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Rosa ist teurer als blau

Von Clara Reinhardt / 28. Oktober 2020
picture alliance / VisualEyze | -

Gut gepflegt sein kostet Frauen in der Regel mehr, obwohl sie tendenziell weniger verdienen. Doch der Aufschrei gegen diese Ungerechtigkeit bleibt aus. Dass es anders geht, zeigt New York City.

Die Self Care-Routine ist geschlechtsneutral. Sollte man meinen. Eine sozioökonomische Untersuchung, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben hat, fand heraus, dass von 1.682 getesteten Produkten 62 ungerechtfertigt teurer waren. In zwei Drittel der Fälle zulasten von Frauen. Bei Dienstleistungen zahlen Männer in neun Prozent der Fälle mehr, Frauen in bis zu 50 Prozent der Fälle. Bei geschlechtsspezifischen Preisdifferenzierungen für das gleiche Produkt oder die gleiche Dienstleistung steht eindeutig fest: Ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsverbot liegt vor. Doch wieso kann diese eklatante Ungerechtigkeit in Form von Gender Pricing in heutiger Zeit überleben?

Auch ich folge bei meiner täglichen Körperpflege dem Idealbild der “makellosen Frau“, dem auch ich mich jeden Tag auf’s Neue annähern möchte: Ich weiche meine Haare in Shampoo ein, wasche sie aus, lasse dann die pflegende Spülung einwirken, während ich meinen Rasierer unten an meinem Bein ansetze, um mich meiner leidigen Haare zu entledigen. Nach zwei Tagen fangen sie an mich zu pieksen. Und auch dich stören sie, wenn meine Hose beim Beine-Übereinanderschlagen nach oben rutscht und meine stoppeligen Waden entblößt. Am nächsten Tag geht dasselbe Prozedere wieder von vorne los. Oft bilde ich mir erfolgreich ein, es handle sich bei all dem um ein bisschen Wellness für meine Seele, für meine Haut und meinen Spiegel.

Angebot als Zustand unserer Gesellschaft

Frauen steht tendenziell weniger Geld zur Verfügung. Nach dem Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums lag die geschlechtsspezifische Lohnlücke in Deutschland im Jahr 2019 bei 21,3 Prozent. Das hält Frauen nicht davon ab, wenn sie losziehen, umwerfend gut auszusehen, gut zu riechen – eben gut gepflegt aufzutreten. Denn wie Susie Orbach, Psychoanalytikerin in ihrem Buch „Bodies. Schlachtfelder der Schönheit“ erklärt, internalisieren Frauen gesellschaftliche Ideale. Sie seien im Durchschnitt zwei- bis fünftausendmal pro Woche mit manipulierten Körpern konfrontiert, die diese Perfektion visualisieren, so Orbach. Mit der Folge, dass Angehörige des weiblichen Geschlechts diese Ideale für ihre eigenen halten und bereit sind, viel in entsprechende Pflegeprodukte zu investieren. Und zwar in jene besonders feminin angehauchte Versionen, die ihnen suggerieren, das erstrebte Aussehen damit endlich erreichen zu können: Deodorants, Parfüms und Schminke bis hin zu Intimwaschgels. Denn sie sollen den Duft einer Blumenwiese verströmen – an jeder Stelle des Körpers.

In meterlangen Regalwänden reiht sich Drogerieprodukt an Drogerieprodukt. Zwischen 30 verschiedenen Körperlotionen findet man auch einen Body Roller für „sexy legs“. Ich betrachte kritisch meine Beine, ein bisschen mehr Sexappeal würde ihnen sicher guttun und das für läppische 30 Euro. Ab in den Einkaufskorb damit! Paradoxerweise laufen die Frauen nicht nur in die Läden hinein, um einfach nur schön zu werden. Sie finden dort in den Angeboten den Spiegel einer Gesellschaft, die ihr vorschreibt, auf welche Weise sie gepflegt sein sollen. Frauen verfolgen und erfüllen also gesellschaftliche Erwartungen und haben dabei trotzdem das Gefühl, sie würden Selbstfürsorge betreiben.

Wo bleibt der Aufschrei!?

Bei einer Routine denkt man nicht darüber nach, was man tut. Das ist wie Zähneputzen, man verlernt es nicht. Genauso ein Automatismus liegt in meinem Griff zur Rasierklinge meiner Wahl, die teurere für die Zielgruppe Frauen wird es. Eine Studie zur Pink Tax-Debatte fand heraus, dass die Preisdifferenzierung zulasten von Frauen auf größeres Unverständnis stößt, je mehr sie darüber wissen, je mehr sie feminin beworbene Produkte konsumieren und je mehr sie während des Einkaufs Angebote vergleichen.

Das sind viele Voraussetzungen für die Wahrnehmung einer Ungerechtigkeit. Angenommen, diese Kriterien liegen vor und eine Masse an Frauen ist sauer. Wie kann es sein, dass diese Masse sich dieser Ungerechtigkeit nicht widersetzt, keine Handlungen folgen lässt oder zumindest mit Einkaufswagen und blauen Rasierern stillen Protest leistet? Wäre es eine Art Täter-Opfer-Umkehr, wenn man Frauen jetzt dafür zur Verantwortung ziehen wollte, sie sogar für selbst (mit-)schuld an diesem Zustand halten würde? Neben dem evidenten Preisunterschied, der an sich schon Bürde genug wäre, müssten Frauen allein für einen minimalen Widerstand einen erheblichen Mehraufwand auf sich nehmen: einen Preisvergleich der jeweils genderspezifischen Produkte. Die Vergleichbarkeit der Produkte ist aber deshalb enorm schwierig, weil meist für unterschiedliche Mengen ähnliche Preise gezahlt werden. Damit fallen Preisunterschiede erst auf den zweiten Blick auf. Auch psycho-soziale Faktoren spielen eine Rolle für ausbleibenden Boykott: Manche Frauen fühlen sich nicht wohl dabei, ein Duschgel „for men“ zu verwenden. Doch Emanzipation bedeutet eine freie Entscheidung zu treffen. Nur ist die Entscheidung nicht wirklich frei, wenn rosa teurer ist als blau, aber gleichzeitig nicht infrage gestellt werden kann.

Dabei geht es auch anders. Die Stadt New York ist hier Vorreiter. Dort ist Gender Pricing als Diskriminierungsform anerkannt. Für einen Verstoß muss man büßen und immerhin bis zu umgerechnet 4.000 Euro zahlen. Wir reden bei diesen Preisdifferenzierungen nicht über das große Geld, aber es sind Preisunterschiede, die nicht nur den Zustand, sondern auch die Richtung einer Gesellschaft aufzeigen.

Eine Antwort zu “Rosa ist teurer als blau”

  1. Von Carl Eller am 29. Oktober 2020

    Wunderbarer Kommentar! Mit einem kessen Galgenhumor wird hervorragend veranschaulich, was als Problem im Jahr 2020 längst nichts mehr zu suchen hat. Chapeau

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