walter Hasenclever. Ein Novum dieses Jahres sei zum Beispiel ein Vibrator, der sich über eine App mit dem Smartphone steuern lasse.
Generell steht Geschlechtsverkehr, der ohne menschlichen Partner auskommt, gerade hoch im Kurs. Sexpuppen, so genannte „Dolls“, waren laut Hasenclever auf der diesjährigen Messe „sehr präsent“. Die lebensgroßen Puppen würden zunehmend „echter“. Dank eingebauter Heizung und Robotik hätten manche von ihnen inzwischen eine „menschliche“ Körpertemperatur von 37 Grad, bewegten sich von selbst und stöhnten beim Sex.
Das Higlight der „Venus“ war für Hasenclever aber eindeutig das „Penis-Rodeo“, ein Riesenphallus, der seine Reiterinnen und Reiter kräftig durchschüttelt. „Es kam sehr gut an, hier wurden unzählige Fotos und Videos gemacht“, erzählt der Pressesprecher erfreut.
Ungewollt politisch
Begehrtes Fotoobjekt war auch die diesjährige Eröffnerin der „Venus“: die Pornodarstellerin Stormy Daniels, die mit ihrer Behauptung, 2006 mit Donald Trump Sex gehabt zu haben, in diesem Jahr eine fragwürdige Berühmtheit erlangte.
Die Affäre um Daniels und den jetzigen US-Präsidenten habe mit der Entscheidung sie einzuladen, nichts zu tun gehabt, betont Hasenclever: „Wir haben Stormy Daniels als Pornodarstellerin, Regisseurin und Star der US-Branche eingeladen. Politik spielte dabei keine Rolle, aber natürlich ihre enorme Bekanntheit auch bei Nicht-Porno-Fans.“
Das Politische verlagerte sich allerdings ins ‚Messebett‘ und erzwang schließlich doch eine Stellungnahme der Veranstalter: Die Domina Charlize trug zur Eröffnung einen blauen Latex-Body, der ein Hakenkreuz-Tattoo an ihrem Oberschenkel entblößte. In Deutschland steht das Zeigen nationalsozialistische Symbole in der Öffentlichkeit unter Strafe. Charlize droht nun eine Geldbuße oder sogar eine dreijährige Freiheitsstrafe. Sie selbst beteuert, dass sie „gegen rechts“ sei und ihre Tättowierung missverstanden werde. Dennoch plane sie, das Motiv nun überstechen zu lassen.
Inzwischen haben sich die „Venus“-Verantwortlichen von Charlize distanziert: Ihr Steckbrief wurde von der Webseite der Messe entfernt. Walter Hasenclever betonte öffentlich, nichts von dem Tattoo gewusst zuhaben; die „Venus“ stehe zwar für Freiheit und Toleranz,nationalsozialistische Zeichen könnten aber nicht toleriert werden.
Wie die diesjährigen Gäste – immerhin 27.481 wurden gezählt – zu dem Vorfall stehen, blieb indes unklar. Der Skandal war schnell keiner mehr. Eins zu Null für die Erotik, könnte man meinen. Das Politische jedenfalls scheint wenig Aufregung zu verursachen.