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Realität aus, Reality an – wie toxisch ist unser Verhältnis zu Reality-TV?

Von Dennis Stockfisch (Politikorange) / 11. Juni 2024
picture alliance/dpa | Clara Margais

Love Island und Co. erfreuen sich seit geraumer Zeit großer Beliebtheit. Drama – solange es nicht im eigenen Leben stattfindet – ist einfach unterhaltsam. Dabei nehmen wir das Ganze als seichte Unterhaltung hin, um neben dem stressigen Alltag einfach mal den Kopf abzuschalten.

So einfach ist es dann aber doch nicht. Zwischen dem Lachen über das Spektakel und unserer Rolle als Zuschauer*innen liegt oft eine Grenze, die es zu hinterfragen gilt.

Die Zukunft ist divers – oder?

Zur Erinnerung: Unterhaltungsmedien – unabhängig, ob linear oder über Streaming-Dienste ausgestrahlt – leben davon, angeschaut beziehungsweise angehört zu werden. Der Industrie im Hintergrund sind Ethik und Moral längst nicht so wichtig, wie die neu gefundene Diversität von „Germany’s Next Topmodel“ uns es vielleicht glauben lassen möchte. Dennoch ist zu beobachten, dass durch Formate wie „Princess Charming“ oder „The Ultimatum: Queer Love“ nun endlich Shows Platz finden, die nicht dem Narrativ einer heteronormativen Gesellschaft unterliegen. Diese sind zwar noch nicht im linearen Fernsehen zu sehen, sondern mit einem Abonnement von Streaming-Dienst-Anbietern verbunden, dennoch ist es ein Anfang. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass das Ausstrahlen von queeren Formaten, die stärkere Präsenz von BIPoC oder das Zeigen von nicht dem aktuellen Schönheitsideal entsprechenden Menschen nicht mehr als eine kalkulierte Marketingstrategie ist. Diversity ist gerade angesagt. Mit Blick auf aktuelle Wahlumfragen fragt sich, wie lange noch.

Gesellschaftsspiegel Reality-TV

Über die Zeit haben sich Produzierende genau gemerkt, was uns bei Reality-TV wichtig ist. Spoiler: Die Darstellung von gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen ist es nicht. Genauso wie der Großteil der Zuschauenden aktuell gerne Diversität in Shows vertreten sieht, ist ihnen das Drama mindestens genauso wichtig. Dass Kandidat*innen durch Schnitt, Interviews und gerne auch mal Alkohol so dargestellt werden, wie der Regie das für ihre Dramaturgie passt, ist da erstmal egal. Es ist nämlich viel einfacher, sich über das künstlich erzeugte Drama zu erfreuen, als das „Reality“ in Reality-TV zu hinterfragen. Kritik richtet sich fast ausschließlich an die Kandidat*innen. Nie aber mal an uns, die es genau deswegen schauen oder an die, die es nach unseren Wünschen produzieren. Es ist erschreckend, wie persönlich über Menschen gesprochen wird, deren Verhalten nicht unseren Wertvorstellungen entspricht. Auffällig dabei ist, dass Menschen, die sich den Kandidat*innen intellektuell überlegen fühlen, sich besonders abfällig über Verhalten und Personen äußern. Angeschaut werden sich dann aber genau die Formate, die von der besonderen Intensität der Konflikte leben.

Das optimale Karrieresprungbrett?

Charaktere, die an diesen Formaten teilnehmen, sind gerne mal ausgefallener und extrovertierter. Den meisten Teilnehmenden wird auch klar sein, wie in Teilen der Bevölkerung darüber gedacht wird, an solch einer Show teilzunehmen. Was also bewegt Menschen dazu, da mitzumachen? Ob man es glaubt oder nicht, manchen ist es egal, was andere über sie denken. Sie möchten einfach nur jemanden kennenlernen oder aufregende Erfahrungen sammeln. Andere hingegen gestalten auf dieser Grundlage ganze Medienkarrieren. Egal ob Teilnahmen an weiteren Formaten, Influencer*in oder etwas ganz anderes: Der Spielraum ist groß. Mit der richtigen Taktik ist man im Anschluss eine Person des öffentlichen Lebens. Verfolgt man dieses Ziel, ist es wichtig, im Rahmen der Show aufzufallen. So lässt sich nämlich hervorragend Reichweite generieren – also Follower*innen. Wenn man bedenkt, dass sich laut Schätzungen des Steuerportals „Accountable“, ab einer Follower*innenzahl von 50.000 bereits 200 bis 1.000 Euro pro Instagram-Post oder Story verdienen lassen, ist das ein cleveres Ausspielen der eigenen Stärken und ein kluger Karriere-Schachzug. Da ist es doch nur logisch, dass sich Menschen bei solchen Shows anmelden, die jetzt nicht als zurückhaltend zu beschreiben sind. Dann wären die Shows, die wir so gerne sehen, nämlich ziemlich langweilig.

Der Ton macht die Musik

Reality-TV lebt vom Verhalten der Kandidat*innen. Es ist völlig in Ordnung, sich über die Handlung auszulassen oder Witze darüber zu machen. So funktioniert diese Art von Unterhaltung nun mal. Gesehenes zu kritisieren, ist wichtig. Jedoch sollten wir immer darauf achten, wie persönlich und tiefgreifend die Kritik an Kandidat*innen ist und an welchen Stellen wir bei den Produzent*innen oder sogar bei uns selbst ansetzen müssen. Sich diese Shows nur anzusehen, um sich über die Teilnehmenden lustig zu machen, ist höchst bedenklich. Wir sollten das Ganze als Unterhaltung anerkennen und verstehen, dass dabei auch Rollen gespielt werden und Personen nicht zwingend so sind, wie sie dargestellt werden. Zudem sollten wir darüber nachdenken, warum wir uns so sehr an Konflikten und Drama erfreuen und was wir dabei über unser eigenes Leben lernen können.

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