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ProOh mein Gott, ja!

Von Seva Lauer / 3. November 2018
picture alliance/EPA-EFE | CLEMENS BILAN

Die Erotikmesse „Venus“ ist ein Marktplatz für sexuelle Wünsche, der zu mehr Toleranz und Freiheit beitragen kann. Denn sie führt dazu, dass wir mehr über Sex reden – und auch mit uns bislang unbekannten Gelüsten konfrontiert werden.

Die Geheimnisse der Lust gehören zu den am besten gehüteten zwischen Partnern in einer sexuellen Beziehung. Erotische Wünsche bleiben oft geheim – so geheim, dass niemand sie wirklich erfüllen kann, weil niemand sie kennt.

Oder sprichst du mit deinem Partner oder deiner Partnerin über deine erotischen Fantasien? Wo und wie du gerade angefasst werden möchtest? Welche Fetische dich faszinieren? Ich nicht. Von den wenigen Freundinnen, mit denen ich über Sex rede, weiß ich, dass sie mehr verschwiegene als gelüftete Wünsche haben.

Sextoys auf Plakatenstatt in Schubladen

Zugegeben, es ist besser geworden: „Let’s talk about sex, baby“, das sagt sich immer leichter. Die Zeiten, in denen ich mich mit einer Freundin zwischen den DVD-Regalen eines schmuddeligen Erotikshops zu den Vibratoren vorgeschämt habe, sind vorbei; Sextoys inzwischen fast schon salonfähig, zumindest ist ihr Angebot ins Scheinwerferlicht gerückt.

Mittlerweile gibt es schöne, helle, freundliche Läden, die schöne, erotische Produkte mit einer gewissen Ästhetik anbieten und viele richten sich dabei gezielt an ein weibliches Publikum. Der Erotik-Onlinehändler Amorelie hat 2015 mit einer Plakatkampagne Sexspielzeuge in das öffentliche Straßenbild gebracht. Jeder konnte beim Warten auf die S-Bahn auf einen Paarvibrator starren, der „multiple Orgasmen“ für 79,90 Euro versprach.

Der Bestseller „50 Shades of Grey“ ist zwar kein literarisches Meisterwerk, er brachte aber selbst die „Braven“ dazu, sich zumindest gedanklich zu fragen, wie es wäre, sich temporär einem Mr. Grey zu unterwerfen. Und das Portal OMGyes.com weist Frauen auf wissenschaftlich fundierte Art und Weise den besten Weg zum Orgasmus. Klingt klinisch? Ist immerhin eine Rezeptsammlung für die Lust. Der Sex rückt mitten in die gesellschaftliche Wahrnehmung: Also genau dahin, wo er auch hingehört.

Raus aus der Schmuddelecke

Das ist auch der Erotikmesse Venus zu verdanken. Sie trägt dazu bei, dass wir mehr über Sex reden – und damit auch über Fantasien, Fetische, also die Grenzen dessen, was einem selbst bislang nicht immer ganz geheuer ist. Das kann – wenngleich oft nur mittelbar –zu mehr Toleranz führen.

Es ist einfach, die „Venus“ irgendwie vulgär und abstoßend zu finden. Sind es doch vor allem ältere, männliche Besucher, die, mindestens mit Smartphone, bestenfalls mit Teleobjektiv bestückt, um jedes Fleckchen nackte Haut herumschleichen und filmen, bis auch noch die dritte externe Speicherkarte voll ist. Material sammeln für Zuhause, als reichten die unzähligen Pornos auf Youporn und Co. nicht schon für mehrere Leben voller Masturbation. Die Toilette, berichtet die Toilettenfrau so abgeklärt wie nötig, würde von Männern vor allem zum Onanieren genutzt.

Aber seht ruhig genauer hin! Auf der „Venus“ gibt es auch andere Besucher, Besucher und Besucherinnen, die nicht da sind, um ihre Pornostars endlich mal „in echt“ anzufassen – was, das nur nebenbei, auch toleriert werden sollte, solange dies von den Darstellern gewünscht ist. Junge Frauen kommen, die sich neue Dessous aussuchen wollen. Paare kommen, die ihren Fetisch halb öffentlich und vor Gleichgesinnten oder zumindest Interessierten ausleben wollen. Ein Mann als Pferd, samt Hufe und Zügel im Mund. Eine Frau im Glitzertütü auf allen Vieren. Ein Trio in Ledergeschirr.

Das zu zeigen, außerhalb des eigenen Schlafzimmers, außerhalb von Swingerclubs und Private Partys, das kann Freiheit bedeuten. Das zusehen, kann mehr Toleranz erzeugen. Sich mit einem Thema auseinanderzusetzen trägt in aller Regel zum besseren Verständnis bei – und nicht zu einer Steigerung des Unverständnisses.

Als Besucherin sagenumwobener Berliner Techno-Clubs habe ich bereits zahlreiche Formen der zwischenmenschlichen, überwiegend nackten Gemengelagen beobachten können. Der Anblick der Fetische anderer hat mich definitiv toleranter gemacht. Sie werden zur Normalität, auch wenn ich sie selbst nicht auslebe. (Nebenbei: Oft wünsche ich mir, alle würden mit ihrer Sexualität so offen umgehen wie viele Homosexuelle, die ich kenne.)

Die Zielgruppe ist eng – definiert

Allerdings: Gerade für Homosexuelle und andere Menschen der LGBT-Community hat die Erotikmesse „Venus“ zu wenig im Angebot. Sie mag eine Plattform der sexuellen Wünsche sein, aber dann doch eher der heterosexuellen Wünsche. Die produktaffine Gay-Szene wird zwar nicht komplett außer Acht gelassen, Werbung wird jedoch auch nicht mit ihr gemacht. Die hauptsächliche Zielgruppe ist und bleibt männlich, mittelalt und heterosexuell. Das ist schade.

Denn ein Zusammentreffen von „Gleichgesinnten“, wie die Erotikmesse oft verspricht, müsste alle Menschen im Blick haben, die Lust auf und an Sex haben. Sie sollte alle Geschlechter, Körperformen und Arten von Sexualität zelebrieren – Einvernehmlichkeit immer vorausgesetzt. Leider orientiert sich die „Venus“ noch sehr an der auch 2018 noch immer misogynen, oft eher abtörnenden Pornoindustrie. Sie täte gut daran, sich selbst ein bisschen mehr Offenheit zu gönnen.



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